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Das Lied des Steines. Frank Riemann
Читать онлайн.Название Das Lied des Steines
Год выпуска 0
isbn 9783742782533
Автор произведения Frank Riemann
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Ein klatschendes Geräusch riss O`Mailey aus seinen Gedanken und er blickte auf. Wilson Maddicks, der Kollege, den er gebeten hatte, die Schriftzeichen zu überprüfen, hatte ihm eine kleine Mappe vor seinem Kopf auf den Tisch geknallt.
»Was soll das, Maddicks? Was ist das?«
»Das fragst du mich? Du wolltest doch, dass ich dir etwas über dein Gekritzel besorge. Also, pass auf: Hier in Australien bin ich überhaupt nicht fündig geworden. Aber jetzt kommt`s. Einem Professor Sniegorsky, Sniewolsky, oder so ähnlich, von der Universität in Acton in Canberra, hat das zu denken gegeben und er erinnerte sich eines Freundes an der Notre Dame University in Indiana in den USA, eines gewissen Prof. Grossman. Dem wiederum kam das irgendwie bekannt vor.«
»Ja, und?«, sah O`Mailey einen Silberstreif am finsteren Horizont. »Was hat er herausgefunden?«
»Nicht so hastig. Er forschte seine Computerdateien durch und ging ins Internet, und fand gar nichts.«
»Na toll.« Der Inspector war enttäuscht. »Also doch wieder das Selbe. Eine Sackgasse und ich stehe mit leeren Händen da.«
»Langsam, langsam«, entgegnete Maddicks. »Dass der gute Mann nichts gefunden hat, obwohl er meinte, Ähnliches schon einmal irgendwo gesehen zu haben, ließ ihm keine Ruhe. Er kletterte auf seinen Dachboden, was er lobenswerterweise sofort tat, denn in Indiana ist es Sonntagabend, und stöberte in einer großen Kiste nach seinen handschriftlichen Aufzeichnungen aus seiner eigenen Studienzeit. Das hat er mir übrigens Alles selbst erzählt. Seine Telefonnummer findest du auch in der Mappe. Sie enthält das, was er gefunden und uns rübergefaxt hat. Ich muss dir ehrlich sagen, die Geschichte fand ich nicht uninteressant. Trotzdem bleibe ich dabei, das war das letzte Mal. Du bist mir etwas schuldig und in Zukunft machst du deine Sachen alleine, damit das klar ist.«
»Ja, schon gut, ich hab`s kapiert. Und Maddicks...«, er rief den Kollegen, der sich zum Gehen gewandt hatte, zurück. Dieser drehte sich widerwillig um. »...Danke.«
»Alles klar. Merk dir nur, dass es das letzte Mal war, dass ich dir einen Gefallen getan habe.«
Er ging und Henry sah ihm nach. »Warum behandeln mich alle wie den letzten Dreck?« Er spielte mit der Mappe in seinen Händen. »Bin ich wirklich so ein Loser? Und wann hatte das angefangen, oder war es schon immer so gewesen und ich habe es früher nie bemerkt. Aber vielleicht halte ich gerade jetzt die Lösung zu einem Geheimnis in meinen Händen, Alles wird gut und ich habe eine strahlende Zukunft vor mir.« Aber so richtig mochte der Inspector nicht daran glauben. »Meine Zukunft ist erst dann strahlend«, dachte er, »wenn ich mit einem Brennstab aus Uran oder Plutonium in der Tasche rumlaufe.«
Henry öffnete die Mappe und entnahm ihr ein einziges Blatt Papier. Oben links war mit einer Büroklammer seine eigene Zeichnung befestigt und oben rechts ein Zettel mit einer ganz ähnlichen Skizze. Die Gemeinsamkeiten waren nicht zu übersehen. Trotzdem waren sie nicht identisch. O`Mailey nahm sie vorsichtig ab und legte sie nebeneinander vor sich auf den Tisch.
Auf dem Blatt stand: »Leider konnte ich Ihre Zeichnung nicht hundertprozentig identifizieren, geographisch oder ethnisch zuordnen oder gar übersetzen, aber ich bin auf etwas gestoßen, dass Ihnen vielleicht weiterhelfen wird. Ich habe Ihnen eine Schriftprobe beigelegt, die mir während meiner Studienzeit in die Finger gefallen war. Sie werden die Ähnlichkeit erkennen. Auch habe ich keine Erinnerung oder Notiz mehr, woher ich sie habe, aus welchem Buch oder von welchem Dozenten. Aber einige Anmerkungen habe ich mir dennoch gemacht. Die von mir beigelegten Schriftzeichen ordnet man einem kleinen Eingeborenenstamm zu, den Wodongo-Ashanti, die allerdings mittlerweile ausgestorben sein dürften, da selbst im vorigen Jahrhundert die Zahl ihrer Mitglieder gering war. Sie lebten an einem winzigen Zufluss des Flusses `Weißer Volta` in der Nähe des heutigen Tamale in Ghana/Westafrika. Man vermutet, und ich sage das mit Absicht, weil es nie gelungen ist, diese Schrift vollends zu übersetzen, also man vermutet, dass es sich hierbei um Verse, Lieder, Gedichte und Sagen handelt, die die Stammesgeschichte und -tradition beinhalten und von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Das ist insofern bemerkenswert, weil diese Naturvölker dies sonst nur auf dem mündlichen Wege taten. Der exakte Wortlaut muss also von außerordentlicher Bedeutung gewesen sein und man legte großen Wert darauf, dass dieser nicht im Geringsten verfälscht wurde. Schriftzeichen, die unseren hier ebenfalls ähnlich sind, fand man bei einem Stamm, der in der Nähe von Coari lebte, im tiefsten Amazonasdschungel.
Sie sehen also, es bleibt mysteriös. Es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht mehr sagen kann. Bei weiteren Fragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung. Wenn diese Geschichte eine Pointe hat, bin ich überaus begierig, sie zu erfahren. Freundlichst, Prof. Isaac Grossman.«
O`Mailey dachte, er hätte etwas übersehen und las das Schreiben noch einmal. War er denn wirklich nicht in der Lage, zu erkennen, was er dort in Händen hielt, oder waren das unwichtige Erkenntnisse, die ihn genauso wenig weiterbrachten, wie seine anderen Ermittlungen auch? Wie dem auch war. Den Text las er wohl, nur half es ihm nicht. Seine Euphorie, die zu wachsen begonnen hatte, wie eine Blume, die den tauenden Schnee durchbrach, verkümmerte und er war abermals in einem Labyrinth aus Fragen gefangen und sah keinen rettenden Ausweg. Es taten sich sogar neue Wände vor ihm auf. Wie sollte ein afrikanischer Eingeborener von einem Stamm, den es wahrscheinlich gar nicht mehr gab, nach Australien kommen; das wäre doch bekannt geworden. Und warum sollte er hier eine ganze Familie auslöschen und auch noch seine blöde Stammesgeschichte an die Wand schreiben? O`Mailey nahm erneut seine Denkerstellung ein und fragte sich abermals ungefähr einhundert Mal, warum immer ich?
Seine Gedanken schweiften mal hierhin, mal dorthin. Seine Welt drehte sich immer schneller in seinem Kopf.
Ob durch die Vorstellung, wie sich ein afrikanischer Ureinwohner in einer fremden Welt zurechtfinden musste, die er nicht verstand, oder durch den Wunsch etwas zu leisten, damit er von seinen Kollegen als einer der ihren akzeptiert wurde, wusste er nicht zu sagen, aber plötzlich standen Henry wieder Ereignisse aus seinen Kindertagen vor Augen. Das war nun schon das zweite Mal an diesem Tag. Davor hatte er schon viele Jahre nicht mehr an diese Zeit gedacht, waren die Erlebnisse von damals auch gar nicht als Fluchtpunkt aus seiner trüben Realität geeignet. Dennoch sah er nun einige Geschehnisse so klar vor sich, als würde er sich einen Film anschauen.
Dummkopf war gerade dabei die Treppe zu wischen, die vom Eingangsbereich nach oben zu den Zimmern der Damen führte. Seine Knie und sein Rücken taten ihm weh und die Haut an seinen Fingern begann schon zu schrumpeln. Das Holz war alt und der Lappen auch, sodass er immer wieder mit einzelnen Fäden an hervorstehenden Spänen hängenblieb, was den Lumpen noch mehr zerfaserte. Von unten trat seine Mutter an ihn heran und stieß ihn mit