ТОП просматриваемых книг сайта:
Lehrer Lämpel lebt!. Bernd Franzinger
Читать онлайн.Название Lehrer Lämpel lebt!
Год выпуска 0
isbn 9783738016796
Автор произведения Bernd Franzinger
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Auf einer Ruhebank in der Nähe des Bahnhofs entdeckte Lämpel ein älteres Ehepaar. Die beiden saßen wie in Beton gegossen reglos nebeneinander und starrten stur geradeaus. Er fühlte sich unwillkürlich zu ihnen hingezogen, denn ihr Anblick erinnerte ihn an die rechtschaffenen Bauersleute, die damals in seinem Dorf lebten und die nach ihrer beschwerlichen Arbeit auch oft stundenlang vor sich hin stierten.
Die Frau war stämmig, hatte pralle, rote Wangen und trug ein Kopftuch. Unter dem Saum ihres braunen Wollmantels lugten dicke Strümpfe hervor, die in knöchelhohen Schnürschuhen verschwanden. Auch das Schuhwerk und die Bekleidung ihres Ehemannes waren altmodisch, nicht vergleichbar mit dem heute üblichen sportlichen Seniorenoutfit, das Lämpel im Fernseher und in der Zeitung bestaunt hatte.
»Einen schönen Guten Morgen wünsche ich. Weiß jemand von Ihnen, wie ich von hier aus zum Kindergarten gelange?«, erkundigte sich Lämpel nach dem Weg.
»Nix weiß, nix versteh«, knurrte die Alte, ohne dabei die Blickrichtung zu ändern.
Mit solch einer barschen Reaktion hatte Lämpel nun wirklich nicht gerechnet.
Irritiert stammelte er »Ach, ach so« vor sich hin und trottete weiter.
Der Mann bellte ihm irgendein Schimpfwort hinterher. Der ehemalige Schulmeister hatte es noch nie zuvor gehört, war sich aber sicher, dass es unmöglich seiner Muttersprache entstammen konnte.
Auf einem schmalen Fußweg begegneten ihm zwei junge Männer. Der eine hatte eine sehr dunkle Hautfarbe und gekrauste Haare, der andere war etwas hellhäutiger, hatte aber ebenfalls pechschwarze Haare. Lämpel gaffte sie derart aufdringlich an, dass die entsprechende Reaktion nicht lange auf sich warten ließ.
»Was glotzt du so blöd, du Lackaffe?«, fragte der mit dem Wuschelkopf und stemmte die Hände in die Hüften. »Ist dir deine Jacke zu eng?«
Irritiert betrachtete Lämpel sein Sakko.
Der andere fixierte ihn mit einem furchteinflößenden Blick, packte ihn am Kragen und fauchte ihm »Verpiss dich, Alter« ins Gesicht. Anschließend stieß er ihn mit der flachen Hand so fest gegen die Brust, dass er taumelte und mit dem Hosenboden auf dem Zierrasen der kleinen Parkanlage landete.
Mit denen ist nicht gut Kirschen essen, dachte Lämpel, während er sich wieder aufrichtete. Die beiden finsteren Gesellen frage ich wohl besser nicht nach dem Kindergarten.
Wie ein geprügelter Hund klemmte er den Schwanz ein und machte sich eiligen Schrittes aus dem Staub. Als die jungen Männer außer Sichtweite waren, lehnte er sich erschöpft an eine Hausmauer. Er schlotterte am ganzen Leib, sein Puls raste und er rang wie ein Asthmatiker nach Atemluft.
Das wird ja immer verrückter, dachte er. Die einen sehen aus wie Einheimische, können aber kein Deutsch. Die anderen sehen nicht aus wie Einheimische, sondern wie Menschen aus fernen Ländern – und sprechen Deutsch. Er hing noch eine Weile seinen Gedanken nach, dann erinnerte er sich an seinen Auftrag. Und ich weiß immer noch nicht, wo ich diesen Kindergarten finde.
»Entschuldigung, wissen Sie vielleicht, wo hier im Dorf der Kindergarten ist?«, fragte er eine ältere Frau, die gerade mit einer Gießkanne und einem kleinen Rechen in der Hand ihr Grundstück verließ.
»Ja sicher, weiß ich das. Gehen Sie einfach immer flussabwärts, bis Sie zur evangelischen Kirche kommen«, tönte es zurück.
»Danke.«
»Den Kindergarten können Sie gar nicht verfehlen. Diese Rasselbande veranstaltet immer einen Höllenlärm, den hören Sie schon von weitem. Bei dem herrlichen Wetter sind die kleinen Plagegeister garantiert alle im Garten.«
Kinder-Garten, na, wer sagt’s denn, freute sich Lämpel. Er bedankte sich nochmals und folgte der Wegbeschreibung.
Gut einhundert Meter hinter der Christuskirche stieß er auf ein schmuckloses Flachdachgebäude, in dem die Kindertagesstätte mit dem bezeichnenden Namen ›Räuberhöhle‹ untergebracht war. Das dazugehörige Grundstück wurde von einem hohen, massiven Metallzaun eingefriedet.
Lämpel postierte sich hinter einem blühenden Fliederbusch und spähte durch die Gitterstäbe. Als ihm der betörende süßliche Duft in die Nase kroch, schloss er die Augen und schnupperte intensiv. Nachdem er sich sattgerochen hatte, beobachtete er eine Weile die Kleinkinder. Sie waren unterschiedlichen Alters und tobten ausgelassen auf dem Freigelände herum, fuhren Dreirad, schaukelten, kletterten oder spielten im Sandkasten.
Bei seinem Rundblick konnte er zunächst keinen einzigen Erwachsenen ausmachen. Erst als sich rechts von ihm jemand räusperte, bemerkte er eine knabenhaft wirkende Frau. Sie saß nur unweit von ihm entfernt auf einem Campingstuhl und sonnte sich. Er konnte seine Augen nicht mehr von ihr losreißen.
Die silbernen Ringe und Stäbchen, die Augenbrauen, Lippen und Nase durchbohrten, zogen seinen Blick magisch an. In Natura hatte er derartigen Körperschmuck noch nie gesehen, nur als Zeichnungen in seinem Buch über Expeditionen zu den Naturvölkern des Amazonasgebietes.
Vielleicht ist die Frau ja eine Eingeborene aus dem Urwald, suchte er nach einer Erklärung. Obwohl, danach sieht sie mir eigentlich gar nicht aus: rötliche Haare, bleiche Haut. Nein, nein, das kann nicht sein. Obwohl, vielleicht gehört sie zu einem Eingeborenenstamm, den man zu meiner Zeit noch nicht entdeckt hatte.
So als ob sie den auf ihr festgeklebten Blick gespürt hätte, schlug die Erzieherin plötzlich die Augen auf und drehte den Kopf zu ihm hin. Doch Lämpel wich gerade noch rechtzeitig vom Zaun zurück. Er hatte fürs Erste genug gesehen und machte sich umgehend auf den Nachhauseweg.
Warum pfercht man heutzutage kleine Kinder in ein Gatter?, fragte er sich kopfschüttelnd. So hat man bei uns früher die Schweine gehalten. Damals sind die Kinder entweder frei im Dorf herumgerannt oder haben ihre Eltern auf die Äcker und Viehweiden begleitet. Wo sind denn eigentlich die Eltern dieser Kinder?
Sein verstorbener Gastgeber hatte ein weiteres Tiefkühlgericht als Mittagessen vorgesehen. Doch Lämpel war noch bedient vom letzten Mal und ließ die Mikrowelle unangetastet. Stattdessen belegte er zwei Brotscheiben dick mit Hausmacherwurst und garnierte sie mit Salzgurken. Nachdem er sich gestärkt hatte, schmauchte er sein Pfeifchen und gönnte sich ein Verdauungsschläfchen.
Am Nachmittag lernte Lehrer Lämpel einige der von Theodor Busch vorbereiteten Texte auswendig. Sie beinhalteten Antworten auf Fragen, die man ihm möglicherweise stellen würde. Die fachgerechte Bedienung eines Geldautomaten trainierte er anhand eines detaillierten Ablaufplans, wobei der Küchenschrank als Ersatzobjekt fungierte.
Eine Stunde später zog er 200 Euro aus dem Schlitz des Bankautomaten und steckte sie mit stolzgeschwellter Brust in die Innentasche seines Sakkos. Als Belohnung kaufte er in der Bäckerei ein, und zwar für sich ein großes Stück Apfelkuchen und für die Enten drei Brötchen. Dann wanderte er frohgemut hinaus zum See. Am Ortsrand spitzte er die Lippen und pfiff die ›Freude-schöner-Götterfunken‹-Melodie vor sich hin.
Er passierte das hohe Schilfspalier, welches den östlichen Teil des Seeufers begrenzte und hatte nun freie Sicht auf die idyllisch unter mächtigen Trauerweiden postierten Sitzbänke. Plötzlich war seine gute Stimmung wie weggeblasen.
»Das ist doch dieser aufdringliche Zeitgenosse von gestern«, grummelte Lämpel. »Was treibt sich der denn schon wieder hier herum? Hat der nichts anderes zu tun, als sich faul die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen? Und dann sitzt der auch noch auf meiner Bank! Das macht der mit Absicht. Dieser Hundsfott will mich ärgern.«
Während Lämpel seinen Schritt verlangsamte, presste er die Kiefer so fest aufeinander, dass die Zähne knirschten. Die Anwesenheit dieses Fremden hatte seine Vorfreude auf das Entenfüttern gründlich verdorben. Er verspürte den spontanen Impuls kehrt zu machen und unverrichteter Dinge nach Hause zu gehen. Doch dann ging ein Ruck durch seinen Körper und er schritt zügig weiter.
Dir überlasse ich nicht meinen See, dir nicht!, grollte er im Stillen.
Für einen Rückzug war es sowieso zu spät, denn die Enten hatten ihn bereits entdeckt und kamen