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Mails aus dem Jenseits. Walter Rupp
Читать онлайн.Название Mails aus dem Jenseits
Год выпуска 0
isbn 9783738010909
Автор произведения Walter Rupp
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Dann forderte er mich der Senior auf: “Gehen Sie mal mit mir in die Kleiderkammer und legen Sie diese öde Krankenhauskleidung ab. Anschließend warten Sie im Wartezimmer, bis Sie aufgerufen werden. Ich hoffe, dass Sie nicht so lange warten müssen wie ich. Ich warte schon über 3000 Jahre.” Auf meine Frage: Was haben Sie Schlimmes getan, sagte er: Ja, etwas ganz Schlimmes. Vielleicht haben Sie einmal in der Bibel die Geschichte von Simson gelesen, der mit seiner Kraft eine Tribüne zum Einsturz brachte? Dieser Simson bin ich, ein Selbstmord-attentäter. Ich habe in meiner Verzweiflung einige tausend Philister mit in den Tod gerissen. Da kamen ihm die Tränen.
Dann verabschiedete sich der mit den Worten: Wir werden uns noch öfter sehen. Ich scheine Dich erschreckt zu haben. Aber das ergeht allen Neuzugängen so. Vorgestern kam einer an und rief laut: „Bin ich nicht mehr in der Intensivstation? Ich werde doch nicht im Himmel sein?“ – Ja die Reaktionen der Neuankömmlinge sind oft recht merkwürdig.“
Es bleibt mir also nichts anderes übrig, als mich auf eine Zeit der Läuterung einzustellen. Hauptsache: ich habe ein Etappenziel erreicht.
Sobald ich wieder Zeit habe, hört Ihr wieder von mir.
Im Aufnahmebüro
Die sogenannten Lebenden sind nicht so lebendig, wie sie es sich einbilden,
und die Toten sind nicht so tot wie Ihr vermutet!
Ihr Lieben!
Die Aufnahmeformalitäten gingen bei mir nicht so zügig voran wie ich gehofft hatte, weil ich gleich bei meiner Ankunft mit einem grauhaarigen, älteren Herrn in einen heftigen Disput geriet, der, wie ich später erfuhr, Petrus heißt, einmal als Papst tätig gewesen sein soll, und jetzt für den Zugang zum Himmel verantwortlich ist, und außerdem den Auftrag erhalten hat, hier eine Kirche zu errichten, die keine Reformen mehr braucht und in jeder Hinsicht vollkommen ist. Er wollte von mir wissen, wie ich rückschauend mein Leben beurteile und was ich als misslungen betrachte. Ich sagte ihm, dass man da nicht mich, sondern die zur Rechenschaft ziehen sollte, die mir ständig Prügel in den Weg legten. Diese Antwort schien ihm nicht zu gefallen, denn er erwiderte schlecht gelaunt, hier müsse jeder bereit sein, über sich selbst zu richten. Aber Gewissenserforschungen habe ich schon auf der Erde gehasst.
Das Aufnahmebüro hier ist mit den modernsten technischen Hilfsmitteln ausgestattet und hat alle Lebensläufe aller Erdenbewohner, auch die bei Euch geschützten Daten in den Computern gespeichert. Man kann sie jederzeit abrufen und ist auf zusätzliche Informationen überhaupt nicht angewiesen. Bitte beachtet: Wenn ich von technischen Geräten oder Computern spreche, dann deshalb, weil Ihr Euch geistige Hilfsmitteln nicht vorstellen könnt.
Die vielen, die sich zeitlebens nie mit der Frage: ‘Was ist dann’ befassten und einfach so dahin lebten, sind bei ihrem Eintreffen höchst überrascht, wie schnell sie die ungeheuren Entfernungen zwischen dem Diesseits und dem Jenseits zurücklegen konnten. Manche bedauern, dass sie sich nicht, wie das in den vergangenen Jahrhunderten noch möglich war, behutsam auf das Nahen ihres Endes vorbereiten konnten, und dass Ihre Abreise von unten überhastet geschah. Man habe sie, sagen sie, hintergangen und auf heimtückische Weise einfach weggeholt, oft mit den modernsten medizinisch-technischen Geräten oder den sorgfältig getesteten Pharmaka, von denen sie sich Heilung erwartet hatten. In letzter Zeit wird bei Euch drunten nicht mehr gestorben. Die Leute sind einfach nicht mehr da.
Es ist merkwürdig, auf wie verschiedenen Weise die Leute hier ankommen. Eine Umwelt-Aktivistin zeigte sich überaus zufrieden, dass sie hierher geholt wurde. So sei sie, beteuerte sie, der nahe bevorstehenden Klima-Katastrophe entronnen. Das ökologische Gleichgewicht auf der Erde sei sosehr ins Wanken geraten und die Veränderungen in der Natur hätten ein solches Ausmaß angenommen, dass auch mit Hilfe der Wissenschaft die Funktionsfähigkeit der Naturgesetze künftig nicht mehr gewährleistet werden könnte. Auch ein Bankvorstand empfand Genugtuung darüber, dass man ihn nun drunten nicht mehr für die Milliarden Schulden, für die man ihn verantwortlich machen wollte, verantwortlich machen kann.
Der Prominenteste unter uns ist sicher Karol Wojtyla, der kürzlich verstorbene polnische Papst, den Eure Medien nicht in Ruhe sterben lassen wollten und mit ihren Kameras bis zum letzten Atemzug gierig verfolgten. Er macht einen etwas nervösen und ungeduldigen Eindruck. Er hatte sich wohl wegen der pausenlosen „Santo-subito-Rufe“, die hier sehr deutlich zu hören waren, Hoffnungen gemacht, man werde ihn schnell und unbemerkt an den Wartenden vorbei zu den Seligen bringen. Aber solche Forderungen, jemand aufgrund seines Amtes oder seiner imponierenden Erscheinung ungeprüft zum Heiligen zu erklären, hinterlassen hier keinen Eindruck. Man hält hier nichts von Volksentscheiden und ist hier nicht bereit, sich einem Plebiszit zu beugen.
Auffallend viele kommen schlecht gelaunt hier an und murren darüber, dass sie nicht länger drunten bleiben durften, auch die, die dem Leben gegenüber Ekel empfanden und froh sein sollten, dass sie von der Last des Lebens, unter der sie litten, nun befreit sind. Auch die Frommen, die drunten bei Euch ständig beteuerten, wie sehr sie sich nach dem Himmel sehnen, können ihre Enttäuschung nicht verbergen, dass sie nicht mehr auf der Welt sein dürfen
Einige Male musste ich mich wundern, wie sich mancher bei seiner Ankunft hier aufführt. Ein Neuankömmling von 41 Jahren – ein Jurist - wollte unter allen Umständen, dass man sein Ableben rückgängig macht. Er führte sich wie ein Irrer auf und wollte nicht einsehen, dass er - nur weil ein Chirurg unvorsichtig war – schon jetzt hier sein soll. Mit seiner vorzeitigen Abberufung habe man – sagte er - seine ganze Lebensplanung durcheinandergebracht, und ihn gerade jetzt, wo er dabei war, mit seinem Leben richtig zu beginnen, plötzlich weggeholt. Nun müsse er mit ansehen, wie seine Arbeiten unerledigt herumliegen, weil niemand in der Lage ist, sie zu erledigen. – Da er in seiner Erregung zu randalieren begann und schrie: „Diese Praxis, Menschen über ihre Lebensdauer im Ungewissen zu lassen, und statt der vielen, die das Leben als Last empfinden, die abzuberufen, die sich auf der Erde wohl fühlten, ohne sie zu fragen, ob sie damit einverstanden sind, ist inhuman und ein Verstoß gegen die Menschenrechte! Da er mit einem Prozess drohte, musste die himmlische Polizei gerufen werden. Sie lieferte ihn in die Psychiatrie ein, wo man ihn mit Behandlungsmethoden zur Vernunft bringen wird, die in Euren psychiatrischen Anstalten noch unbekannt sind.
Ein Ungläubiger, der ein Weiterleben nach seinem Tod unbedingt verhindern wollte und in seinem Testament die Anordnung gegeben hatte, man solle ihn einäschern und seine Asche anschließend zerstreuen, war höchst überrascht, als er hier erwachte und überaus glücklich, dass er sein Weiterleben doch nicht hatte verhindern können.
Den Engeln, die wegen der ungeheuren Zahl der Neuzugänge die Aufnahmestelle in Tag und Nachtschichten besetzt halten, damit niemand draußen warten muss, wird viel abverlangt. Es ist bewundernswert, mit welcher Geduld sie sich die Vorwürfe, sogar von Hundertjährigen anhören: „Warum lässt man mir keine Zeit, mich auf mein Ende vorzubereiten? Warum reißt man mich mitten aus dem Leben? Und warum lässt man mich mein Lebensende nicht selbst bestimmen?“ Aber die Engel machen stets höflich darauf aufmerksam, dass sie diese Entscheidung, wie lange oder wie kurz einer drunten sein darf, beziehungsweise sein muss, nicht treffen dürfen. Dies entscheide die oberste Instanz, der auch sie unterworfen sind. Sie hätten darauf keinen Einfluss.
Viele von uns fragen sich, warum nur Erwachsene, aber keine Kinder unter uns sind. Als ich meine Verwunderung darüber ausdrückte, geriet ein noch junger Angehöriger der Pius-Bruderschaft in äußerste Erregung und fauchte mich an, ob ich theologisch so ungebildet sei und noch nie etwas über den ‘Limbus‘’ gehört hätte. Dann las er mir vor, was Pius X. in seinem Katechismus lehrt: „Was geschieht mit den Kindern, die ohne Taufe sterben? Sie gehen in den Vorhimmel ein, wo sie Gott nicht genießen, aber auch nicht leiden.“ Ich konnte nichts erwidern, weil er mir den Katechismus