Скачать книгу

erweckt haben, dass Alkohol im Spiel sein könnte. Ehrgeiz hatte er für keinen Schimmer, er schien ganz zufrieden mit seiner bescheidenen Position. Befördert wurde er auch nicht. Ich habe mich nie wirklich für seinen Beruf interessiert, ganz im Gegenteil, ein wenig peinlich war er mir. Gegenüber Bekannten und Freunden sprach ich immer davon, dass Bernhard Kriminalkommissar sei, das hatte ja auch deutlich mehr Prestige. Als er sich nach 12 Jahren Ehe in Maximiliane, einer viel jüngeren Frau verliebte, wurde ich von Hass und Eifersucht zerfressen.

      Das darf doch nicht wahr sein. Ich sitze gerade in meinem neuen Lieblingslokal, einem Bistro, in das ich während meiner Ehe nie gegangen bin, schon gar nicht mit Bernhard. Als er mir nach über 12 Jahren Ehe sagte, er sei mit einer viel jüngeren Frau zusammen, habe ich ihn hinausgeworfen und gesagt: "Versuch mir aus dem Weg zu gehen. Ich will euch nicht zusammen sehen. Dafür ist unsere Stadt zu klein."

      Nun kommt er ausgerechnet hierher, mein Noch-Ehemann mit Maximiliane, der neuen Frau an seiner Seite. Jetzt setzen sie sich an einen Tisch nahe am Eingang, haben mich nicht bemerkt, ich kann sie ungeniert beobachten. Bernhard sieht verändert aus, viel entspannter, gelockerte Gesichtszüge, braun gebrannt, schlanker, er scheint jetzt Sport zu machen. Er legt den Arm um die schmalen Schultern der Frau. Sie trägt einen zu großen Pulli, offenbar handgestrickt, hat die Haare lose und offen und ist kaum geschminkt. Pur Natur also. Aber alles in ihrem Gesicht lächelt, ihr blauen, frischen Augen, die Grübchen, der fein geschnittene Mund. Und sie hat nur Augen für ihn. Bernhard bestellt, jetzt werden zwei Tassen Capuccino gebracht und ein Stück Apfelkuchen mit Schlagsahne mit zwei Kuchengabeln. Aber Bernhard lässt sich füttern. Dabei hält er die ganze Zeit ihre Hand. Sogar Schlagsahne schluckt er, die er immer verabscheute. Schluckt er alles, was sie ihm darreicht? Ich rühre in meinem Tee, der kalt geworden ist und kämpfe mit einem dicken Kloß im Hals. Meine Finger zittern und mein Herz klopft schneller.

      Vor einem guten Jahr teilte er mir mit, er wolle sich von mir trennen, meine Welt brach auseinander. Als Grund nannte er, er habe jemanden anderen einfach lieber als mich. Das sei alles. Heute denke ich, ich hätte die Anzeichen an der Wand sehen können, wenn ich mich ein wenig mehr für ihn und das, was ihn so umtrieb, interessiert hätte.

      Als wir uns vor 14 Jahren über den Weg liefen, war ich auf der Suche nach einer heilen Welt. Meine Vorstellungen von Familienleben waren diffus und idealisierend zu gleich. In meinem Elternhaus hatte es ständig gekriselt, meine Mutter war hypernervös und überkandidelt, so nannte es zumindest mein Vater, er selbst hatte ständig Affären, die sogar uns Kindern bekannt waren, wir lebten immer in der Angst, dass die Familie völlig auseinander fallen würde. Mein Vater war Hochschullehrer, uns Kindern hat er vor allem beigebracht, sich stets anzupassen. "Fallt im Leben möglichst wenig auf, dann kommt ihr gut über die Runden." Seltsamer Rat, den er selbst ja schon mal gar nicht befolgte, denn in unserer kleinen Stadt machten die Gerüchte über seine "Neben-Frauen" kontinuierlich die Runde und wir standen auf dem Präsentierteller, schamrot und peinlich berührt. Ich wollte so schnell wie möglich aus dem Haus, nach der sechsten Klasse Gymnasium ging ich ab, um eine Ausbildung zur Bankkauffrau zu machen.

      Bernhard lernte ich kennen, als er mich einmal abends mit dem Streifenwagen anhielt und ins Röhrchen blasen ließ, weil ich ihm aufgefallen war. Ich hatte tatsächlich zwei, drei Glas Wein getrunken, es war nicht mehr im grünen Bereich, aber ich alberte mit ihm herum und lenkte ihn ab. "Ich will ein Auge zudrücken," sagte er. Hätte er eigentlich gar nicht tun dürfen, ich fand das sehr anständig. Wir verabredeten uns, ich dachte, das sei ich ihm auch schuldig, und diese Haltung blieb wohl in mir zurück. Unsere Beziehung nahm Formen an und eines Tages kam es wirklich so weit, dass er mir einen Antrag machte. Zu diesem Zeitpunkt steckte ich in einer Krise, in meiner Bank lief es nicht gut, der Abteilungsleiter mobbte mich, ich erhielt schlechte Bewertungen, - so klammerte ich mich an Bernhard, er war der Strohhalm, der mich an Land ziehen sollte.

      Meinen Bekannten gegenüber war mir der Beruf meines Mannes peinlich, denn über das Streifenwagen-Dasein kam er nie hinaus, wollte es auch nicht. Ich sprach meinen Freunden gegenüber davon, dass er Kriminalkommissar sei, das hatte ja zweifellos viel mehr Renommee. Bernhard kam ohnehin selten mit, wenn wir eingeladen waren, weil er viele Abend- und Wochenenddienste übernahm, und wenn, dann saß er meist in einer stillen Ecke und unterhielt sich mit anderen Underdogs übers Angeln oder Modellbauen. Als es einmal fast soweit war, dass das Geheimnis platzte, nämlich als meine Freundin Ina ihn am Arm nahm, "Bernhard, Sie machen sich so rar, das liegt sicher an Ihrem verantwortungsvollen Beruf!", und ihn anderen Gästen als 'Kommissar Brückner' vorstellte, fast so, als sei er ein berühmter Fernsehkommissar, griff ich ein und zog ihn weg.

      Zuhause machte er mir eine Szene: "Du schämst dich wohl mit mir, weil ich nur Streifenpolizist bin! Was soll dieses Theater.."

      "Nein, nein," rief ich, "Ina hat da einmal etwas falsch verstanden und seitdem ist sie der Meinung ... - "

      Das war wohl der erste schlimme Riss in unserer Beziehung. Ab diesem Zeitpunkt zog sich Bernhard noch mehr von uns zurück, blieb in seiner Freizeit viel im Hobbykeller und tüftelte an seiner Modelleisenbahn. Nur unser Sohn Rupert durfte da mitmachen.

      Seltsam, wenn ich heute darüber nachdenke, kommt es mir vor, als hätten wir zwei verschiedene Leben nebeneinander her geführt und der Storch unsere Kinder gebracht. Aber ich war ein Muster an Anpassungsfähigkeit - ich hatte meinen Halbtagsjob und dieser füllte mich aus. Meine sinnlichen Bedürfnisse hielt ich gedeckelt. Es war ja kein schlechtes Leben, lauwarm und mittelmäßig, das führen ja viele.

      Saskia fiel es zuerst auf. "Immerzu erzählst du von Maximiliane," moserte sie ihren Vater eines Tages beim Abendbrot an. "Maximiliaaaaaane! Blöder Name!" Es stimmte, von dieser jungen Kollegin, die neuerdings mit ihm Streife fuhr, erzählte er ständig, wie begabt sie sei, wie einfühlend, wie herzlich in ihrer Art, wie viel Spaß es machen würde, sie an seinen Erfahrungen teilhaben zu lassen. Geradezu redselig konnte er da sein. Ich wurde misstrauisch. "Wer ist denn diese Frau?"

      "Ach Gott, ein wirklich nettes junges Mädchen. Frisch von der Ausbildung."

      "Na, noch unerfahren? Das gefällt dir wohl."

      "Nein, unerfahren ist sie eigentlich nicht, sie hat viel Gespür und Instinkt, sie kann mit Leuten klasse umgehen."

      "Muss man das denn als Verkehrspolizist?"

      Bernhard sah mich erstaunt an. "Natürlich, das ist ja das Wichtigste. Denkst du, wir haben nur die Verkehrsregeln im Kopf?"

      Mir wurde jäh klar, wie wenig ich von ihm wusste und senkte den Kopf über meinen Teller. Bernhard ging dann darüber hinweg, aber in der Folgezeit wurde er immer eigenbrötlerischer und verschlossener.

      Worüber sprechen die beiden jetzt? Sicherlich über das drei Monate alte Baby, junge Eltern tun das ständig. Welche Laute es ausstieß, wann es wie gelächelt hatte. Gott wie peinlich! Er himmelt sie an, das ist so übertrieben sentimental, so kenne ich ihn gar nicht. Mir wird ganz heiß. Ich sitze da und mein Hass verstopft mir die Kehle. Am liebsten würde ich "Du Schwein" quer durch das Lokal an seinen Tisch schreien, aber das würde gar nichts helfen. Etwas an den beiden ist es, das mir den Mund verschließt und mich mutlos macht. Ist es die Ruhe, die sie beide ausstrahlen? Diese peinliche Glückseligkeit, die in ihrem hingebungsvollen Lächeln liegt?

      Dann zog Bernhard zu Maximiliane. Ein paar Mal kam er zu uns, um die Kinder zu sehen. Jedes Mal hoffte ich inständig, er würde sagen: "Ich habe es mir überlegt, ich komme zu euch zurück. Das ist dir doch recht, oder?" Aber er ging durch die Wohnung, wie jemand der Abschied nimmt, strich über vertraute Sachen, Bilderrahmen, Andenken, sah sich Fotos an. "Mein Gott, und das gebe ich alles auf?", hörte ich ihn einmal murmeln. Beim Abschied war er dann traurig. Aber er ging und ich hatte nie das Gefühl, dass er von mir wegging, sondern von seinem alten Leben. Und das aufzugeben fiel ihm schwer.

      Natürlich hatte ich Tobsuchtsanfälle, schlimme Ausbrüche, dann nannte ich ihn "Mistkerl, Schwein, Verräter", zertrümmerte Vasen und kehrte mein Innerstes nach Außen. Aber ich fürchte, das machte es für ihn nur noch leichter.

      Als Rupert letzten Winter an einer schweren Grippe erkrankte, die in eine Lungenentzündung auszuarten drohte, wusste ich mir keinen Rat mehr und rief Bernhard um Hilfe. Er

Скачать книгу