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drei – oder waren es sogar vier? – friesischen Langschiffen entkommen waren, die sie bei Nebel vor der Küste eingekreist hatten. Als er an die Stelle kam, an der sie den Friesen schließlich im Wattenmeer entkamen, hielt sich Wago den Bauch vor Lachen. Dann musste Ceretic das Lied noch einmal auf Britannisch vorsingen und die Sachsen grölten das „Fol-de-diddle-da und Fol-de-diddle-daira oh“ aus voller Kehle mit. Dazu klopfte, klatschte und stampfte die halbe Halle den Takt mit – die andere Hälfte klopfte, klatschte und stampfte ohne den Takt zu treffen, aber das tat der Stimmung keinen Abbruch.

      Regulbium, Mai 441

      Tallanus

      Das denkwürdige Zusammentreffen von Vortigerns Rat lag nun bereits zwei Monate zurück. Nachdem Tallanus seinen Freund Ceretic bis Ruohim geleitet hatte, war er auf direktem Wege zu Bischof Albanus zurückgekehrt. Albanus bezeichnete ihn zwar als secretarius, aber in Wirklichkeit kam er sich eher wie ein Botenläufer oder sogar ein Leibeigener vor. Die vergangenen Wochen jedenfalls war er für seinen Herrn nicht weniger als drei Mal zwischen Cantiums Königsstadt Durovernum und Londinium hin und her gereist, während der Bischof niemals die Nähe des Hochkönigs und die Annehmlichkeiten des Hofes verließ. Wenn man ihm einmal selbst solch ein Amt wie das von Albanus anvertrauen würde, gäbe er sich sicherlich nicht solcher Bequemlichkeiten hin. Betroffen biss er sich auf die Unterlippe. Lag da nicht der wahre Grund für seine mangelnde Achtung vor Albanus?

      „Quid autem vides festucam in oculo fratris tui et trabem in oculo tuo non vides?“, murmelte er.

      „Was schimpfst du da?“, riss ihn eine junge Stimme aus seinen Gedanken. Tallanus fuhr herum und vor ihm stand Álainn, ein Bauernmädchen aus Regulbium. Nein, inzwischen eine junge Frau, korrigierte er sich, als sein Blick über ihre Gestalt schweifte. Er fühlte, wie ihm das Blut heiß ins Gesicht stieg, was keinerlei Sinn ergab, denn seine Freundschaft zu dem Mädchen war ebenso rein wie sein Gewissen. Zumindest in dieser Beziehung. Seine Versuchungen lagen andernorts. Eine junge Priesterweihe und vielleicht einmal der Hirtenstab eines Bischofs.

      „Na, was ist?“, hakte Álainn nach und traf damit genau den wunden Punkt.

      „Das war Latein und bedeutet: Was siehst du den Splitter im Auge deines Nächsten und den Balken in deinem eigenen Auge siehst du nicht?“, antwortete er, immer noch verstimmt über sich selbst.

      „So, so“, lachte sie. „Du bist mal wieder streng mit dir? Spazierst du deshalb hier am Meer herum?“ Lächelnd trat sie zu ihm und hakte sich unter.

      Tallanus errötete schon wieder. „Nicht doch, was sollen die Leute denken?“, fragte er.

      „Was sollen sie schon denken?“, antwortete Álainn unbekümmert. „Du kennst mich doch schon von Kindesbeinen an. Also, was hast du dir vorzuwerfen?“

      Tallanus seufzte resigniert. „Der Satz, den ich dir gerade übersetzt habe, steht im Evangelium des heiligen Matthäus“, erklärte er.

      „Aha. Klingt auch sehr weise“, unterbrach sie.

      „Mein alter Tutor Dagomar hat ihn mich gelehrt. Du weißt schon, der im wüsten Norden Londiniums in seiner Einsiedelei als Eremit lebt“, fuhr Tallanus ungeachtet der Unterbrechung fort.

      „Der Mann, von dem du immer behauptest, er sei ein richtiger Heiliger?“, fragte Álainn neugierig.

      „Ja, genau der. Jedenfalls bleibt an mir nicht viel Heiliges, wenn ich mich mit ihm vergleiche. Du weißt ja, wie oft ich über meinen Herrn, Bischof Albanus, klage. Aber gerade ist mir aufgegangen, dass ich ihm nur seinen Platz neide. Dagomar dagegen hat den Bischofsstab abgelehnt. Stell dir vor, Vortigern trug ihm das Amt schon vor Albanus an. Stattdessen unterrichtet er lieber junge Waisen und Männer aus ärmlichen Verhältnissen wie mich in seinem claustrum in Rhetorik und Grammatik und den Lehren unseres Heilands.“

      „Und aus lauter Gram über deinen frevelhaften Ehrgeiz hast du dich nun in dein Heimatdorf Regulbium verkrochen und starrst den ganzen Tag auf den Horizont?“

      „Nein, nein, das ist mir nur gerade durch den Sinn gegangen. Ich bin wieder in Albanus Auftrag hier.“

      „Na, kein Wunder, dass du nicht gut auf den hohen Herren zu sprechen bist, wenn er dich ständig in ganz Britannien herum jagt. Was kann ein so hoher Herr wie dein Bischof denn von so einem gottvergessenen Nest wie Regulbium wollen?“

      Kopfschüttelnd schaute sie zu den windgeschliffenen Ruinen des alten Römerforts hinüber. Tallanus folgte ihrem Blick, wandte sich dann aber wieder dem Meer zu. Niemals zuvor hatte er sich danach gesehnt, einen der gefürchteten sächsischen Steven aus dem Meer tauchen zu sehen. Doch nun wartete er im Auftrag des Bischofs genau darauf. Obwohl Vortigerns Plan ihm mehr als wagemutig erschien. Hieß es nicht zu recht: Lupus pilum mutat non mentem – Der Wolf ändert das Haar, nicht den Sinn? Er zog seinen Mantel enger um die Schultern, trotz anbrechenden Frühlings fröstelte ihn.

      „Ich soll auf einen Freund warten, der hoffentlich bald heimkehrt“, antwortete er ausweichend. Auch wenn er Álainn von klein auf kannte, gab es keinen Grund, ihr seinen Auftrag zu verraten. „Albanus will sofort von seiner Ankunft unterrichtet werden. Eigentlich kommt mein Freund aus Ruohim dort drüben.“ Dabei deutete er über den schmalen Wantsum-Fluss, der Ruohim von Regulbium und dem Rest Cantiums schied. „Aber ich denke, ich bekomme auch hier mit, wenn er zurückkommt.“

      „Und wer ist dieser Freund?“, bohrte sie nach.

      „Er heißt Ceretic“, antwortete Tallanus. Damit verriet er wohl noch kein Geheimnis.

      „Wer?“

      „Ein Mann den ich vor … wie lang ist das her?“ Er legte kurz die Stirn in Falten. „Ja, ich glaube vor fünf Jahren habe ich ihn in Durovernum am Hof kennengelernt. Er ist Waise, wie ich, und außerdem kommt er ganz aus der Nähe, eben von Ruohim dort drüben. Das hat uns einander näher gebracht.“ Tallanus musste schmunzeln. „Das und noch eine kleine Begebenheit.“

      „Was denn?“, wollte Álainn wissen.

      „Ceretic, der sich einiges auf seine Dichtkunst einbildet, hatte ein paar ganz gute Spottverse gedichtet. Über seine catuvellaunischen Kameraden. Sie waren so gut, dass sich die Männer, die ihm, dem Emporkömmling aus der Provinz, ohnehin die gute Aufnahme am Hof neideten, zusammen rotteten, um ihm eine gehörige Abreibung zu verpassen.“

      „Und was hast du gemacht?“

      „Ich habe mich vor den Kerlen aufgebaut. Du musst wissen, dass es mindestens fünf waren, sehr groß und breit.“ Zur Verdeutlichung winkelte er die Oberarme seitlich ab und blies sich auf.

      Álainn musste lachen. „Du hast dich mit einer ganzen Handvoll Krieger angelegt?“, fragte sie ungläubig.

      „Ja, ich“, behauptete Tallanus eifrig, musste dann aber ebenfalls lachen. „Damals war ich noch Subdiakon und sehr stolz auf meine neue Stellung beim Bischof. Jedenfalls habe ich sie angebrüllt: ‚Ich komme auch aus diesem Winkel Cantiums und ich kann euch versichern, dass man dort des Herrn Gebote mit größerer Ernsthaftigkeit beachtet als hier!‘“

      „Und?“, fragte Álainn gespannt. „Was haben sie mit dir gemacht?“

      „‚Krieger des Hochkönigs sollten sich nicht wie Wirtshausschläger aufführen. Seid euch gewiss, dass Bischof Albanus davon erfahren wird‘, habe ich ihnen noch entgegengeschleudert. Und ob du es glaubst oder nicht, die Kerle haben den Schwanz eingekniffen und sind vor mir“, dabei reckte sich der kleine Mann zur vollen Größe auf, was Álainn wieder zum Lachen brachte, „jawohl, vor mir geflohen. Ceretic kam ungeschoren davon und seit damals sind wir Freunde“, schloss er seine Heldengeschichte.

      Plötzlich erstarrten die eben noch lachenden Züge seiner hübschen Begleiterin. „Sieh nur dort!“, rief Álainn und zeigte hinter ihn. „Oh Gott, nein!“ Ihr zitternder Zeigefinger wies hinaus auf die See.

      Beufleet, April 441

      Ceretic

„Vor vielen Winternzog über salzige Hügel
Hnæf der

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