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Die letzte Lektion. Friedrich Wulf
Читать онлайн.Название Die letzte Lektion
Год выпуска 0
isbn 9783847673118
Автор произведения Friedrich Wulf
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
An das Thema nicht zu denken, half auch nicht. Guido lebte allein in einem Apartment im Riemeke. Über ihm wohnte ein vitales Paar, das lautstark verliebt war. Jeden Morgen um 6.29 - mit erstaunlicher Pünktlichkeit übrigens - erwachte Guido zu den lallenden Lauten der Lust. Er zog das Daunenbett über den Kopf und biss regelmäßig ins Kissen. Am Morgen wurden seine Ohren erotisiert und tagsüber seine Augen, denn der weibliche Part des Lustspiels liebte es augenscheinlich im Haus in BH und Höschen lustzuwandeln. War es noch Gedankenlosigkeit oder schon Sadismus? Guido fühlte sich jedenfalls gequält.
Das Hirn ist ein plastisches Gebilde und er wusste: Neurons that fire together wire together. Und so feuerten seine fickerigen Neuronen auch dann, wenn nüchternes und vernünftiges Urteilsvermögen gefragt war, wenn er Reden entwarf. Ein Ghostwriter, sollte er sein Geld wert sein, musste immerzu verblüffende Bilder erfinden. Wenn er sich nicht damit zufriedengeben wollte, in der dritten Liga seines Berufs zu spielen, durfte er nicht Zuflucht suchen zu Klischees wie Unsere große Bewegung oder Der Mann auf der Straße. Seine Kunst bestand natürlich auch darin, Creme-Peierstorf in weiten Schleifen nichts sagen zu lassen. Was die Öffentlichkeit jedoch komplett unterschätzte, war die enorme Anstrengung, die Guido darauf verwendete, einen Riesenvorrat von Nichtssagendem anzulegen, aber so frisch formuliert, dass es Schlagzeilen machte oder aus dem Munde des Nachrichtensprechers einfach klasse klang.
Selbst an Tagen tiefer Ausgeschlafenheit war das kein Kinderspiel und jeder Ghostwriter war fortwährend darum bemüht, elegante Formulierungen zu finden, egal womit er sonst gerade beschäftigt war. Was aber feuerten seine Neuronen unablässig? Nackte Bilder von rohem Sex draußen und drinnen, im Liegen und Stehen. Kopulation beim Bungeespringen. Kamen ihm keine geilen Bilder in den Sinn, dann war er hibbelig, weil ihm ein beruhigender Fick fehlte. Folglich wurden die bildhaften Formulierungen in den Reden Gero Creme-Peierstorfs, ums gelinde auszudrücken, mehrdeutig, wenn nicht schlüpfrig.
Die Rede über Wirtschaftspolitik und Bankenkrise fing gut an. Das Geschwafel, die Banker wären die unschuldigen Opfer der öffentlichen Wut, die sich eigentlich gegen die wahnwitzige Wirtschaftspolitik richten müsse, ging runter wie Ahornsirup. Guido konnte es kaum fassen, wie gut der Blödsinn bei den Leuten ankam.
Allerdings nahm die Rede dann eine Wendung, auf die das Publikum - Frauenverband der Reform-Partei - komplett unvorbereitet war. „Wollen wir uns weiterhin damit zufriedengeben, die Voyeure des Durchwurstelns zu sein?“, fragte Creme-Peierstorf. Guido sah, wie die Damen wach wurden, wie sie ihre Ohren spitzten, als der Redner seine Frage selbst beantwortete: „Meine Damen, es kommt nicht darauf an passiv zu glotzen, sondern zusammen können wir die Matratzen des Finanzwesens quietschen lassen“. Der politische Kommentator der ZEIT nannte die Rede eine „erfrischend originelle ökonomische Analyse“, was Guido gern las und ihn beflügelte.
Zehn
„Ich war umwerfend alter Junge“, posaunte der ahnungslose Creme-Peierstorf zurück im Hauptquartier der Reform-Partei. „Sind schwach geworden. Und das Zeug über die Bankdirektoren ging runter wie Honigseim, wie Austern. Ich denke wir sollten noch mehr tun.“
„Bin bereit, allzeit bereit“, antwortete Guido. „Ich denke, bei nächster Gelegenheit sollten wir der Polizei auf die Pelle rücken. Ich meine, alles was sie tun, ist die Leute wegen Alkohol am Steuer einzulochen oder was immer. Aber gib ihnen einen echten Mörder und sie gehen unter. Reformen für die Polizei!“
„Alles, was du sagst“, alter Knabe. Wann ist meine nächste Rede?“
„Sie sprechen vor den Jungen Reformern. Ich schätze, ein paar polemische Pöbeleien gegen die Polizei kommen bei Spätpubertierenden immer an.“
„Großartig. Gut. Genau so! Ich muss los, zu dieser verwünschten Wein und Käse Party, unsere neuen Kandidaten treffen. Guido, warum möchte irgendjemand unsere neuen Kandidaten treffen?“
„Sie werden zumindest dafür bezahlt“, sagte Guido, „aber denken sie mal an die armen Wähler.“
„Ist was dran, was dran.“ Creme-Peierstorf rollte seinen enormen Leib zur Tür. „Aber übertreib die Polizeiprügel nicht. Ich meine, fang damit an, alle unsere Polizisten sind prächtige Kerle, oder so.“
Elf
„Ach du stelzende Giraffe, was machst du denn hier?“, fragte Horst.
„Ich bin gerade aus eurer Beschwerdeabteilung getürmt“, sagte Max.
„Wie du auch?“, fragte Horst. „Du in der Beschwerdeabteilung?“
Horst Krock und Max Berger kannten sich nicht nur schon lange, kein Wunder, aber Mutter aller Wunder sie respektierten einander sogar. Für Max kam Horst der Anständigkeit immerhin näher, als er es jemals bei einem Journalisten für möglich gehalten hätte, denn Journalisten verkauften, wenn man es auf den schlichten Punkt brachte, Eitelkeiten, Sensationen, Halbwahrheiten und ganze Lügen. Max mochte Horst wegen seiner Abscheu vor der Mode des Paparazzi-Journalismus.
Horst, ganz in der Schopenhauerschen Tradition lebend, konnte eigentlich keinen Menschen leiden, Max Berger verachtete er zumindest nicht. Sie hatten, jeder auf seine Weise, an diesem Vergewaltigungsfall gearbeitet. Krock hatte sich auf die Seite des Angeklagten geschlagen, ganz intuitiv oder eben auch nur, weil er eigentlich doch ein chauvinistisches männliches Schwein war. Das bisschen Meinung, das Krock in seiner Prozessberichterstattung beeinflussen konnte, hätte dem Kerl allerdings auch nicht geholfen, wäre Max Berger nicht gewesen.
Max hatte sich als Kind einen Spaß daraus gemacht, alles, was er erzählte rückwärts zu erzählen. Wurde er in der Schule aufgefordert, das Märchen vom Rotkäppchen zu erzählen, dann wurde der Wolf aufgeschlitzt, die Großmutter aus dem Bauch gezogen, der schlafende Wolf, die Ankunft Rotkäppchens und schließlich kam das Verschlingen der Großmutter und Rotkäppchens Weg durch den Wald.
Im Laufe der Jahre und wegen tausendfacher Übung musste Max Berger sich anstrengen, eine Geschichte vorwärts zu erzählen. Aus Spaß hatte er Kollegen aufgefordert, sie möchten ihm ihre Erlebnisse, doch rückwärts erzählen, was den meisten recht gut gelang, wenn sie von etwas wirklich Erlebtem berichteten. Aber irgendwann hatte er bemerkt, dass Menschen, die eine Geschichte erfanden, große Schwierigkeiten hatten, die Geschichte auch rückwärts zu erzählen. War etwas wirklich geschehen, hatten sie kaum Probleme damit, aber das Stottern setzte immer dann ein, wenn sie versuchten, rückwärts zu lügen.
So hatte er einem armen Schwein helfen können, das von der eifersüchtigen Freundin wegen Vergewaltigung angeklagt worden war. Aufgefordert den Verlauf der Vergewaltigung rückwärts zu erzählen, verwickelte sie sich in Widersprüche und Unwahrscheinlichkeiten, sodass ihr Lügengespinst zerriss und der Beschuldigte freigesprochen werden konnte. Davon war Horst Krock so beeindruckt, dass er für Max Berger fast so etwas wie Achtung empfand.
Horst war erfreut, dass Max die Untersuchung der Lehrermorde leitete. Als er von dem Telefongespräch mit dem Fanatiker erzählte, verschwand Max’ Lächeln.
„Er hat dir wirklich all die Details gegeben? Ich meine, wenn der Polizeipräsident dir ohne mein Wissen das alles… Ich will mal sagen, ihr Schreiberlinge habt eine nervöse Phantasie - du könntest dir das eingebil...“
„Ich brauchte mir nichts auszudenken. Dieser Typ wusste alles darüber. Das war er, Max. Das war kein Bluffer.“
„Gut, gut! Schau, wir haben allen Lehrern in Paderborn eine Warnung geschickt auf der Hut zu sein. Was sonst sollen wir tun?“
„Tee trinken.“
„Und Horst, kannst du mir einen Gefallen tun? Ich weiß, das ist eine große Geschichte für dich, aber bring bitte nichts über den angekündigten