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sich gut erholt und glaubte, mit Elan allen Aufgaben gewachsen zu sein.

      „Die Politinformation werden wir im Anschluss an unsere organisatorischen Dinge erledigen“, sabotierte er die Anordnung der Direktorin.

      Er entschied sich deshalb anders, weil er der Meinung war, die gute Organisation der Lernarbeit wäre wichtiger für das Vorankommen der Schüler als der ganze andere Kram. Außerdem konnte er als Geschichtslehrer aktuelle Ereignisse besser in Konsistenz mit dem zu behandelnden Stoff bringen.

      Er diktierte nach der Bucherfassung den neuen Stundenplan, sprach über die Aufgaben des neuen Schuljahres und über feststehende Termine der schriftlichen Prüfungen und Möglichkeiten einer effektiven Vorbereitung darauf.

      Das Problem Regina sprach er bewusst nicht an. Er wollte nicht, dass dieses Mädchen wegen der Flucht ihres Vaters in den Westen diskriminiert wird. Er war sogar dafür, dass sie ihren beantragten EOS-Platz erhalten sollte. Bis zur Wahl der neuen FDJ-Leitung sollte sie auch noch FDJ-Sekretär bleiben.

      Die Erledigung der organisatorischen Fragen ermöglichte keine Zeit mehr für die Politinformation, und darüber war nun Müller gar nicht traurig.

      Das Schuljahr lief für Müller verfassungsmäßig günstiger an als das Vorjahr. Den Klassenleiterplan konnte er schon vorfristig abgeben. Er hatte ihn kürzer und konzentrierter nach der Vorgabe des Arbeitsplanes der Chefin geschrieben und bekam ihn sogar mit einer anerkennenden Bemerkung zurück.

      Er kontrollierte ständig die Lernarbeit seiner Schüler, hospitierte bei in seiner Klasse unterrichtenden Kollegen, um schwache Schüler zu beobachten und gleich helfend einzuschreiten.

      Im Jahr zuvor gab es häufige Klagen von Fachlehrern über unerledigte Hausaufgaben. Deshalb verglich er auch die Hausaufgabenhefte, die jeder Schüler führen musste, mit den eingetragenen Hausaufgaben der Lehrer im Klassenbuch. Schließlich sollten seine Schüler sicher die Prüfungen bestehen.

      Besonders die Jungen hatten mit der Ordnung zu kämpfen. Aber allmählich gewöhnten sie sich daran.

      Die Hausaufgaben wurden gewissenhafter angefertigt und die Leistungen verbesserten sich.

      Selbst Dörtes schlechte Lernergebnisse des Vorjahres gerieten in Vergessenheit.

      Nur Regina ließ nach. Sie hatte zusammen mit ihrem Bruder einen Ausreiseantrag gestellt. Sie wollte nun doch zu ihrem Vater übersiedeln.

      Müller selbst hatte Anfang September eine Einladung aus dem Schwarzwald zum 96. Geburtstag seiner Tante bekommen.

      Nach über zwanzig Jahren Mauer waren die Reisermöglichkeiten zu Verwandten ersten Grades in den Westen bei wichtigen Familienangelegenheiten etwas gelockert worden. Das betraf die leiblichen Eltern, Geschwister, Onkel, Tanten und deren Kinder.

      Er glaubte, seine Nerven spielten nicht mehr mit. Er ahnte schon seit der Reise in die Tschechoslowakei 1968, was wieder auf ihn zukommen würde.

      Frau Sanam sagte ihm klipp und klar:

      „Ich lehne diese Fahrt in die BRD ab. Es ist ja bloß deine Tante.“

      „Ich bestehe aber trotzdem auf einer Fahrt dorthin!“

      „Gut, ich werde deinen Antrag mit meiner Ablehnung an die Abteilung weiterleiten.“

      Müller wusste nicht, dass Schuldirektoren angewiesen wurden, grundsätzlich befristete Ausreiseanträge in den Westen abzulehnen.

      Müller hatte einen Kloß im Hals und das dämliche Gefühl des Schuldigseins, das er kaum überwinden konnte, als er in der Abteilung Volksbildung vorsprach. Das Gespräch dort verlief wie ein Verhör.

      „Wissen Sie überhaupt, in was für ein Land Sie da fahren wollen, Kollege Müller?“

      Das hatte er schon einmal vor Jahren gehört.

      „Sagen Sie mal, Ihre Tante, was ist denn das für eine? Sind Sie überhaupt mit ihr verwandt? Wann war sie denn das letzte Mal in der Deutschen Demokratischen Republik? … Waaas? 1958? Vor dreißig Jahren? Na, da können Sie doch nicht behaupten, Sie hätten noch innige Verbindungen mit ihr!“

      „Mit ihren 70 Jahren damals konnte sie eben nicht mehr so viel herumreisen.“

      „Warum sind Sie dann nicht selbst dorthin gefahren?“

      In dem Augenblick hätte er dem Vertreter der Abteilung Volksbildung wer weiß was antun können. In seinen Gedanken wurde er ausfallend; es brüllte in ihm: ’Du altes Arschloch weißt doch selbst, dass eure verfluchte Mauer mich daran gehindert hat!!!’

      Müller zwang sich zur Ruhe. Am Freitag sollte über seinen Antrag entschieden werden. Diesen Vertreter hatte er schon einmal als besonders scharfen Genossen in der Schule erlebt, nachdem eine Kollegin es gewagt hatte, einen ständigen Ausreiseantrag in die Bundesrepublik zu stellen, das heißt, sie wollte dorthin umziehen – nicht nur verreisen. Vor versammeltem Kollegium wurde die Lehrerin heruntergeputzt und anschließend vor ihrer fristlosen Entlassung noch das Gedicht von Brecht „Der Klassenfeind“ durch den Vertreter rezitiert. Ragnit, der einer Blockpartei angehörte, musste eine Stellungnahme von Seiten des Kollegiums abgeben. Müller beneidete ihn nicht, war dann aber doch erstaunt, dass sie noch einigermaßen verträglich war. Er sagte lediglich, dass er ihren Schritt nicht versteht und er selbst ihn auch nie unternehmen würde.

      Er denkt, dass sich auch seine Kollegen dem anschließen.

      Dieser ach so linientreue hartgesottene Genosse wurde einige Monate später unehrenhaft entlassen, weil er Gelder unterschlagen hatte.

      Als er nach dem entscheidenden Freitag in der Abteilung Volksbildung vorsprach, überreichten sie ihm ein Schreiben, das die Erlaubnis enthielt, ausreisen zu dürfen. Grund zum Jubeln gab es aber immer noch nicht. Jetzt musste er zur Volkspolizei. Wieder wurden Fragen nach ganz persönlichen Dingen gestellt. Es war peinlich und erniedrigend. Wieder kam in Müller dieses Schuldgefühl, etwas ganz Schlimmes zu tun, hoch. Endlich, endlich gaben sie ihm den offiziellen Antragsvordruck für die befristete Ausreise in das Ausland, den er sofort auszufüllen hatte. Er trug die Adresse seiner Tante ein, den Grund seiner Reise und gab den Antrag zusammen mit der Geburtsurkundenkopie und der Lebendmeldung vom Einwohnermeldeamt seiner Tante sowie zwei Passbilder für den Reisepass ab. Kurz vor den Herbstferien sollte er sich dann wieder melden.

      Aus diesen Erfahrungen heraus nahm sich Müller vor, bei einer Befragung über seine Schülerin Regina nur günstig für sie zu sprechen.

      Bis zu den Herbstferien waren aber an der Schule noch die hektischsten Tage zu überstehen: die Vorbereitung und die Wahl des Klassenelternaktivs und der FDJ-Leitung.

      Müller traf sich deshalb in der ersten Woche nach dem Schulbeginn mit seinem Elteraktiv, dem sich auch das der Parallelklasse zugesellte. Das hatte er mit der anderen Klassenlehrerin so vereinbart.

      Auf diese Art konnten sie konstruktiv die Abschlussfeier am Schuljahresende vorbereiten und bereits jetzt wichtige Aufgaben verteilen, die eine Organisation der Räumlichkeiten, das Essen, die kulturelle Umrahmung, die finanzielle Frage, die Disco und anderes betrafen.

      Die Frage des Raumes, in dem die Feier stattfinden sollte, war schon geklärt worden. Eine Mutter arbeitete als Leiterin einer HO-Gaststätte (Handelsorganisation der DDR), die über einen für diesen Anlass würdigen Saal verfügte. Sie wollte sich auch um das leibliche Wohl kümmern. Ein Kollege hatte einmal Müller zugeflüstert:

      „Wer als Klassenlehrer die Möglichkeiten seiner Eltern nicht nutzt, ist selbst daran schuld.“

      Der Saal sollte die Schule nichts kosten. Trotzdem musste sechs bis acht Wochen vorher der Vertrag abgeschlossen werden. Bis zum 30. Juni 1989 sollten alle Gelder für das Buffet, die Getränke und andere Kosten von den Eltern eingezahlt sein. Man dachte so an 15,-- bis 20,-- Mark.

      Über die Disco gab es immer noch die Debatte, ob es viel oder wenig Westmusik sein sollte. Müller zog es vor zu schweigen.

      „Wie steht das denn eigentlich mit den Gästen, die aus der BRD anreisen? Wie viele Gäste erlauben wir

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