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seinem Bauch heraus und hält sich wie ein Schuljunge die welke Hand vor den Mund.

      Und was mache ich, ich biete ihm Platz an, er setzt sich leise stöhnend. Und mir rutscht doch die Frage, gegen die ich mich gewehrt habe, heraus: "Warum steigt der Junge auf den Baum? Was will er denn da oben?"

      Hausmann antwortet nicht. Ich spüre seine Unruhe, sie erreicht mich wie eine warme Welle, die mich entspannt, ich werde mir meines Alters bewusst, ich bin noch jung, und ich habe den Geschmack von Himbeereis auf der Zunge, mir ist, als dringe Seewind durch das geschlossene Fenster.

      Der alte Mann sitzt keine zwei Meter von mir entfernt, zwischen uns ist der Schreibtisch, und in diesem Augenblick fühle ich mich dem Alten verwandt wie noch nie einem Menschen, ich möchte ihn berühren, ich strecke einen Arm aus, reiche ihm meine Hand, und er gibt mir seine Hand.

      Hinter dem Fenster steht der Baum, und der Junge sitzt darauf.

      "Verrückt soll doch nur heißen: Schön", sagt der alte Hausmann. "Lebendig. Sie verstehen doch?"

      "Aber", sage ich, und immer wieder "Aber", es wird immer lauter und kraftvoller, es wirft mich nieder und richtet mich wieder auf, ich werde hart, ziehe meine Hand zurück, vor mir, weit weg steht der alte Hausmann und spricht beruhigend auf mich ein; dann bin ich allein und schreie aus dem Fenster: "Wenn du nicht sofort...!"

      Vor meinem Zimmer war Lärm, die Tür wurde aufgerissen, zwei Mädchen aus einer unteren Klasse kamen hereingerannt, sie hielten sich an den Haaren gepackt und plapperten los, dann aber sahen sie mich an, ließen voneinander ab und wollten platzen vor Lachen. Im Taschenspiegel sah ich ein Clownsgesicht, die Schminke war verwischt, die Haare züngelten wie kleine Flammen vom Kopf ab, und als ich lachte, endlich lachte, schauten die beiden mich böse an und rannten nach draußen.

      Verrückt ein Synonym für schön, ich habe es nicht gewusst.

      Hast du etwa Professor Hocke vergessen, Vaterunser, erinnere Dich, wir nannten ihn auch Stellvertreter, weil er in allen möglichen Funktionen der zweite Mann war, also Hocke sprach mit salbungsvoller Stimme zu uns, er liebte es, seine Gedanken in Bilder zu bringen, und ich bin sicher, dass er liebend gern Pfarrer gewesen wäre und Sonntagspredigten gehalten hätte. Er selbst nannte sich gern einen Logiker. Beim Durchblättern meiner Hefter habe ich ein paar Tipps von ihm gefunden, die er gern vergab, wobei er einen streng anschaute, ob die von ihm verabreichte Medizin auch eingenommen wurde und vielleicht schon zu wirken begann. Hocke sagte: "Lasst kein Schön zu, es ist der verlockende Sprung von der Straße in eine blühende Wiese, die aber von einem Sumpf getragen wird. Das Schöne taugt nicht für die Pädagogik. Bleibt auf der Straße, die vor euch schon so viele Lehrer gegangen sind. Und haltet euch an ihre Verkehrsregeln."

      Sonja, ich muss Dich sehen, und wenn es nur für einen Augenblick ist, für einen Blick in Deine Augen. Früher habe ich den Leuten auf die Gesichter gesehen, jetzt blicke ich ihnen in die Augen, ich suche - weiß nicht was.

      Der Schulrat hatte sich angesagt, ich kenne ihn von Besprechungen. Palm wohnt in Hannover, er kann nur an den Wochenenden bei seiner Familie sein, aber er nimmt alle Unbequemlichkeiten auf sich, weil er den "Aufschwung des Ostens" als persönliche Herausforderung sieht. Der Mann ist knapp fünfzig und herzleidend, und ich überlege, ob er einen eigenen Neuanfang will, oder ob er sich verlorene Jugend zurückholen möchte. Er ist ein kleiner quirliger Mann mit wohlklingender Bassstimme, die etwas Suggestives hat. Zu jüngeren Frauen ist er freundlich und hilfsbereit, die Männer erkennen an, dass er vor schwierigen Situationen nicht ausweicht, und allgemein wird bestätigt, dass er sich nicht nur gern reden hört, sondern auch zuhören kann. Er entscheidet schnell, man könnte meinen, ohne zu überlegen, auch mich hat er völlig überraschend zur Direktorin vorgeschlagen, wobei seine Vorschläge fast immer schon Beschlüsse sind, denn es widerspricht ihm keiner.

      Was würde Palm sagen, was würde er tun, wenn er den Jungen auf dem Baum entdeckte? Sonja, es ist nicht so, dass ich für mein Leben an der Direktorenstelle hängen würde, aber die Arbeit könnte mir Freude bereiten, es ist die Verantwortung, die mich reizt, vor allem aber ist es wohl, dass ich endlich aus meinem Mädchendasein herauswachsen will.

      Was soll ich tun? Schön oder aber? Abwarten, die Dinge auf mich zukommen lassen, meine Verantwortlichkeit abschieben, verreisen, krank werden, einen Lehrgang besuchen? Ich erzählte Robert von dem Jungen auf dem Baum, er lachte, er begriff nicht, er sagte, die neue Arbeitssituation mache mir zu schaffen, ich solle mich auf das Wesentliche konzentrieren, das andere würde von allein nachziehen. Er bot mir an, mit dem Jungen zu sprechen, von Mann zu Mann, er sehe da kein Problem, der Junge könne ebenso in einer Turnhalle an einem Seil hochklettern. Ich lehnte erschrocken ab; ich wollte von diesem Jungen noch etwas erfahren, weiß nicht was, es war da nur eine Ahnung, ein Duft, eine Farbe vielleicht, ein Blau, nein, ein Grün, es war da ein Anfang, ein dünnes Seil, das über einen Abgrund führt und auf das ich vorsichtig einen Fuß gesetzt hatte.

      Den alten Hausmann sah ich nur noch aus großer Entfernung, ich achtete darauf, ihm nicht zu begegnen, ich schämte mich vor ihm. Einmal lief ich ihm in den Weg, verrückt, wollte ich sagen, schön, als Erkennungszeichen, aber ich stotterte eine Entschuldigung und stolperte weg.

      An Hans Schorn habe ich mich dann doch herangewagt. Wenn er von zu Hause wegkam und nicht einem Ball nachjagte, fuhr er mit dem Fahrrad an den südlichen Stadtrand ins Tagebaugelände, wo auf dem Rest des Stausees noch ein paar Segelboote an der Anlegestelle festgemacht waren. Ich bin ihm auf meinem Rad nachgefahren, der Junge saß in einem der Boote, schaukelte es, zog ein verwittertes Segel auf und gab mit zwei Flaggen Signale ins Tagebaugebiet hinein, aus dem die Bagger wie vorsintflutliche Tiere schrien.

      Als der Junge mich über den Bootssteg heranbalancieren sah, nahm er eine Haltung ein wie ein neuer Schüler auf einem Schulstuhl, verkrampft und steif.

      Ich blieb vor dem Boot stehen, das leicht schaukelte, obwohl der Junge bewegungslos auf der Sitzplanke saß.

      "Grüß dich", sagte ich, empfand die Worte anbiedernd und sagt: "Guten Tag."

      "Guten Tag", erwiderte Hans Schorn höflich.

      "Entschuldige", sagte ich, "dass ich dich hier aufgestöbert habe. Ich hatte als Kind auch einen Lieblingsplatz, vom Bahndamm aus sah ich den Zügen zu."

      Der Junge zeigte keinerlei Regung, ob er mich überhaupt verstanden hatte, ich setzte einen Fuß auf den Bootsrand, verlor das Gleichgewicht, zog das Bein zurück und hielt mich am Geländer fest.

      "Warum ich gekommen bin", sagte ich nun streng, "du weißt es, so geht das nicht weiter, du da oben auf dem Baum und wir anderen da unten auf der Erde. Alle Menschen müssen sich schließlich an bestimmte Regeln halten, sonst gibt es keine Gemeinschaft."

      Himmel, Sonja, so dumm kann man sein, und so klein kann man sich machen, wie oft hatte ich wohl schon solchen Unsinn von mir gegeben, ohne es zu merken. Für einen Augenblick war mir, als säßen in dem kleinen Boot eine Menge Menschen, Kinder und Erwachsene, die mich so abweisend ansahen wie Hans Schorn, dieser unscheinbare, blasse Junge mit Augen, die irgendwie ins Weite zu blicken schienen. Er ist noch ein Kind, sagte ich mir, du lässt dich täuschen, sein Lebensraum ist eng begrenzt, du musst nur die richtigen Worte finden, ihn zurechtweisen, ohne ihn mehr als notwendig zu verletzen.

      "Nun hör mir mal zu", sagte ich, "du lässt uns ja keine Wahl, kannst du denn nicht sein wie alle anderen, oder gefällt es dir, außerhalb zu stehen und von allen verlacht zu werden...?"

      Keine Ahnung, was ich noch alles von mir gegeben habe, jedenfalls klang es wie Wenn du nicht sofort ...!, ich bereute, dass ich hierher gekommen war. Hans Schorn saß im schaukelnden Boot, ich stand auf dem Steg, ich erreichte ihn nicht.

      In diesem Augenblick erkannte ich, dass ich während des Studiums und als Lehrerin etwas nicht begriffen oder nicht erfahren hatte, vielleicht das Wichtigste, nämlich einen Andersdenkenden und -fühlenden zu verstehen, und ich dachte an Robert und dass wir uns immer fremd bleiben würden.

      Ich wollte so nicht weggehen, mein Trotz war hellwach, ich musste es schaffen, den Jungen erreichen, egal wie, so konnte, so durfte ich nicht gehen.

      "Rede du", sagte ich, "also ich höre dir zu."

      Aber

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