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Die letzte Lektion. Friedrich Wulf
Читать онлайн.Название Die letzte Lektion
Год выпуска 0
isbn 9783847673118
Автор произведения Friedrich Wulf
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Aber meine leichter“, sagte Horst.
„Was willst du?“
„Entwicklungen, Erkenntnisse exklusiv“, sagte Horst.
„Gut, bekommst du.“
Als Horst sich umdrehte, grinste er. Wirklich, er wünschte niemandem einen Mord an den Hals, nicht einmal Lehrern. Auf der anderen Seite war dies die brutalste Geschichte seit Jahren. Und es ließ ihn nicht kalt, dass die Entwicklung gewisse weitere Vorteile barg.
Zwölf
Drei Stockwerke höher, im sechsten Stock der Rundfunkanstalt, wartete Gallenstein zusammen mit dem Chefredakteur und seinem Stellvertreter in einiger Unentschlossenheit noch immer auf Horst Krock. Anderthalb Stunden waren vergangen. Für Horsts Verhalten gab es keinen Präzedenzfall, und wenn Gallenstein keine Parallele finden konnte, dann war Arnim Gallenstein perplex. Und wenn er perplex war, dann wuchs sein Hang für alles eine Regel parat zu haben ins Unermessliche. Wenn es darum ging, das Regelwerk des Paderborner-Rundfunks zu zitieren, dann war Gallensteins Tüchtigkeit nobelpreiswürdig. Wenn er überhaupt eine Schwäche hatte, seine jährliche Beurteilung behauptete das, dann war es seine Entscheidungszögerlichkeit. Gallenstein war eine Entscheidungsschnecke.
Allerdings so ganz stimmte das auch wieder nicht, denn wie geschmiert händigte er Entscheidungen aus, wenn sie ritualisiert waren, wenn es Routinen dafür gab.
„Das Disziplinarverfahren“, erklärte Gallenstein seinen Kollegen, „ist formell noch nicht zu Ende und - gemäß Paragraph 10652 der Dienstanweisungen, kann es nicht formell beendet werden, solange es nicht vorbei ist.“
„Aber Krock hat sich aus dem Staub gemacht“, sagte der Chefredakteur.
„Wir können hier nicht länger herumsitzen“, warf sein Stellvertreter ein.
„Ich kann die Anhörung nicht abblasen, solange die korrekten Verfahrensweisen nicht eingehalten worden sind.“
„Dann tun Sie was.“ Den Chefredakteur beschlich die Einsicht, dass er diesen Preis nicht zahlen wollte, nur um Horst Krock loszuwerden. Außerdem litt er an hohem Blutdruck.“
„Ich werde ihn anrufen, sich sofort hier einzufinden.“
Horst meldete sich und sagte: „Quatsch“.
„Ich muss darauf bestehen, dass…“
„Quark!“
„Das wird präzedenzlose Konsequenzen…“
„Präzedenzquakquak!“
Es dauerte ein Weilchen bis Horsts Kommentar von Gallenstein verarbeitet wurde, aber selbst Gallensteins Hirn konnte die Nuss knacken, was es bedeutete, dass er ein Knacken im Hörer hörte.
Der Chefredakteur und sein Stellvertreter hatten genug und standen auf.
„Dieses Disziplinarverfahren“, jammerte Gallenstein, „wird, muss ausgesessen werden.“ Und so geschah es denn, dass Gallenstein allein im sechsten Stock des Funkhauses ohne Butterbrote und Thermosflasche die Anhörung aussaß.
Dreizehn
Etwas weiter unten, im dritten Stock, tat Horst Krock dasselbe, auch er saß untätig herum und wartete. Aber einen kleinen Unterschied gab es doch, Horsts Verpflegung war mehr als angemessen. Neun Flaschen vom Besten hatte er sich bringen lassen und freute sich auf die nächsten sieben. Nicht von den beiden Fläschchen fühlte er sich ungeheuer leichtköpfig, nein, ein wenig beschwipst war er wegen einer Mischung aus Aufregung und Erwartungsunruhe. Gegen seinen Willen wollte er, dass das Telefon schellte, obwohl er eigentlich nicht hören wollte, was zu furchtbar war und doch wünschte er sich nichts verzweifelter.
Auch Herr Gallenstein steckte in einem Dilemma. Er wollte Horst Krock anrufen, andererseits war es unter seiner Würde zweimal bei einem aufsässigen Angestellten anzurufen, den er bis zum kritischen Augenblick so wunderbar in seiner Hand gehabt hatte. Er brauchte jetzt einen hartnäckigen Hintern. Schließlich würde Krock klein beigeben, würde sich den Regeln beugen müssen. Regeln waren Regeln. Gallenstein war kein Aufgeber. Wenn nötig, würde er den ganzen Abend sitzen bleiben. Es wurde nötig und er tat es.
Und so ordnete er bei der Gelegenheit die Karten neu in seinem Karteikartenkopf. Seit elf Jahren arbeitete er an einem Werk, das den Titel „Kleine Philosophie der Regel“ heißen sollte. Einen Satz von diesem Horst Krock wollte ihm nicht aus dem Kopf gehen, weil er ihn noch nicht recht verstand.
Jeder Narr kann eine Regel aufstellen, und jeder Narr wird sich danach richten. Gallenstein notierte den Satz, vielleicht konnte er ihn in seiner kleinen Philosophie verwenden.
Drei Stockwerke tiefer klingelte Horst Krocks Telefon. „Horst, es ist geschehn“, sagte Max Berger. „Das Opfer heißt Zollkappe.“
Vierzehn
Es war nicht Joachim Zollkappes Fehler, dass er Lehrer geworden war. Er hatte nie eine Chance gehabt. Seine Eltern hatten hart gearbeitet, um ihm eine anständige Ausbildung zu ermöglichen. Sie hatten Opfer gebracht, um ihm als Fahrschüler den Besuch der Privatschule Schloss Engerlingerfeld zu ermöglichen. Joachim hatte Glück, denn die strengen Regeln der Schule waren im Wirbel des studentischen Aufbegehrens in den Sechzigern lascher geworden. Dennoch fühlte er sich in der Prüfungsphase, als wäre er in einer Schlachterei gelandet, wo er durch den Fleischwolf gedreht wurde, bis er als Fleischmasse von der Gesellschaft in eine brauchbare Form geknetet werden konnte. Mit dürftigen Noten absolvierte Joachim Zollkappe die Schule, für deren Besuch seine Eltern hatten darben müssen, und wurde, was so viele Durchschnittsschüler werden, wenn sie es in keinem Fach zu Können oder Kennerschaft gebracht haben. Dann studieren sie eben die beiden Fächer, in denen sie etwas weniger schlecht waren als in allen anderen Fächern, und werden Lehrer.
Als Gegenleistung für ihre Selbstlosigkeit erwarteten seine Eltern Sicherheit. Sicherheit und Ehrbarkeit. Natürlich durfte er von Glamour und Ruhm träumen. Einmal spielte Joachim im Lotto, gewann nicht, und damit war auch der Traum vom einfachen Reichwerden ausgeträumt. Immerhin hatte er nach fünfzehn langen Lehrerjahren eine A14 Stelle erklimmen können und verwaltetet seither die Buchausleihe der Schule.
Zollkappe war genauso überrascht wie seine Kollegen, als er sich auf die Stelle zum Schulleiter bewarb. Plötzlich war der Gedanke da. Auf der Leiter hatte er gestanden und mit Akkuratesse die Bände „Texte, Titten und Themen“ ins Regal geräumt. Ganz langsam ohne eigenes Wollen oder bewusstes Zutun formulierte sich ein Text in seinem Hirn, worüber er selbst erstaunt war: Wie, wenn dir eines Tages oder Nachts, ein Dämon in deine einsamste Einsamkeit nachschliche und dir sagte: „Dieses Leben, wie du es jetzt lebst und gelebt hast, wirst du noch einmal und noch unzählige Male leben müssen; und es wird nichts Neues darin sein, sondern jeder Schmerz und jede Lust und jeder Gedanke und Seufzer und alles unsäglich Kleine und Große (Bücher einräumen) deines Lebens muss dir wiederkommen, und alles in derselben Reihe und Folge - und ebenso dieser Fettfleck auf dem Buch und diese Blätter, die aus dem Band zu Boden flattern. Die ewige Sanduhr des Daseins wird immer wieder umgedreht - und du mit ihr, Stäubchen vom Staube!“ Zollkappe wischte Schweißperlen von seiner Oberlippe und stieg die Leiter hinunter auf Gummibeinen.
Beim Aufheben der Blätter spürte er die Last des Gedankens auf seinem Handeln und ließ die Blätter liegen. Er knirschte mit den Zähnen und verfluchte seine Arbeit. Er trat auf eines der Blätter und rieb es unter seiner Schulsohle zu Papierstaub. Wollte er dies noch einmal und noch unzählige Male? Nein, ich werde Schulleiter.
Joachim Zollkappe zitterte, ihm war kalt, mit Macht packten ihn Unmut und Frust der Jahre und schüttelten ihn, bis er schrie und mit Fäusten gegen seine Brust trommelte, er hasste sein Leben sein verkorkstes Schulleben. Hinter seinem respektablen Äußeren brannte ein Abenteurer, ein Rebell gegen das System, das ihn erzeugt hatte, dieses stählerne Gehäuse aus