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Brand und Mord. Die Britannien-Saga. Sven R. Kantelhardt
Читать онлайн.Название Brand und Mord. Die Britannien-Saga
Год выпуска 0
isbn 9783862827725
Автор произведения Sven R. Kantelhardt
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Ordulf schaute mit zusammengekniffenen Augen zu Hoger hinüber, aber da trat der alte Wolderich in die Tür seines Hauses.
Das Gemurmel erstarb und alle Augen richteten sich gespannt auf den Greis. Er war immer noch eine imposante Erscheinung, doch der Mann, der ihm folgte, überragte ihn fast um Haupteslänge.
„Gut, dass die Dithmarscher aus dem ganzen Gau zusammen gekommen sind“, begann Wolderich. „Ich will euch jemanden vorstellen, von dem ihr sicher schon viel gehört habt. Das hier ist Hengist Witgissunu. Von seinen Abenteuern im Dienste des Dänenkönig Hnæf brauche ich nicht zu berichten. Aber ich lasse ihn für sich selbst reden, denn ich bin kein Mann großer Worte.“
Nach dieser für ihn ungewöhnlich langen Rede trat Wolderich einen Schritt zurück und ließ den angekündigten Recken in der Mitte des Kreises. Neugierig drängten sich die Männer heran.
Hengist prangte in voller Rüstung. Er trug einen Eisenhelm mit breitem Kamm und Nasenschutz. Stilisierte buschige Brauen aus vergoldeter Bronze beschatteten die zusätzlich durch Eisenringe geschützten Augen und verliehen dem Helden ein wildes und verwegenes Aussehen. Über einem schweren Lederwams und hochgeschnürten Bundschuhen trug er eine Brünne, die ebenfalls aus Eisenringen bestand. Da die meisten Sachsen ihre heimischen Händel mit dem Sax austrugen und nur im Krieg zu dem langen Schwert und runden Schilden griffen, beeindruckte diese komplette Rüstung Ordulf tief.
Unwillkürlich hielt er die Luft an. Das also war der berühmte See-Sachse, von dessen Abenteuern man sich im Winter am prasselnden Herdfeuer erzählte!
Hengists Blick glitt kalt und hart über die Versammlung hinweg. Dann rief er laut: „Ihr Männer von Dithmarschen, sächsische Stammesbrüder und Schwertgenossen! Ich habe euch etwas zu sagen. Von Abenteuern, roten Ringen und gutem britannischen Silber. Ihr alle könnt Heldentaten vollbringen, von denen man noch länger berichten wird, als von meiner Fahrt nach Finnsburg. Und reich beladen mit Schätzen sollt ihr heimkehren.“ Er blickte wieder mit seinen kalten Augen in die Runde. Dann, als die ersten Männer unruhig wurden, fuhr er fort: „Ja, es gibt güldene Kleinode zu gewinnen. Für jeden, der sein Schwert tapfer zu führen weiß, wird es wahrlich nicht schwer Reichtümer zu bergen. Genau wie ich mit Hnæf dem Dänen zog, so ruft nun ein anderer König unsere Dienste. Brave Kriegsmannen sucht er, denn in seinem eigenen Land findet er keine und die Feinde bedrängen ihn hart. Gutes Silber verspricht er denen, die ihm zu Hilfe eilen.“
Vereinzelte Rufe wie „Wenn der König richtige Männer sucht, dann soll er die Willichsmannen fragen!“, „Ich bin der Stärkste, nimm mich mit!“ oder „Halts Maul, du Angeber, lass ihn ausreden“ wurden laut. Hengist hielt noch ein paar Atemzüge inne und Ordulf fühlte ein Prickeln in seinem Nacken. Was der Haduloher da versprach, entsprach seinen innersten Wünschen. Vielleicht könnte er von dieser einen Fahrt genug Silber heimbringen um ein Mädchen zu heiraten! Er errötete bei dem Gedanken, aber zum Glück achtete niemand auf ihn.
„Wo finden wir diesen edlen König, der tapfere Recken sucht?“, rief ein Mann in der ersten Reihe. Ordulf glaubte, einen der Vogdemannen zu erkennen, der auch auf dem letzten Thing viele Worte gemacht hatte.
Hengist sah ihn fest an. „Wenn ihr tapfer und zu allem entschlossen seid, aber auch nur dann, kann ich euch zu ihm führen. Euch alle!“, rief er dann mit lauter Stimme und blickte wieder in die Runde. „Vortigern heißt der Mann. Er ist der Hochkönig Britanniens. Um dorthin zu gelangen, müssen wir uns einschiffen und über die Täler des Meeres ziehen. In Haduloha habe ich zwei feste Kiele liegen und ein weiteres Schiff wird aus Keydingen zu uns stoßen. Wir fahren einen Mond vor dem Sonnenwendfest. Wenn es in Dithmarschen tapfere Männer gibt, schließt euch mir und meinem Bruder Horsa an! Ich nehme Krieger auf, solange es noch Platz im Bauche meiner Schiffe gibt. Aber kommt nicht zu spät, denn auch die tapfersten unter den Hadulohern und Keydingern drängen darauf, nach Britannien zu ziehen.“
Nachdem Hengist seine Rede beendet hatte, zogen die Männer angeregt debattierend ab. Ordulf war wie benommen von den Möglichkeiten, die der Held gerade heraufbeschworen hatte. Da sein Vater kein eigenes Seeschiff besaß und es auf dem Hof immer genug zu tun gab, war er noch nie übers Meer gefahren, aber wie alle jungen Sachsen träumte er von solchen Abenteuern. Doch er hätte wohl besser nicht träumen sollen, denn plötzlich stolperte er und bekam noch einen Stoß in die Rippen, sodass er vornüber in den Dreck fiel.
„Seht nur, dort suhlt sich ein Swæn im Mist!“, hörte er eine höhnende Stimme. Er lag tatsächlich im Mist – mit der neuen Hose! Aus einem Loch am rechten Knie rann ein dünner Faden dunklen Blutes in den zerrissenen Stoff. Ordulf blickte auf. Hinter ihm standen zwei junge Männer, von denen ihn einer angerempelt, während der andere ihm ein Bein gestellt hatte. Wutentbrannt griff er eine Handvoll Mist und warf sie in Richtung seiner Gegner. Aber der junge Mann wich dem Geschoß aus.
„Seht nur, das Swæn suhlt sich, dass der Dreck nur so spritzt!“, wiederholte er nun so laut, dass es alle hören konnten. Dabei betonte er Ordulfs Geschlechternamen so, dass er wie „Swien“ oder „Schwein“ klang. Ordulf wollte sich auf die Fremden stürzen, aber sein Bruder Swæn ahnte wohl, was sich da anbahnte und packte ihn an der Schulter. Unter dem harten Griff wurde Ordulfs Blick wieder klar. Hinter den beiden grinsenden Kerlen standen noch drei Männer. Hoger war unter ihnen und so fiel es Ordulf nicht schwer zu erraten, dass es sich bei allen Fünfen um Ebbingemannen handelte. Er zerrte mit neuer Wut am Griff seines Bruders, aber inzwischen war auch Agill heran und hielt seinen anderen Arm.
„Sie wollen doch nur, dass du auf Wolderichs Hof den Frieden brichst“, zischte ihm Swæn ins Ohr.
Nur widerwillig ließ sich Ordulf von seinen Brüdern wegziehen. Weit im Westen über der See rollte ferner Donner heran. Es würde bald ein Gewitter geben.
„Wenn wir im Trocknen unseren Hof erreichen wollen, sollten wir uns sputen“, bedeutete Agill. Ordulf schaute noch einmal finster zu den Ebbingemannen hinüber und ballte die Fäuste.
„Bei Thunær, der dort im Westen seinen Wagen über den Himmel rumpeln lässt, das werdet ihr büßen!“, schwor er. Mit dem Gedanken an zukünftige Rache wendete er sich abrupt ab und ließ sich von Agill und Swæn von der Wurt hinabführen.
III. Gewitterwolken am Horizont
Regulbium, Mai 441
Tallanus
Tallanus fuhr herum. Waren es die gerufenen Sachsen? Tatsächlich zeigten sich draußen auf dem Meer mehrere graue Schatten. Wie hungrige Wölfe, dachte er schaudernd. Er konnte aber noch nicht klar erkennen, wen er da vor sich hatte. Waren es Sachsen oder Pikten? Er beschattete seine Augen mit der flachen Hand und blickte angestrengt auf die sich langsam nähernden Boote.
„Wir müssen die Leute im Dorf warnen“, drängte Álainn.
Tallanus starrte weiter auf die See, er konnte sich zu keiner Entscheidung durchringen. Waren es die frisch geworbenen Auxiliares oder doch Piraten? Álainn fasste seine Hand und zog heftig daran. Das tat sie sonst nie, die ungewohnte Berührung riss ihn aus seinen Gedanken.
„Ja, wir sollten sie warnen“, stimmte er ihr zu.
Besser die Menschen brachten sich einmal zu oft in Sicherheit, als einmal zu wenig. Wieso hatte er nur so lange gezögert? Bei einem Überfall entschied die Schnelligkeit über Leben und Tod, jeder Augenblick war kostbar. Sie hasteten den Hügel hinunter zum Dorf.
„Schiffe am Horizont! Bringt euch in Sicherheit!“, rief er schon von weitem. Einige Menschen blieben wie betäubt stehen, zu erschrocken zum Handeln. Andere griffen den Ruf auf und trugen ihn weiter. Schließlich fanden sie Caellach, den Comarchus.
„Wie viele Schiffe? Von wo kommen sie? Wann werden sie da sein? Sachsen? Pikten? W…“
„Noch zu weit weg, habe sie nicht erkennen können“, unterbrach Tallanus atemlos den Schwall von Fragen.
„Morgan, Ninian!“, rief Caellach