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Eine Heimat des Krieges. Jan-Henrik Martens
Читать онлайн.Название Eine Heimat des Krieges
Год выпуска 0
isbn 9783738078183
Автор произведения Jan-Henrik Martens
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Dem stimme ich zu“, sagte Albin.
„Kein Wunder“, sagte Qubertín. „Wisst Ihr, wie man Euch in meinem Fürstentum nennt, Fürst Rygmoor? Der Ja-Sager, Tiogan Aurelds treuer Diener, der Mann ohne Meinung. Was gut für Tiogan ist, ist auch gut für Euch.“
Albin öffnete den Mund, sagte aber nichts. Er sah aus wie ein Fisch, der auf dem Trockenen nach Luft schnappte. Tiogan versuchte gar nicht erst, Qubertíns Äußerungen mit einer Rechtfertigung zu würdigen.
„Also, ich fasse zusammen“, sagte Feskott. „Bei den Angreifern könnte es sich um eine Gruppe von Abtrünnigen handeln, die womöglich mit den Grauen, die es gibt oder eben nicht, gemeinsame Sache machen. Die Echsen in Etovernem wissen von alldem nichts, vielleicht aber doch. Zudem haben sie alle Hände voll mit den Flüchtlingen zu tun, die nach Norden strömen, weil ihre eigenen Landsleute nichts Besseres zu tun haben, als Dörfer armer Bauern in Brand zu stecken; was Etovernem befohlen hat oder auch nicht. Habe ich das soweit verstanden?“
Ubar sagte: „Anscheinend wissen wir nur, dass wir gar nichts wissen. Alles Vermutungen. Auf gut Glück ziehe ich nicht in den Krieg.“
Tiogan kratzte sich am Bart, sagte: „Gut, dann ist jetzt wohl die Zeit für eine Abstimmung gekommen.“ Ein flaues Gefühl machte sich in seinem Magen breit. In wenigen Augenblicken würde er wissen, ob er erneut in den Norden zöge. Für ihn, für eine freie Zukunft, für seine Rache. Eine weitere Gelegenheit bekäme er gewiss nicht. Viele Jahre würde er nicht mehr auf dieser Welt verweilen. Seine Brust schmerzte wieder. „Meine Meinung kenn ihr“, sagte er. „Ich sage: jetzt oder nie. Wenn wir die Etarianer nicht übers Meer zurück in ihre Heimat jagen, werden wir das nie mehr erleben.“
„Ich ziehe nicht ins Ungewisse“, sagte Ubar. „Das alles ist mir zu undurchsichtig. Zu oft habe ich heute falls, vielleicht und möglicherweise gehört. Meine Männer bleiben an der Dorrküste.“
Albin sagte: „Meine Heimat brennt. Ich will Rache und werde nicht eher ruhen, bis Etovernem dieses Schicksal teilt.“
Fürst Hoh hob seine Hand und schnipste. Ein Bediensteter trat an den Tisch. „Ihr habt uns in Eurem Brief gebeten, unsere etarianischen Beobachter wegzusperren, Fürst Aureld“, sagte Hoh. Der Bedienstete stellte eine hölzerne Kiste auf die Tischplatte. „Aber wie Ihr sicher wisst, haben wir auf der Zunge nur eine kleine Burg … ohne Verliese. Ihr kennt das Wappen meines Hauses.“ Fürst Hoh öffnete die Kiste. Ein beißender Gestank erfüllte den Speisesaal. „Eine klarere Antwort kann es nicht geben“, sagte er und hielt den abgetrennten Kopf eines Etarianers in die Höhe. Er war grau und schimmerte schleimig. Das Fleisch hing in Fetzen von den Knochen. Maden krochen aus den Nüstern und Augenhöhlen.
„Barbarisch.“
„Welch Abart.“
„Zum Glück habe ich schon gegessen.“
Tiogan hielt sich eine Hand vor den Mund und sagte: „Danke für Euer eindeutiges Bekenntnis.“
„Keine Ursache“, sagte Hoh. Er stopfte den verwesenden Schädel wieder in die Kiste, lehnte sich zurück und verschränkte lächelnd die Hände hinter seinem Kopf.
Fürst Feskott sagte: „Nach dieser glorreichen Vorstellung möchte ich mitteilen, dass sich das Fürstentum Feskott nicht an derlei barbarischen Akten wie Kriegstreiberei beteiligen wird. Wir schützen unsere Grenzen, damit uns nicht ein ähnliches Schicksal wie Rygmoor ereilt - an dieser Stelle verkünde ich nochmals mein Beileid -, doch mehr können und wollen wir nicht tun.“
„Dem möchte ich mich anschließen“, sagte Kabalos und funkelte Tiogan finster an. „Ich werde meine guten Männer nicht in den Tod schicken, um den Rachedurst eines alten Fürsten zu stillen. Ich weiß, Ihr seht Eure Zeit ablaufen, aber ein Krieg wird Euch keine Genugtuung bringen, alter Freund.“
Tiogan saß schweigend in seinem Stuhl.
„Mein Fürstentum ist das nördlichste“, sagte Fürst Ilarovich. „Mein Großvater hat die Wüste vor fünfunddreißig Jahren an die Etarianer verkauft. Es ist nur eine Wüste und es könnte mir egal sein, aber meine Vorfahren sind durch diese Dünen spaziert, haben die warme Luft eingeatmet und in den Sand geschissen. Ich will sie wiederhaben, meine karge Wüste. Und Iogunhafen ist voller etarianischer Waren. Keine schlechte Beute. Das Fürstentum Ilarovich wird Euch zur Seite stehen.“
Qubertín schüttelte mit dem Kopf. Er stand vor Tiogan, blickte ihm tief in die Augen. „Wie ihr alle wisst, war mein Vater einst König, bevor die Echsen ihn getötet haben. In einem Krieg, der nicht hätte sein müssen. Was hat der Glaubenskrieg denn gebracht? Nur Verbote und gegenseitigen Hass. Diesmal wird es nicht anders sein. Nein, es wird sich noch verschlimmern. Meine Männer bleiben zu Hause. Ich muss gestehen, ich bin erschüttert.“ Er wandte sich den anderen Fürsten zu. „Ich bin gekommen, um zu sehen, was sich in den letzten Jahren verändert hat. Sind wir weiser geworden? Ruhiger? Besonnener? Leider nicht. Ich muss feststellen, dass sich nichts verändert hat. Wenn ihr in den Krieg zieht, dann wird das Ergebnis dasselbe sein. Wir werden verlieren; und die Etarianer werden diesmal nicht so gütig sein und nur Verbote aufstellen. Diesmal werden Köpfe rollen.“ Er verbeugte sich. „Meine Herren, ich habe gesagt, was ich sagen wollte. Ich empfehle mich.“ Er winkte seinen Bediensteten zu und verließ den Raum, ohne zurückzublicken.
Die anderen Fürsten starrten schweigend auf den Tisch; und als wären die Worte Qubertíns ein Zeichen, die Versammlung zu beenden, standen sie nacheinander auf und verließen den Saal. Dabei würdigten sie Tiogan keines Blickes, so als ginge sie all das nichts mehr an, so als hätten sie über eine Belanglosigkeit geredet, die nur für Tiogan von Bedeutung sei.
„Was tun wir jetzt?“, fragte Albin, der als einziger im Raum verblieb. Er sah alt und krank aus. Zum ersten Mal merkte man ihm an, dass er alles verloren hatte, heimatlos und gebrochen war. Tiogan antwortete nicht, saß reglos da; und als Albin ihn alleine ließ, einfach ging, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, wusste Tiogan, dass er seine Rache niemals bekäme.
Tiogan stand mitten in seinem Arbeitszimmer. Es war dunkel. Keine Kerzen, keine Fackeln. Nur Tiogan und die Finsternis. Er schloss die Augen und sah die Gesichter der Fürsten, als hätte jemand Bilder der Versammlung in seine Augenlider gebrannt. Die Fürsten lachten und fluchten und saßen nachdenklich auf ihren Stühlen. Tiogan wusste, dass er nicht alle hätte überzeugen können, aber sechs wären möglich gewesen, das hatte er geglaubt. Nach stundenlangen Gesprächen waren sie zu viert. Die Hälfte und keiner mehr. Das reichte nicht.
In seinen Gedanken saß er noch immer an der Tafel, die Fürsten vor sich, das Wappen Aurelds in seinem Rücken. Er stand auf, stützte sich mit den Händen auf dem Tisch ab und blickte fordernd in die Runde. Etwas, wozu er außerhalb seiner Gedankenwelt keine Kraft gehabt hatte. Er war einst fordernd gewesen. Was hatte es ihm genützt? Seine Tochter war schüchtern und unentschlossen und versteckte ihre Gefühle hinter einem Glauben, der Tiogan nichts bedeutete.
In seinem Inneren hielt Tiogan vor den Fürsten eine Rede. Voller Inbrunst sagte er: „Habt ihr in letzter Zeit in die Augen der Bauern und Ritter geschaut? Was seht ihr da? Ich kann es euch verraten. Ihr seht Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung. Glauben, eine Armee, ein König, sind das nicht Rechte, deren man uns beraubt hat? Rechte der Freiheit, der Entfaltung unserer Persönlichkeit? Was sind wir unter den Etarianern? Arbeitsbienen. Wir denken nicht, wir handeln nur. Die Echse sagt, unser Glaube sei falsch. Ich sage, es gibt keinen Glauben, nur Rechtfertigungen. Die Echse sagt, eine Armee führe nur zum Krieg. Ich sage, eine Armee kann auch einen Krieg verhindern. Und der König? Sie haben ihn uns genommen, uns unter die Herrschaft ihrer Generäle gestellt. Warum? Was haben sie dadurch geändert? Dass wir hier sitzen und über Krieg reden, ist das nicht ein Zeichen