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Von den Göttern verlassen IV. Sabina S. Schneider
Читать онлайн.Название Von den Göttern verlassen IV
Год выпуска 0
isbn 9783738026139
Автор произведения Sabina S. Schneider
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
[Lucel fuchtelte mit den Armen und spießte imaginäre Gegner auf. Selena entschlüpfte ein leises Kichern und sie flüsterte seufzend: „Mein Held!“ Lucels Hände gefroren in der Luft und seine Wangen röteten sich leicht, als er sich verlegen räusperte.]
Da Mikhael, ihr Retter, ein Edelmann von Herzen war, konnte er die zwei jungen Damen nicht alleine im Wald herumirren lassen. Er beschloss, sie zu begleiten und mit seinem Leben zu beschützen. Sein Entschluss war nicht nur reiner Natur, denn sein Herz schlug, seit er sie zum ersten Mal erblickt hatte, für die schöne Serena. Doch obwohl Mikhael die schönsten Augen der Welt hatte, die meist verschmitzt wie Bernsteine funkelten, blieb Serenas Herz unberührt.
Auf ihrem Weg hielten sie in einem Gasthaus, um sich auszuruhen und für die kommende Reise zu stärken. Dort begegnete ihnen Molly, eine junge, fröhliche Kellnerin, die den ganzen Tag nur lachte und deren Herz in freudiger Erwartung auf kommende Abenteuer pochte und Serena sofort entgegenflog. Molly schloss sich der Gruppe an.
Zu viert reisten sie durch Täler und Wälder, vorbei an Häusern und Feldern. Auf ins unbekannte Land, das vor ihnen noch niemand betreten hatte. In einem Wald mit Bäumen, die so groß waren, dass sie den Himmel berührten, traf die muntere Truppe auf das Waldvolk. Riesige Gestalten mit spitzen Ohren, die sangen, anstatt zu sprechen. Sie durchsuchten die Sachen der erstaunten Gefährten, die auf ihrer Reise zu Freunden geworden waren und fanden bei Aira ein Amulett.
Aufgeregt brachten sie die Gefährten zu ihrem König, der nicht nur singen, sondern auch sprechen konnte. Er erzählte ihnen, dass vor einiger Zeit das Waldvolk und das Bergvolk sich angefreundet und als Zeichen ihrer Verbundenheit gemeinsam das Amulett Zerelf gefertigt hatten. Doch das Amulett war vor über einem Jahrzehnt verloren gegangen. Und eben dieses trug Aira um den Hals. Der König des Waldvolkes bat die Gefährten, Zerelf in seinem Namen zum Bergvolk zu bringen, um die Freundschaftsbande zu erneuern und zu stärken.
In der Hoffnung, dort ein neues Zuhause für Aira zu finden, willigten die Freunde ein. Malhim, der Sohn des Königs, hatte sich wie Mikhael auf den ersten Blick unsterblich in Serena verliebt und bat seinen Vater, die Gruppe auf ihrer Reise begleiten zu dürfen. Schweren Herzens ließ der König seinen einzigen Sohn mit fünf Außerwählten ziehen: den Kriegern Salmon, Aragar, Garif und Mof, sowie dem Magier Haril.
Ausgeruht und gestärkt machten sie sich auf, ihre Aufgabe zu erfüllen. Doch sie wussten nicht, das Morphis, ein böser Zauberer, schon lange nach dem Amulett suchte. Und so fand seine Dienerin die Freunde unvorbereitet. Sie beschwor eine Severenarmee und ergoss einen Pfeilregen über die Gefährten. Haril, der Magier riss seine Hände in die Luft und erschuf mit all seiner Kraft einen Transportzauber. Kurz bevor eine Windkugel sich um die Freunde schloss, erblickte Serena das Gesicht der Angreiferin und erkannte Alara, ihre eigene Mutter.
Harils Wirbelsturm brachte die Reisenden in ein verbotenes Gebiet, den verwunschen Wald, in dem die Magie der Bäume so stark war, dass sie alle anderen Zauber verformten und zerrissen. Magier mieden diesen Ort um jeden Preis. So auch ihre Angreifer. Doch der Pfeilhagel war nicht ohne Spuren über sie hereingebrochen. Viele waren getroffen. Die Glücklichen waren nur leicht verletzt, doch Molly erlag ihrer Wunde noch vor dem Transport.
Voller Schmerz vertrauten die Gefährten ihren Körper dem Wald und seinen Wurzeln an. Vor allem Mof vom Waldvolk hatte an ihrem fröhlichen Wesen Gefallen gefunden und Trauer um das Mädchen aus dem Flachland fand sich in seinem Herzen ein.
Trauer ergriff auch Serenas Herz, denn sie hatte Molly sehr liebgewonnen. Gefangen in ihrem Schmerz, nutzte Oril, der verwirrte Herrscher des verwunschenen Waldes, die Chance, verzauberte die schöne Serena und entführte sie auf sein Schloss. Malhim und Mikhael, deren beide Herzen für Serena schlugen, machten sich sofort auf, um sie zu retten.
[Selena seufzte verträumt. Gleich zwei gutaussehende, strahlende Helden, die eilten, um die holde Maid aus den Klauen des Ungeheuers zu befreien. Und sie musste sich im wirklichen Leben mit dem da zufrieden geben. Sie warf einen verstohlenen Blick zu Lucels Ohren, die aufgeregt hin- und herzuckten. Wie machte er das nur? Ungewollt glühten ihre Wangen und Selena versteckte ihr Gesicht tief in dem Bärenfell.]
Nur mit Mühen gelang es ihnen, Serena aus den Krallen des verdrehten Geistes zu befreien. Und sie machten sich weiter auf zum Bergvolk. Doch Alara, die Dienerin des bösen Morphis, wartete mit einer Armee am Waldrand. Die Gefährten kämpften tapfer, vor allem Serena mähte einen Feind nach dem anderen nieder und es gelang ihnen trotz ihrer Unterzahl, den Feind zu besiegen. Müde und ausgelaugt erreichten sie das Bergvolk.
Doch die Angriffe ließen den Freunden keine Ruhe und sie beschlossen, ins Schneeland zu reisen, um im Morphium Kloster nach Antworten zu suchen. Und so brach Serena mit Mikhael, Krohl, der den Namen Zorghk abgelegt hatte, Malhim und Mof auf in die nördlichste Region der Welt. Während ihrer Reise begegneten sie Armirus, Mikhaels Ziehvater. Nach langen Gesprächen stellte sich heraus, dass Armirus der Bruder von Serenas Vater war und damit ihr Onkel. Von ihm erfuhr Serena auch, dass Laron, ihr Vater, noch am Leben und seit Jahren zu Unrecht in einem Verlies eingesperrt war.
Gemeinsam machten sie sich auf, ihn zu befreien und nahmen ihn mit in den kalten Norden. Wochenlang durchstreiften sie das Schneeland und fanden erst kurz vor dem Erfrieren das Kloster, das sich einsam von der weißen Schneehölle abhob. Sie gelangten durch eine geheime Tür hinter die dunklen Mauern und liefen Halif, Armirus‘ und Larons verschollenem Halbruder, in die Arme. Gemeinsam mit Nadine war es ihm gelungen, in wenigen Monaten die Kunst der Magie zu meistern. Mit ihrer Hilfe konnten sie nach einem langen Kampf den bösen Zauberer besiegen. Alara jedoch war nicht auffindbar.
Der Prinz des Waldvolkes gestand Serena seine Liebe. Seinen vor Leidenschaft glühenden, grünen Augen mit goldenen Sprenkel gelang es, die Eismauer um Serenas Herz zum Schmelzen zu bringen und sie kehrten gemeinsam in seine Heimat zurück. Kurze Zeit später bekamen sie einen hübschen Jungen, dem sie den Namen Lucel gaben.
[Sanil beobachtete aus dem Augenwinkel Selena und Lucel. Selbst mit ihren sechszehn Sommern, die sie jetzt zählten, lagen sie auf dem Fell und hörten gebannt ihrer Mutter zu. Er wusste, dass diese Tage bald vorbei sein würden und genoss jeden Abend, den sich die Jungspunde noch zähmen ließen.]
Sie lebten glücklich, besuchten oft ihre Freunde sowohl im Bergland als auch im Flachland. Es hätte ein Happy End werden können, doch plötzlich erkrankte Serena. Keiner wusste sich zu helfen, kein Heilmittel war bekannt, über die Krankheit an sich wusste man nichts. Voller Trauer bat Malhim das Bergvolk um Rat und man beschloss gemeinsam, Serena in einen Schlaf zu versetzen und ihren Körper tief im Gebirge aufzubewahren. Bis zu dem Tag, an dem man ein Heilmittel finden würde.
Sie würde keine Schmerzen leiden und die Krankheit würde ihr gemeines Werk in dem Raum ohne Zeit nicht vollenden können. Und wenn noch keiner ein Heilmittel für ihre Krankheit gefunden hat, liegt sie vielleicht heute noch dort und wartet, eingehüllt in Träume von Abenteuer, Liebe und Freundschaft, darauf, dass jemand sie retten kommt.
Selena war wie immer mit dem Ende, das keines war, unzufrieden und konnte nicht umhin, ihre traditionelle Frage zu stellen: „Wie geht die Geschichte weiter?“
Wie immer füllten sich die Augen ihrer Mutter mit Tränen und es tat Selena leid, dass sie gefragt hatte.
Laura lächelte, sah voller Liebe von ihrer Tochter zu Lucel. So sehr sie sich wünschte, dass Lucel ihr leiblicher Sohn wäre, war sie doch froh für Selena, dass sie nicht blutsverwandt waren.
„Ich kenne die Geschichte nur bis hierhin. Den Fortlauf zu erzählen ist eine Sache der nächsten Generation. Vielleicht erzählst du ihn ja eines Tages deinen Kindern.“ Laura blickte wieder zu Lucel, der immer noch mit geschlossenen Augen auf dem Rücken lag. Die langen Holznadeln in ihren Händen bewegten sich rhythmisch im geübten Takt. Ihre Augen verloren sich im Feuer und sie sah ein kleines Mädchen mit schwarzen Locken und blauen Augen, wie sie Lucel hatte. Es war nicht traurig und doch lachte es nicht.