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mir scheint, liegen Sie nicht, sondern stehen«, bemerkte Lämpel trocken.

      »Ach, ein Scherzkeks sind Sie auch noch«, höhnte sein Gegenüber.

      Lämpel verzichtete auf die deftige Replik, die ihm auf der Zunge lag.

      »Na, ja, das kann ja heiter werden mit uns beiden«, legte Eschenfelder nach. »Lassen Sie uns endlich mit unserer Partie beginnen. Ich kann es nämlich kaum mehr erwarten, Ihnen Ihre intellektuellen Grenzen aufzuzeigen.«

      Blöder Angeber, grollte Lämpel tonlos. Sein Blick wanderte von dem unrasierten, wettergegerbten Gesicht des provokanten Landstreichers hinunter zu einem Schachcomputer, auf dem es unentwegt blinkte.

      »Könnten Sie bitte diese Lichter löschen?«, forderte Lämpel.

      »Lichter löschen?«, fragte Rheinhold Eschenfelder mit gekrauster Stirn. »Ich drehe dem Kasten einfach den Saft ab.«

      Die beiden Männer nahmen Platz und losten die Spielfarben aus. Lämpel durfte den ersten Zug machen. Er wählte die italienische Eröffnung, einen Klassiker der Schachgeschichte, der seit dem 15. Jahrhundert bekannt ist.

      »Sie haben mir immer noch nicht verraten, was Sie von Beruf sind«, bohrte Eschenfelder weiter, während er in seinem dritten Zug mit Lf8-c5 antwortete.

      »Was wäre die Welt ohne Geheimnisse«, entgegnete sein Kontrahent mit einem süffisanten Lächeln.

      Lehrer Lämpel labte sich genüsslich an seiner offenkundigen Überlegenheit. Sein Gegner hatte bereits einiges an Qualität eingebüßt und schien die schwarzen Figuren nur noch ziellos hin und her zu bewegen.

      Kein Wunder, denn Eschenfelder konzentrierte sich nicht auf das Spiel, sondern rutschte unruhig auf der Bank herum und reckte den Hals nach allen Richtungen.

      »Na, das sind aber zwei süße Käfer«, raunte er seinem Schachpartner zu.

      »Käfer? Wo?«, fragte Lämpel und blickte neben und unter den Tisch.

      »Da drüben«, erwiderte Eschenfelder und wies mit dem Kinn zu einem nur unweit entfernten Spazierweg, auf dem zwei bedeutend jüngere Frauen ihre Hunde ausführten. »Wären die nichts für uns?«

      Lämpel verstand noch immer nicht.

      »Einen wunderschönen guten Tag die Damen!«, rief Eschenfelder derweil. »Wohin des Wegs? Möchten Sie uns nicht ein wenig Gesellschaft leisten?«

      »Ein anderes Mal vielleicht«, antwortete eine der Frauen winkend. »Wenn wir die Hunde nicht dabei haben.«

      »Wir würden uns sehr darüber freuen«, erwiderte Rheinhold Eschenfelder.

      Lämpel dagegen war das forsche Gebaren seines Gegenübers ausgesprochen peinlich. Aus Scham wäre er am liebsten im Erdboden versunken. Mit betretener Miene beschirmte er sein Gesicht mit beiden Händen und wandte sich wieder der Schachpartie zu.

      Schmunzelnd tätschelte Eschenfelder Lämpels Arm.

      »Seien Sie doch nicht so schüchtern, mein Lieber«, sagte er.

      Wie ein Prediger fächerte Eschenfelder die Arme auf.

      »Schauen Sie, Lämpel, das Leben ist ein Menü, das aus mehreren Gängen besteht. Und wir beiden Hübschen sind nun leider schon beim Dessert angelangt. Aber wissen Sie was? Ich lasse es mir trotzdem schmecken. Das sollten Sie auch tun, denn bereits Morgen könnten Sie sich die Radieschen von unten betrachten müssen.«

      Rheinhold Eschenfelders Lachen erinnerte an das Wiehern eines Pferdes.

      »Wie sagt der Volksmund so treffend: Auch in einem alten Vulkan schlummert noch heiße Lava.« Lämpels Schachgegner machte eine abschätzige Geste. »Na ja, in Ihrer Hose herrscht wahrscheinlich Eiszeit.«

      Lämpel verzog keine Miene, sondern grübelte weiter über seine Endspiel-Strategie nach.

      »Sie verschwinden wohl zum Lachen in den Keller, oder täusche ich mich da?«, frotzelte Eschenfelder. »Jetzt seien Sie doch nicht so fürchterlich verklemmt, Mann. Gehen Sie doch einfach mal aus sich raus und lachen so richtig herzhaft drauf los. Das hat noch keinem etwas geschadet und ist zudem sehr gesund.«

      Doch Lehrer Lämpel lachte nicht.

      Stattdessen sah er sich zu einer Bildungsmaßnahme genötigt. Er richtete den Oberkörper auf, streckte den Zeigefinger in die Höhe und dozierte:

      »Ihnen ist sicherlich nicht bekannt, dass bereits die alten Griechen dem Lachen durchaus kritisch gegenüberstanden. Platon zum Beispiel vertrat die Auffassung, dass Lachen des Menschen unwürdig sei und man dabei seine Selbstkontrolle verliere.

      Jesus hat nie gelacht. In der Bergpredigt steht geschrieben: ›Wehe euch, die ihr jetzt lacht, denn ihr werdet klagen und weinen.‹ Deshalb verbot die Kirche das Lachen. Wer es dennoch tat, ging zum Lachen in den Keller.

      Daher stammt übrigens die von Ihnen benutzte Redewendung. Das laute Lachen mit weit geöffnetem Mund, wie Sie es eben getan haben, galt im Bürgertum, bei Adel und Klerus als Verstoß gegen die guten Sitten. Nur Bettler, Narren, Betrunkene und Verrückte gebärdeten sich derart primitiv.«

      »Ein schöner Vortrag war das. Danke, Herr Lehrer, ich werde es mir merken«, sagte Eschenfelder im Tonfall eines belehrten Grundschülers.

      Lehrer Lämpel ließ sich nicht provozieren.

      Auf dem Schachbrett werde ich mich für dieses respektlose Verhalten rächen, beschloss er selbstbewusst. Aus gutem Grund, denn er wähnte sich kurz vor dem Ziel.

      »So, dann schlagen wir jetzt auch noch den weißen Läufer«, verkündete er mit einem triumphalen Schmunzeln auf den Lippen.

      In Zeitlupe pickte er Eschenfelders Figur vom Brett und stellte sie in Reih und Glied zu seinen anderen Eroberungen. Dann stützte er die Ellbogen auf, faltete die Hände wie zum Gebet und blickte sein Gegenüber herausfordernd an.

      Dieser zog unbeeindruckt einen Springer. Wie auf Knopfdruck verwandelte sich plötzlich seine angespannte Miene in ein breites Grinsen. Er klatschte in die Hände und brüllte so laut, dass die Enten ins Wasser flüchteten: »Matt!«

      Erst jetzt schaute Lämpel wieder hinunter auf das Schachbrett.

      »Das, das gibt’s doch nicht«, stotterte er.

      »Tja, das war’s wohl, mein lieber leichtsinniger Lämpel. Wie reimte Wilhelm Busch einmal so schön:

      »Stets findet Überraschung statt,

      Da, wo man’s nicht erwartet hat.«

      Entgeistert bohrte sich Lämpels Blick in Eschenfelders Gesicht, das von einer markanten Hakennase und lebhaften, tiefliegenden Augen dominiert wurde. Die silbergrauen, zu einem Pferdeschwanz gebundenen Haare, der graumelierte Dreitagebart, die buschigen Koteletten sowie ein kleiner Ohrring rundeten das ungewöhnliche Erscheinungsbild dieses geheimnisvollen Mannes ab.

      »Jetzt glotzen Sie aber wie ein schwangeres Mondkalb«, feixte der Sieger und klopfte sich auf die Schenkel.

      Dann reckte er die Arme beschwörend gen Himmel. »Ich würde weiß Gott was dafür geben, wenn ich wüsste, was Sie gerade über mich denken.«

      Seien Sie froh, dass Sie es nicht können, kommentierte Lämpel in Gedanken.

      Um Zeit zu gewinnen, hüstelte er hinter vorgehaltener Hand und schnäuzte sich anschließend dezent die Nase. Liebend gerne hätte er sich nach Hause verdrückt, aber die Neugierde hatte ihn auf der Holzbank festgeschraubt. Mit einem Mal wollte er unbedingt wissen, mit wem er es zu tun hatte.

      Doch bevor er sich danach erkundigen konnte, zog Eschenfelder mit einer schnellen Bewegung eine Taschenuhr hervor und ließ den goldenen Deckel aufspringen.

      »Oh je, schon so spät«, seufzte er. »Ich muss sofort los zu meinem Rendezvous.«

      Rheinhold Eschenfelder stemmte sich in die Höhe, packte das Schachbrett in eine Plastiktüte und erklärte augenzwinkernd: »Auf mich wartet nämlich ein

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