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Wie Opa und ich die Deutsche Einheit feierten. Katrin Pieper
Читать онлайн.Название Wie Opa und ich die Deutsche Einheit feierten
Год выпуска 0
isbn 9783847699446
Автор произведения Katrin Pieper
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Es wurde ein anstrengender Urlaub für ihn, denn morgens um vier stand er am Wasser und lag gegen acht Uhr wieder in seinem Beet. Mama klagte volle drei Wochen über einen leichten Fischgeruch im Zimmer, den sich keiner erklären konnte. Ich auch nicht. Aber ab September hatte ich endlich den neuen Lenker an meinem Fahrrad, wenngleich Papa versucht hatte, billiger davonzukommen, was ich aber nicht zuließ.
Bevor er seine Reise antrat, hatte Opa Tante Sofie gefragt, womit er ihr eine Freude machen könnte. Die Kuckucksuhrenphase war wohl vorbei, die Tante wünschte sich etwas Schmuck, vielleicht ein oder zwei Bernsteinketten.
Opa hat sie mir heimlich gezeigt.
"Und das ist erlaubt?", fragte ich zweifelnd. Opa zuckte die Achseln.
"Häng sie mir eben um den Hals. Was kann man gegen einen alten Mann sagen, der gern Bernsteinketten trägt. Manche haben einen Ohrring oder goldene Armbänder, ich trag eben was Natürliches, eben Steine."
Wir betrachteten Opas kräftigen Hals im Spiegel, den zwei Bernsteinketten leicht würgten.
"Kann sein, die glauben dir nicht, und dann muss Papa wieder herhalten, das geht auch mal schief", gab ich zu bedenken.
Opa starrte sein Spiegelbild an.
"Steht mir irgendwie nicht", nuschelte er.
"Außer du ziehst das Hawaiihemd an und die Jeans, die du nicht magst."
Opa zog sich um, legte die Ketten an, ich holte seinen alten Strohhut.
"Wie der alte Henry Fonda, bloß ohne Gitarre", sagte ich. "Nana", knurrte er, "so ein faltiger alter Hahn bin ich ja nun nicht."
Den Hut hätte er sowieso nicht mitgenommen, dafür aber Hawaiihemd, Jeans und Bernsteinkette - Suse würde das einen "scharfen alten Knochen" genannt haben. Aber Suse und der Rest der Familie durften ihn so nicht sehen. Was eigentlich schade war.
"Zieh ich mich eben auf dem Bahnhof oder im Zug, kurz vor der Grenze um", entschied Opa und riss den alten Reißer noch mal hoch. Am Abreisetag hätte uns eigentlich schon etwas auffallen müssen. Ganz gegen seine sonstige zärtliche Art, uns allen auf den Rücken zu hauen, dass man auch noch drei Tage danach wusste, wer sich da verabschiedet hatte, umarmte er uns, sogar Oma, schnäuzte gerührt in ein absolut sauberes Taschentuch. Ich hab ihm dann schließlich noch die Reinigungsmarke vom Hosenbund abgerissen - dann zog er davon. Zuerst schickte Opa alle paar Tage eine Karte, worauf zu lesen stand, wie gesund und munter er sei, wie sehr Tante Sofie ihn verwöhnte, was Oma zu kurzen schrillen Schreien veranlasste, dann aber gewöhnten wir uns an längere Pausen, denn dann kamen die bunten Karten aus Italien und Spanien, jedenfalls aus südlichen Ländern. Mama und Oma wurden immer stiller, wenn wieder so ein buntes, glänzendes Lebenszeichen eintraf. Manchmal trugen die Karten auch ein Kreuzchen, damit zeigte uns Opa, wo er gerade wohnte. Mama und Oma seufzten, aber aus sehr unterschiedlichen Gründen: Mama packte die südliche Reiselust, Oma fehlte der Zankpartner. Mir fehlte Opa. Opa war laut, hatte immer recht, schimpfte auf die Regierung, die alles einsperrte, was hinaus wollte, und wenig von dem hineinließ, was Opa sich wünschte. Opa war immer direkt und bei ihm wusste man, woran man ist. "Ich sag, wie's ist", war sein Lieblingssatz, auch wenn es nicht so war, wie er es sah.
Opa hatte immer seine Beziehungen, wie er es nannte.
Wenn man mit Opa einkaufen ging, zwinkerten die Verkäuferinnen ihm zu und holten unter dem Ladentisch etwas Eingepacktes hervor. Manchmal schob auch Opa was Eingewickeltes rüber, dann sagten die Verkäuferinnen verlegen: "Ach das ist doch nicht nötig", und ließen es dort verschwinden, wo Opas Päckchen wohl gelegen hatte.
Danach war Opa immer unverschämt guter Laune, weil er, wie er es nannte, dem "maroden System ein Schnippchen geschlagen" oder "der Mangelwirtschaft in die Hacken gebissen" hatte.
Opa war Autogegner und Umweltschoner. Opa fuhr Fahrrad mit Anhänger. Da passte auch mal ein ganzer Karton mit Ketchup rein, eine "Rarität" wie Opa betonte, und gab pro Woche immer nur eine Flasche zum allgemeinen Familienverbrauch heraus.
Papa war ein Ketchupgegner, weil er sich nicht korrumpieren lassen wollte.
Opa grinste dann über den Tisch und meinte, dass Papa doch sonst auf Rot stünde. Worauf Papa immer betonte, aber nicht, wenn es von einer solchen Flasche käme. Dann herrschte eine Weile Schweigen und Oma knurrte: "Na. Na. Irgendwann muss sich das doch mal geben."
Das hat es ja auch, denn Opa war nun mal weg.
Zu Anfang war Oma ja friedlich und betonte, wie sehr die Ruhe und die Harmonie unserem Familienleben und ihr guttäten. Aber dann ließ sie sich von mir eines Tages die Schularbeiten zeigen und wollte unbedingt mitwirken an der Gestaltung meiner Leistungskurven. Das klappte nun mal gar nicht, denn Omas und mein Schulbildungssystem waren, wie Papa es nannte, nicht kompatibel. Das hätte er so direkt nicht sagen sollen, außerdem: Oma verwechselte es mit kompetent.
"Aber fürs Kuchenbacken und Einkaufen", erwiderte sie spitz, "dafür bin ich kompatibel genug!"
Papa erklärte zunächst noch geduldig, aber Oma hörte nicht hin und schrie nur: "Ich weiß, was ich weiß und das lasse ich mir nicht nehmen."
So langsam kamen wir auch ohne Opa wieder in die Gänge, was Mama doch wieder veranlasste, über die Auflösung unserer Mehrgenerationenwohnung nachzudenken.
"Aber Oma ist doch jetzt allein", warf ich in Mamas lautstarke Überlegungen ein, "und zu alt ist sie auch."
"Oma ist nie zu alt und auch nie allein. Das müsstest du allmählich gelernt haben", erwiderte Mama nervös, was daran zu merken ist, dass sie mit beiden Händen in ihren Haaren herumfuhrwerkt. Danach sieht sie immer aus wie ein Mopp, was ihr eigentlich gar nicht so schlecht steht.
"Mit ein bisschen Gel ist das eine affengeile Frisur", stellte Suse fest, "solltest du echt mal machen."
Die Stimmung erreichte ihren Höhepunkt, als Opas Brief eintraf in dem er uns mitteilte, vorläufig nicht wieder zurückzukommen, denn hier hätte er alles, wonach er sich im Stillen immer gesehnt und nie so richtig hätte aussprechen können. Ich hatte eigentlich immer gedacht, dass Opa alles herausgebrüllt hätte, was so seine Sehnsucht gewesen war.
Nun sind die Menschen ja verschieden. Mancher plauzt alles raus und sehnt sich dennoch im Stillen. Das ist schwer herauszukriegen.
Oma warf sich schluchzend an Mamas Hals und heulte ihre neue Bluse nass, Mama hielt durch.
"Warten wir's doch mal ab. Vielleicht ist er auch in vier Wochen wieder hier, kennst doch deinen Mann, der sagt viel, wenn der Tag lang ist."
Oma ließ ihr nasses Taschentuch sinken.
"Ich hab's geahnt, was der alles eingepackt hat, nicht Pino, die alte braune Reisetasche wäre ja bald geplatzt. Ich hab's geahnt, ein Schlawiner ist er doch immer gewesen. Was weiß ich denn, was er noch so gemacht hat, wenn er sich immer so gesehnt hat und nach wem!"
Oma griff wieder zum Taschentuch und Mama holte Baldriantropfen.
Abends teilte sie Papa die Neuigkeit mit. Suse und ich saßen gespannt auf dem Sofa. Immerhin hatte er gerade seinen Vater verloren, war also gewissermaßen Halbwaise geworden.
Papa las Opas Brief mindestens dreimal. Wahrscheinlich hatte es ihm die Buchstaben verschlagen.
"Naja", sagte Papa schließlich, "irgendwann müssen wir ihn dann polizeilich abmelden. Herumsprechen wird es sich sowieso." Dann ging er hinaus, Mama hinterher, Suse und ich auch, wenigstens bis hinter die Küchentür.
Mama klirrte mit den Tellern, was ein ernstes Zeichen war, denn normalerweise halten das ihre Ohren nicht aus. "Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?", hörten wir sie fragen.
Suse verdrehte die Augen.
"In seinem Alter noch solche Sperenzchen zu machen", ächzte Papa. "Aber es verlangt schon einen amtlichen Vorgang, oder? ... "
"Tut