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Ungewisse Vergangenheit. Nicole Siecke
Читать онлайн.Название Ungewisse Vergangenheit
Год выпуска 0
isbn 9783742718860
Автор произведения Nicole Siecke
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Noch während ich seinen Namen aussprach, wurde mir bewusst, dass er nicht Vorort war. Warum fehlte er? Hatte er nicht diesen verfluchten Kreis mit seinen Händen geschlossen? Und war er es nicht gewesen, der uns all das hier eingebrockt hatte?
Kiefer schien meine Gedanken genau verfolgen zu können.
„Ich habe ihn nirgendwo entdeckt. Er ist verschwunden!“
Ich überlegte, ob er überhaupt anwesend sein konnte, ob er nicht unser Medium gewesen war und aus welchen Gründen er uns hierher befördert hatte. Mein Gott, welchen Gedanken hing ich nach? Waren wir tatsächlich Opfer einer Zeitreise geworden? Der Fakt, dass ich nicht allein war, hielt mich davon ab zu glauben, dass dies hier mit rechten Dingen zuging. Ich träumte nicht. Es war ein Alptraum, den ich zu unterdrücken versuchte. Es war ein Alptraum, welchen Kiefer und Lori mir mit ihrer Anwesenheit bestätigten, dass er noch nicht so schnell vorüber sein würde. Hatte er mich damit gemeint, keine Angst haben zu müssen? Panik dehnte sich in mir aus und wenn ich mich nicht zusammenriss, würde ich gleich in Tränen ausbrechen.
„Hören Sie, ich hatte schon länger Gelegenheit als Sie, mir Gedanken über diese Situation zu machen. Das Schlimmste daran ist die Unwissenheit, der wir ausgeliefert sind. Wir müssen das Beste für uns alle daraus machen. Es hat keinen Sinn, in Panik zu verfallen. Wir müssen einen kühlen Kopf bewahren!“
Kiefers Worte waren wahr. Anscheinend war er erwachsener, als ich ihn eingeschätzt hatte. Insgeheim bewunderte ich ihn für seinen Mut. Wahrscheinlich war es wirklich das Beste, abzuwarten. Herauszufinden, wo wir uns nun befanden, an welchem Ort und in welcher Zeit, denn einer Sache war ich mir hundert Prozent sicher, wir waren nicht mehr in der Universität, in diesem verdammten Hörsaal, an diesem verdammten Lehrerpult!
Lori kam plötzlich zu sich und ich hatte starkes Mitleid schon jetzt mit ihr, weil sie noch dem ausgeliefert war, was uns bereits beschlichen und ergriffen hatte.
Erstaunlicherweise blieb sie relativ gefasst. Ihre Augen musterten unsicher die Gegend um uns herum. Ich konnte ihrer Gesichtsmimik absolut keine Regung entnehmen und ich hatte das Gefühl, dass meine Nerven blanker lagen als ihre.
Kiefer und ich warteten in stummem Einverständnis ihre Desorientierung ab. Es hatte keinen Zweck, sie direkt mit der ganzen Wahrheit zu konfrontieren. Es kam mir so vor, als ob er und ich uns sehr gut auch ohne Worte verstanden, eine Tatsache, die ich mir mit manch anderem ebenfalls wünschte.
„Wir sind tatsächlich gereist!“ Loris Satz war nicht als Frage gemeint.
„Es sieht ganz so aus“, tastete ich mich vor.
„Das ist ganz offensichtlich, denn eben waren wir noch im Physikunterricht. Ich begreife es nicht!“ Ihre Stimme klang trocken und fassungslos und wieder konnte man ihr nicht widersprechen.
Während wir unschlüssig und überfordert dort beisammensaßen, versuchte ich erneut, mich zu erheben und dieses Mal hatte ich Glück. Völlig überflüssig strich ich mir den Rock glatt. Die Falten, die er mittlerweile aufwies, waren kaum mehr mit dem heißesten Bügeleisen in Form zu bringen. Langsam musterte ich die Umgebung, in der wir uns befanden. Es war ein Waldstück, Laubbäume umgaben uns. Unter normalen Umständen hätte ich diesen Ort sogar wunderschön gefunden, nicht aber in dieser Situation.
„Welche Richtung bist du schon gegangen?“
Kiefer wusste, dass ich ihn ansprach.
„Südlich, ein paar hundert Meter weiter endet der Wald. Aber es gibt keinen Weg. Nur endlose Hügelketten. Ich konnte nichts erkennen, was auch nur annähernd mit einem Gebäude oder Menschen zu tun hat!“
Ich verstand ihn. Das wäre auch meine erste zu stillende Neugier gewesen. Während ich dort stand, schoss mir urplötzlich eine Erinnerung durch den Kopf.
„Von welcher Zeit hast du gesprochen, als es um diese schlimme Sache auf dem Footballfeld der Uni ging?“
Meine Frage war an Lori gerichtet.
Sie sah verwirrt in meine Richtung, aber Kiefer kam ihr zu Hilfe: „Es war dreißig Jahre zurück. Meinen Sie, es hängt mit der Dauer seiner Berührung zusammen, wie weit wir gereist sind?“
Sein Scharfsinn war enorm. Noch bevor ich antworten konnte, mischte Lori sich jedoch dazwischen: “Ich kann es immer noch nicht fassen! Wie in Gottes Namen hat er das angestellt?“
Ich konnte ihr ansehen, in welchem Schock sie sich befand, wusste ihr jedoch keine passende Hilfestellung zu geben. Kiefer und ich standen vor ihr und waren beide zu überwältigt, um eine passende Antwort zu geben.
Lori wiederholte sich laut: „Ich will wissen, wie er das angestellt hat, verdammt!“
„Lori, wenn wir das wüssten, würden wir uns wohl so schnell wie möglich zurück katapultieren, das kannst du mir glauben! Wir sind von einem Hörsaal aus in einem Gott verlassenen Wald gelandet. Was meinst du, wie er das angestellt haben wird, he?“
Er machte eine kurze Pause und sprach dann weiter.
„Meinst du tatsächlich, er würde sein Wissen darüber mit uns teilen? Meinst du nicht, er hätte uns dann vorher in diese Problematik eingeweiht?!“
Er war laut geworden und stand wie ein Rachegott vor ihr, vermutlich tat er es aus seiner eigenen Verzweiflung heraus, ich wusste es nicht genau.
Kiefers offener Verbalangriff löste Zorn in ihr aus. Sie bebte innerlich und schaffte es kaum, es nicht als ein unaufhörliches Zittern nach außen dringen zu lassen. Ihre Hände hatten sich so fest um ihre Knie geschlossen, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten. Ihre Augen waren geschlossen und rollten unruhig unter ihren Lidern. Mich hätte es nicht gewundert, wenn dieser stumme Schrei sich in einen hysterischen Schreianfall verwandelt hätte, aber es blieb aus. Stattdessen stand Kiefer unschlüssig vor ihr, unsicher, irgendeine Handlung zu begehen. Als einige weitere stumme Minuten vergangen waren, begann er zu sprechen.
“Es tut mir leid, Lori. Ich bin sicher, dass wir eine Chance haben werden, hier wieder heraus zu kommen. Stimmt es, Miss Clerence?“
Ich nickte und doch konnte sie meine Reaktion nicht sehen. Fast kameradschaftlich stieß er sie an die Schulter und es schien eine beruhigende Wirkung auf sie zu haben. Nach einer Weile sah sie auf, die Röte, die sie zu unterdrücken versucht hatte, hatte ihr ganzes Gesicht in Beschlag genommen. Es blieb weder Kiefer noch mir die Gelegenheit, weiter darüber nachdenken zu wollen, denn ein fernes Geräusch drang zu uns herüber. Alle drei sahen wir überrascht in die Richtung, aus der es kam, aber es war nichts zu sehen. Blitzschnell entschlossen schlich Kiefer an mir vorbei. Eine solche Geschmeidigkeit hatte ich ihm gar nicht zugetraut! Es war zu spät, um reagieren zu können. Ich konnte ihn nicht mehr aufhalten. Anscheinend hatte er die Regie in diesem schrecklichen Spiel übernommen.
Ich hielt Lori aufmunternd meine Hand entgegen, die sie erschrocken vor dem Unbekannten, was da auf uns zukam, entgegennahm. Leise folgten wir Kiefer ins dichte Geäst. Ich war froh, dass man uns von hier aus nicht sehen konnte, denn es waren tatsächlich Menschen in der Nähe, die ein Fuhrwerk durch tiefen Morast lotsten.
Diese Szene hätte auch in unsere eigene Zeit gepasst und ich stutzte leicht. Schon wollte ich erleichtert auf die Gruppe zulaufen, als Kiefer mich heftig am Ärmel zurück riss.
„Schon mal Leute in solcher Kluft bei uns gesehen?“, zischte er unterdrückt.
Er hatte Recht, obwohl ich Skepsis entgegen zu bringen versuchte: “Es könnten Amish sein.“
Er unterbrach mich: “Diese Leute mögen vielleicht den elektrischen Strom verpönen und eine sonst sehr engräumige Betrachtungsweise der Welt haben, aber ich glaube nicht, dass sie Pistolen mit sich führen, um einen mit Lebensmitteln bepackten Zweispänner zu eskortieren?!“
Ich sah, was er meinte, da die mitgeführten Waffen in der Sonne glänzten.
„Sie sehen aber trotzdem ganz harmlos aus!“, meldete ich überflüssigerweise entgegen.
Kiefer sah mich von oben herab an.