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Ungewisse Vergangenheit. Nicole Siecke
Читать онлайн.Название Ungewisse Vergangenheit
Год выпуска 0
isbn 9783742718860
Автор произведения Nicole Siecke
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Und wie schnell ist Licht?“, forderte er weiter.
„300.000 km/Sek.“
„Was bedeutet das?“, er lächelte und seine Lippen wurden schmal.
„Dass uns eigentlich, wenn wir schneller als das Licht sein könnten, Zeitreisen möglich wären!“
Ein Wortwechsel, dem man gerne lauschte, zumindest von der Lehrerseite betrachtet. Manitu Vibelle sah ihn unergründlich an. Wenn er beeindruckt war, so wusste er es gut zu verbergen.
„Ich gratuliere Ihnen! Wie war doch gleich Ihr Name?“
„Kiefer Wood. Mein Name ist genauso abartig wie Ihrer!“
Schadenfrohes Lachen ertönte, welches Professor Vibelle zu ignorieren wusste.
„Wäre Ihnen ein gewöhnlicher Name, wie Christopher Miller oder Andy Smith lieber? Ist es tatsächlich besser, ein kleiner grauer Durchschnittsmensch zu sein, der weder mit seinem gewöhnlichen Namen noch mit seiner Intelligenz auffällt?“
Kiefer blickte ihn direkt an; man sah ihm an, dass er nichts zu erwidern wusste.
„Schon mal darüber nachgedacht, Mr. Wood?“
Instinktiv hielt ich die Luft an. Wenn Professor Vibelle unsere Aufmerksamkeit schon nicht mit der Relativitätstheorie erregen konnte, so hatte er sie sich jetzt mit einfachen Namensvergleichen verschafft. Ich wusste nicht, welche Taktik er im Unterricht anwandte, aber er hatte den ganzen Kurs zum Nachdenken gebracht. Mit Überlegungen, die einen die langweilige Gewöhnlichkeit des eigenen Namens erkennen ließen.
„Schon mal über Zeitreisen nachgedacht, Mr. Wood? Ich meine, wo wir gerade beim Thema sind.“
Vibelle bohrte weiter.
„Ich verstehe nicht?“
Nun formulierte e seine Frage anders: „Sind Sie an einem Experiment interessiert?“
Der Professor verschränkte die Arme vor der Brust.
„Wenn ich hinterher keinen Anwalt benötige.“
Es war wie verhext, aber niemand traute sich ein Wort zu sprechen. Nie hatte ich solche Unterrichtsmethoden kennen gelernt. Unbewusst krallten sich meine Finger um den Block, den ich an mich gepresst hielt.
„Sonst noch irgendjemand, der an Einsteins brillanter Vorstellungskraft und Genialität teilhaben möchte?“
Ein absurder Gedanke sich einzubilden, einer der Schüler würde seinen wild entschlossenen Blick erwidern.
„Miss Julie Clerence, ich schätze, Sie müssen mit gutem Beispiel vorangehen!“
Angestrengt überlegte ich, wie er zu meinem vollständigen Namen gekommen war, da ich mich nicht erinnern konnte, mich vorgestellt zu haben. Ich war verspätet erschienen, was mir schon peinlich genug gewesen war. Während ich noch mit dieser Frage zugange war, kam er
entschieden auf mich zu und umfasste fest mein Handgelenk. Diese Berührung löste ein seltsames Gefühl in mir aus. Seine Hand war kalt, was ich nicht vermutet hätte. Es passte weder zu meiner Annahme noch zu dieser Jahreszeit. Diese Sekunden kamen mir vor, als kenne ich ihn schon seit Jahren, als sei er ständiger Begleiter meines dreißigjährigen Lebens gewesen. Irgendein Déjà-vu verfolgte mich und löste unheimliche Wahrheiten in mir aus. Mein Herz raste und ich fühlte, wie mich eine seltsame Vertrautheit beschlich.
Wie ein hypnotisiertes Kaninchen vor der Schlange ging ich hinter ihm her, die neugierig bohrenden Blicke der Schüler im Rücken. Obwohl ich aufgeregt war, sagte mir seine Stimme, dass ich es nicht sein musste. Kiefers Blick kreuzte unsicher den meinen. Er stand bereits am Pult als erwarte er mich. Jetzt sah er alles andere als gelangweilt aus. Ich blinzelte ihm beruhigend zu und hoffte, somit eine Brücke zwischen uns aufbauen zu können.
„Ich würde gerne auch mitmachen!“
Loris Stimme ertönte plötzlich laut aus den hinteren Reihen.
Mit einem Male hatte sie alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen, was ihr unvermutet peinlich aufstieß. Hektisch warf sie ihr dunkles langes Haar in den Nacken, während sie bereits dabei war, sich zu erheben. Zielstrebig ging sie auf unsere kleine Gruppe an dem Pult zu. In ihren Augen spiegelte sich pure Neugier. Sie war eine ruhige, unscheinbare Studentin. Ich nahm an, dass sie nicht ganz uneigennützig an diesem Experiment teilnahm. Es war klar, dass hier etwas seltsam Neues geschehen sollte und sie sah es vermutlich als eine interessante Chance an. Außerdem nahm jeder hier im Kurs an, dass ihre Bereitschaft mitzumachen mit Kiefer zusammenhing, denn eine Verliebtheit zu ihm wurde ihr angedichtet, die sich jedoch bis jetzt noch nicht bestätigt hatte.
Professor Vibelle nickte ihr aufmunternd zu.
„Kommen Sie, es ist schön, dass Sie meine Leidenschaft teilen.“
Zur Bestätigung sah er uns nacheinander intensiv freundlich an.
„Wir alle werden nun eine Zeitreise machen. Sind Sie bereit?“
„Moment mal, wie meinen Sie das?“
Ich schaffte es nicht, meine inzwischen aufgekommene Skepsis zu unterdrücken. Wir vier standen um das Lehrerpult herum. Es war mir aufgefallen, dass der Rest des Kurses ebenfalls herangetreten war und zufällig einen Kreis um uns bildete.
„Sie glauben mir nicht?!“
Seine angehobenen Augenbrauen zuckten amüsiert. Es war mehr eine Feststellung als eine Frage und er sah mich an.
„Es hat weniger mit Glauben zu tun, aber ich habe kein Interesse an einer solch mysteriösen Veranstaltung teilzunehmen. Werden Sie die Chemikalien, die hier auf dem Tisch stehen dazu anwenden, oder wie haben Sie sich das gedacht? Oder sprechen wir hier gar von einer Art Okkultismus?“
„Ich schätze Ihre Skepsis, Miss Clerence, aber sehen Sie hier irgendwo Kreuze, Kerzen oder Pentagramme?“
Ich holte tief Luft: “Natürlich nicht, aber wenn Sie jetzt von uns verlangen, dass wir uns an den Händen fassen sollen, könnte ich annehmen, dass Sie Utensilien wie diese unter dem Pult versteckt halten.“
Unsere Blicke kreuzten sich intensiv. Es war, als könne er all meine Gedanken innerhalb von Sekunden lesen, und ich fühlte mich ertappt von Überlegungen, die ich wahrscheinlich noch gar nicht gemacht hatte, die er jedoch bereits zu interpretieren vermochte.
„Ich möchte lediglich ein physikalisches Experiment durchführen, welches die allgemeine Infragestellung der Relativitätstheorie beantwortet, das ist alles, Miss Clerence. Ich habe dazu geforscht. Es steht Ihnen offen zu, jederzeit auszusteigen oder einen anderen an Ihre Stelle treten zu lassen. Allerdings wäre mir gerade an Ihrer Mitarbeit gelegen, da Sie als Lehrerin eine Art Vorbildfunktion übernehmen könnten!“
Seine suggestive Wortwahl hallte in meinen Ohren wie eine Warnung, aber dennoch neigte ich gefühlsmäßig eher zu einer bereitwilligen Teilnahme, da ich mir keine Angst eingestehen wollte.
Also stob ich verlegen Luft durch die Nase, was wohl meine Einwilligung widerspiegelte?
„Miss Armstrong, könnten Sie mir sagen, was Sie, wenn Sie aus dem Fenster schauen, draußen sehen?“
Während Professor Vibelle diese Frage stellte, haftete sein Blick immer noch auf mir. Eine Tatsache, die mir Unbehagen einflößte, zumal ich abermals scharf überlegte, woher er nun auch noch Loris Namen wusste.
„Oh, ich sehe ein Footballfeld. Ein leeres Footballfeld. Es spielt niemand dort, vermutlich weil es heute regnet.“
Natürlich folgte der ganze Kurs ihrem Blick nach draußen, obwohl jeder um diese Tatsache bereits wusste.
„Das ist gut beobachtet und nun gebe ich Ihnen allen ein Beispiel wie es wäre, wenn wir tatsächlich zeitgereist wären.“
Seine Hand schnellte plötzlich über das Pult hinweg zu ihrer. Ein gleißendes Licht zuckte ziellos auf. Eine Glühbirne in