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Förster Kniebusch steigt die Zornröte in die Wangen, seine Lippen bewegen sich, in die vom Alter ausgeblaßten Augen kommt ein tieferer Glanz, ein wenig Feuer, aus der Jugend her.

      Der Mann am vordersten Wagen – natürlich der Bäumer – hat gestutzt. Nun geht er schon weiter. Nahe, in kaum einem Meter Abstand, klappern die Wägelchen mit dem gestohlenen Holz am Förster vorüber. Die Leute starren in die Luft oder zur Seite, als sei er nicht da, der da schwer atmend steht ... Dann verschwinden sie um die Gebüschecke.

      ›Sie werden alt, Kniebusch‹, hört der Förster des Rittmeisters von Prackwitz Stimme.

      ›Ja‹, denkt er trübe. ›Ich bin so alt geworden, daß ich gerne in meinem Bette sterben möchte.‹

      Denkt es und geht weiter.

      Er wird nicht in seinem Bette sterben.

       6

      Im Zuchthaus Meienburg schrillen die Alarmglocken, die Wachtmeister rennen von Zelle zu Zelle, der Direktor telefoniert mit der Reichswehr um Verstärkung, die Verwaltungsbeamten schnallen sich Gürtel mit Pistolen um die Bäuche und greifen nach Gummiknüppeln. Vor zehn Minuten hat Gefangener 367 dem Wachtmeister sein Brot vor die Füße geworfen: Ich verlange Brot, vorgeschriebenes Gewicht, und keinen verdammten Gipsbrei! hat er geschrien.

      In der gleichen Sekunde war der Tumult, der Aufruhr losgebrochen. Aus zwölfhundert Zellen hatte es geschrien, gebrüllt, gejammert, gesungen, geheult: Kohldampf! Hunger! Kohldampf! Hunger!

      Unter den strahlend weißen Mauern des hochgelegenen Zuchthauses lag geduckt das Städtchen Meienburg – in jedes Haus, in jedes Fenster drang das Gebrüll: Kohldampf! Hunger! Nun krachte es, tausend Gefangene waren mit ihren Schemeln gegen die Eisentüren gerannt.

      Durch die Gänge liefen die Wachtmeister und Kalfaktoren, flüsterten beschwörend an den Türen der Aufrührerischen. Die Zellen der Gutgesinnten wurden aufgeschlossen: Seid vernünftig, niemand in Deutschland bekommt anderes Essen ... der Dollar ... das Ruhrrevier ... Es werden sofort Erntekommandos zusammengestellt, die auf die großen Güter geschickt werden. Jede Woche ein Paket Tabak, täglich Fleisch ... für die mit guter Führung ...

      Mählich schwillt der Lärm ab. Erntekommandos ... Fleisch ... Tabak ... gute Führung ... Es sickert durch die Mauern, es besänftigt die knurrenden Mägen, eine Aussicht, eine Hoffnung auf Sättigung, freien Himmel, vielleicht Flucht ... Die letzten Lärmschläger, die von der eigenen Wut Wütenden schleppen die Wachtmeister in die Arrestzellen: Da, versucht, wie es sich ohne den Gipsbrei lebt!

      Die Eisentüren fliegen krachend zu.

       7

      Trotz der frühen Morgenstunde ist im Bayerischen Viertel zu Berlin in der Wohnung der Gräfin Mutzbauer die Zofe Sophie schon wach. Ihre Kammer, die sie mit der noch tief schlafenden Köchin teilt, ist so schmal, daß außer für die zwei Eisenbetten nur noch Platz für zwei Stühle ist – so schreibt sie auf dem Brett des geöffneten Fensters ihren Brief.

      Sophie Kowalewski hat schön gepflegte Hände, doch führen sie den Bleistift nur ungeschickt. Grundstrich, Haarstrich, Häkchen, Komma, Haarstrich, Grundstrich ... Ach, sie möchte so vieles sagen ...: wie er ihr fehlt, wie die Zeit nicht vergehen will, fast noch drei Jahre und kaum erst ein halbes herum ... Aber es wird nichts; Gefühle in Geschriebenes umzusetzen, hat Sophie Kowalewski, Tochter des Leutevogts Kowalewski in Neulohe, nicht gelernt. Ja, wenn er hier wäre, wenn es sich um Sprechen handelte, um eine Berührung –! Sie könnte alles ausdrücken, sie könnte ihn mit einem Kuss wild machen, mit einem leisen Anfassen glücklich ... Aber so!

      Sie starrt vor sich hin. Ach, sie möchte es ihn spüren lassen in diesem Brief! Aus der Fensterscheibe sieht sie mattfarbig eine zweite Sophie an. Unwillkürlich lächelt sie ihr rasch zu. Ein paar Löckchen haben sich gelöst, hängen dunkel in die Stirn. Die Schatten unter den Augen sind auch dunkel. Sie müßte sich wieder einmal die Zeit nehmen, gründlich auszuschlafen – aber gibt es denn Schlafenszeit in dieser Zeit, wo alles so merklich verrinnt, kaum da es deutlich wurde –? Alles zerfällt, nutze die Minute, heute lebst du noch, Sophie!

      Sie mag morgens noch so müde sein, die Füße brennen, der Mund schmeckt schal nach all den Likören, dem Wein, den Küssen – am Abend zieht es sie doch wieder in eine der Bars. Tanzen, trinken und toben! Kavaliere genug, lappig wie ihr Geld, Hunderttausende, fünfzigfacher Zofenlohn, lose in einer Jackettasche. Sie ist auch letzte Nacht mit einem von den Kavalieren mitgegangen – was kommt es darauf an? Die Zeit rinnt, läuft, jagt. Vielleicht sucht sie auch Hans, den für dreiundeinviertel Jahr verlorenen Hans (Hochstapelei) in all den immer wiederholten Umarmungen, in all den Gesichtern, die sich über das ihre neigen, so gierig-ruhelos wie das ihre ... Aber den Hans, strahlend, rasch, allen überlegen, gibt es kein zweites Mal!

      Sophie Kowalewski, der harten Arbeit auf dem Rittergut entflohen, sucht in der Stadt – sie weiß nicht was, irgend etwas, das sie noch härter anfassen wird. Einmalig ist dieses Leben, vergänglich; wenn wir tot sind, sind wir so lange tot; und wenn wir alt sind, schon, wenn wir über fünfundzwanzig sind, sieht uns keiner mehr an. Hans, ach Hans ... Sie trägt das Abendkleid der Gnädigen, es ist schnurz, ob die Köchin es sieht. Was die bei den Lieferanten schmuh macht, klaut sie an Seidenstrümpfen und Seidenwäsche. Keiner hat der andern etwas vorzuwerfen. Es ist gleich sieben, schnell noch den Schluss ... Und verbleibe ich mit heißen Küssen Deine Dich ewig liebende Braut Sophie ...

      Sie legt keinen Wert auf das Wort Braut, sie weiß auch gar nicht, ob sie das möchte, ihn heiraten, aber sie muß es schreiben, damit sie ihm im Zuchthaus den Brief auch aushändigen.

      Und der Zuchthausgefangene Hans Liebschner wird den Brief seiner Braut erhalten, er gehörte nicht zu denen, die wegen zu wilden Gebrülls in eine Arrestzelle gebracht worden waren. Nein, trotzdem er kaum erst ein halbes Jahr im Zuchthaus Meienburg wohnte, war er ganz gegen alle Hausordnung schon zum Kalfaktor aufgerückt und hatte es verstanden, mit besonderer Überzeugung von Erntekommandos zu reden. Das konnte er, er wußte: Neulohe lag nicht weit ab von Meienburg, und Neulohe war die Heimat einer süßen Puppe namens Sophie ...

      ›Ich werde das Kind schon schaukeln‹, dachte er.

      Das Mädchen war erwacht.

      Den Kopf in die Hand gestützt, lag es und sah nach dem Fenster hinüber. Die gelblichgraue Gardine bewegte sich nicht. Das Mädchen glaubte, die riechende Hitze vom Hof her zu spüren. Es schauderte leicht.

      Dabei sah es an sich herunter. Nicht daß es vor Kälte geschaudert hatte – es hatte wegen der häßlichen Hitze, wegen des üblen Geruches geschaudert. Es sah seinen Leib an; der Leib war weiß und fehlerlos; man mußte sich wundern, daß in einer Luft, die wie zersetzt, wie faulig war, etwas so fehlerlos bleiben konnte!

      Das Mädchen hatte keinen genauen Begriff, welche Zeit es war, nach den Geräuschen konnte es neun oder zehn oder auch elf sein – die Vormittagsgeräusche blieben sich nach acht ziemlich gleich. Es war möglich, daß die Wirtin, Frau Thumann, gleich mit dem Morgenkaffee hereinkam. Nach Wolfgangs Wünschen hätte sie aufstehen und sich anständig bekleiden, auch ihn zudecken müssen. Nun gut, sie würde es gleich tun. Wolfgang hatte so überraschende Anfälle von Anstand ...

      Es ist doch gleich, sagte sie etwa zu ihm. Die Thumann ist es so und noch ganz anders gewöhnt. Wenn sie nur ihr Geld bekommt, stört sie gar nichts ...

      Stören –? hatte Wolfgang zärtlich gelacht. Stören, wenn sie dich so sieht –?!!

      Er hatte sie angesehen. Immer wurde ihr unter solchen Blicken von ihm schwach und zärtlich. Sie hätte ihn an sich ziehen mögen, aber da sagte er schon ernster: Es ist doch unsertwegen, Peter, unsertwegen! Wenn wir jetzt auch drinsitzen im Dreck; richtig im Dreck sind wir erst, wenn wir nicht mehr auf uns aufpassen ...

      Ein Kleid macht doch nicht anständig, kein Kleid nicht unanständig, fing sie an.

      Und wenn es nur ein Kleid ist! Darauf kommt es nicht an! hatte er fast heftig gesagt. Wenn es nur irgend etwas ist, was uns erinnert. Wir sind kein Dreck, ich nicht und du auch nicht. Und habe ich es erst einmal geschafft, wird uns alles viel leichter sein, wenn wir

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