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hatte er zweieinhalb Jahre in den Vereinigten Staaten von Amerika verbracht, was, wie bereits erwähnt, für einen in die Führungspositionen des heutigen Wissenschaftssystems strebenden Wissenschaftler von großem Ansehen ist. Über Sinn und Zweck von Auslandsaufenthalten habe ich bereits an anderer Stelle ein paar Worte verloren. Obwohl der Professor in der Bildungshierarchie viel weiter aufgestiegen war als ich, lehrte und erklärte er mir nichts, sondern erwartete von mir, dass ich alles schon wusste über das für mich ganz neue Forschungsthema, welches er schon Jahre vor mir bearbeitete. Wenn ich eigene Vorschläge bezüglich der experimentellen Vorgehensweise unterbreitete, weigerte er sich, diese anzunehmen und negierte sie meist völlig kommentarlos. Im wöchentlich stattfindenden Literaturseminar, worin alle Arbeitsgruppenmitglieder abwechselnd zu ihren Forschungsthemen passende Fachartikel vorstellten, verließ er den Raum, als ich an der Reihe war. Dazu behauptete er noch, ich hätte in zwei aufeinander folgenden Seminaren zweimal Dasselbe erzählt. Tatsächlich aber hatte ich zwei verschiedene Literaturartikel mit wechselndem Inhalt vorgestellt. Man ersieht daraus, welch konstruktive wissenschaftliche Diskussionen man mit MoP führen konnte.

      Irgendwann landete die Geschichte beim Personaldezernat, denn MoP beabsichtigte, mich schnellstmöglich zu entsorgen. Er behauptete sogar, dass er das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) bewilligte Projekt, auf welchem ich für ein Jahr eingestellt worden war, zurückgeben wird, wenn ich aufhöre. Kein Wissenschaftler, geschweige denn einer aus dem Professorenstand, gibt jemals ein schwer erkämpftes DFG-Projekt zurück, das ihm Finanzmittel schenkt. Nach meiner Entlassung hätte er jederzeit einen neuen, auf Projekten herumirrenden Wissenschaftler einstellen können, denn das Projekt war nicht personengebunden. In meinem Arbeitsvertrag war dieses Mal aufgrund der kurzen Gesamtdauer keine Probezeit eingetragen worden, weshalb mich der MoP nicht so leicht eliminieren konnte. Also fuhr er schwere Geschütze auf. Beim Personalchef der Universität beschwerte er sich, ich würde seine professorale Autorität in der Arbeitsgruppe untergraben. Mein ehemaliger Arbeitsgruppenleiter aus meiner Promotionszeit, dem ich mein Leid klagte, verfasste ein Schreiben an den Personaldezernenten, in dem er seine Überzeugung ausdrückte, dass ich vollkommen unschuldig war an der unangenehmen Situation. Er schilderte, dass ich während meiner Tätigkeit in seinem Arbeitskreis „eine außerordentlich engagierte, fleißige und überlegte Arbeit geleistet hatte, die zu Recht in einer sehr guten Promotion mündete“. Weiterhin bat er die Personalstelle, die Umstände aufzuklären, die seiner Meinung nach zu meiner vollständigen Entlastung führen würden. Der Personalchef antwortete ihm nie. Allerdings ordneten die Personaldezernenten die Angelegenheit letztendlich einer persönlichen Unverträglichkeit zwischen mir und MoP zu, was mich wenigstens teilweise entlastete. Schließlich hatte ich mir nichts vorzuwerfen. Ohne Hinweise und Hilfestellungen des Professors, der schon jahrelang auf der für mich völlig neuen Thematik arbeitete, versuchte ich, mich in das Messen seiner eigentlich in dieser Weise unmessbaren Proben einzuarbeiten. Jeden Tag telefonierte ich mit Firmen, Servicetechnikern und Fachkollegen, um irgendwie voranzukommen. Wenn MoP mir wieder etwas vorwarf, wehrte ich mich. Mehr nicht. Die Krönung seiner Schikanen gipfelte darin, dass ich mir als promovierte Mitarbeiterin meinen kleinen Schreibtisch einschließlich des darauf stehenden Computers mit einer Studentin teilen sollte, die neu ans Institut kam; und dies im selben Büroraum, wo alle geringer qualifizierten Diplomanden und Doktoranden einen eigenen Schreibtisch besaßen. Zu MoP`s Strategie gehörte eben auch Degradierung. Im Nachhinein ist es mir ein Rätsel, wie ich all diese schrecklichen Tage, die vor Psychoterror nur so strotzten, überhaupt aushielt. Oft schleppte ich mich vom Mittagessen in der Mensa durch den wunderschönen, alten Park zurück und wollte eigentlich nicht mehr in das Horrorlabor zurückkehren. Munter pickende Stare mit perlenbesetztem schwarzem Kleid spazierten auf den Parkwiesen umher und verbreiteten einen Hauch einer natürlichen Welt. Aber ich hörte nicht auf meine Seele. Ein Naturwissenschaftler darf keine Seele haben. Er muss funktionieren wie seine Geräte, und wehe, wenn nicht. Dann hilft auch kein Servicetechniker mehr. Leg ab deine Sehnsucht nach Wiesen und Wald. Geh hinein in das große Haus aus Glas, Beton und Stahl. Schalte das künstliche, blendende Röhrenlicht an. Lass die Jalousien herunter, damit kein Sonnenstrahl das Computerlicht stört. Setz dich nieder und klicke. Klicke bis zum Abend, wenn du die Jalousien hoch lassen kannst, weil die Sonne flacher steht oder untergegangen ist. Die Computerabhängigkeit des Berufsalltags in der Naturwissenschaft trägt nicht nur zur vollendeten Naturentfremdung der Naturwissenschaftler bei, sondern begünstigt das Entstehen einer speziellen Form der Demenz, vor welcher Mediziner warnen [24]. Manfred Spitzer nennt sie „digitale Demenz“.

      An meinem letzten Arbeitstag in den Räumen des MoP packte ich meine Sachen im Büro zusammen und löschte meine Dateien vom Computer. Dabei wurde ich von einer Laborantin beobachtet, die sich unmittelbar hinter meinem Rücken aufstellte. Als sie nicht entwich und mir unablässig zuschaute, fragte ich sie, was dies zu bedeuten hätte. „Der Professor hat mich beauftragt“, lautete ihre knappe Antwort. Fürchtete er, dass ich ihm seine missglückten Messdaten zu entführen beabsichtigte? Wo ich doch heilfroh war, mich damit nicht mehr quälen zu müssen!

      Im Arbeitszeugnis übernahm er exakte Formulierungen aus der verschlüsselten, aber allgemein bekannten Zeugnissprache. Da er die Sätze nicht einmal ansatzweise phantasievoll abwandelte, konnte man in entsprechenden Broschüren direkt die Bedeutungen ablesen. In allen Punkten mit Ausnahme der Fachkenntnis erteilte er mir die schlechtesten Prädikate. Wohl merkte er, dass er aufgrund meiner vorangegangenen erfolgreichen Promotion und meiner bisherigen Fachveröffentlichungen unglaubwürdig erscheinen könnte, wenn er meine fachliche Qualifikation zu sehr herabwürdigte. Ebenso wie zum abrupten, von mir unverschuldeten Ende meiner Postdoktorandenanstellung am ungrünen Pflanzeninstitut quälten mich auch jetzt wieder anhaltende Magenschmerzen.

      Die Personalleitung strebte eine Umsetzung für mich an, innerhalb der Universität, jedoch zu einem anderen Professor. Für diese Aktion mussten zur Gewährung der Restlaufzeit meines einjährigen Arbeitsvertrages Finanzen zur Verfügung gestellt werden. Aus welcher Quelle diese stammten, wurde mir nicht mitgeteilt. Es war eine zunächst gerechte Idee. Auch sollte ich von der Chemischen Fakultät in die Biologisch-Pharmazeutische Fakultät wechseln, um größeren Abstand zum MoP zu bekommen. Der damalige Dekan, ein aus den westlichen Bundesländern eingewanderter Pharmazie-Professor, und der damalige Dekanatsrat, ein alteingesessener Doktor der Tierphysiologie, der in meiner Studienzeit sehr beliebte Vorlesungen hielt, empfingen mich zu einem Gespräch. Sofort spürte ich die energetische Lage des Treffens: während mir der aus Richtung des Sonnenunterganges entstammende Dekan arrogant und zynisch gegenübertrat, zeigte der heimattreue Altvordere Verständnis und Humor. Allerdings war Letzterer Ersterem untergeordnet. Meine Bitte, im botanischen oder pflanzenphysiologischen Bereich, in dem ich mich bereits im Studium qualifiziert hatte, unterzukommen, fand trotz des mehrfach vom Dekanatsrat geäußerten Verständnisses beim Dekan kein Gehör. Im Gegenteil, ich sollte in eine pharmazeutisch orientierte Arbeitsgruppe wechseln und mich an Tierversuchen beteiligen. Dies lehnte ich ab. Der Dekan wetterte, ob ich mich ins gemachte Nest setzen wolle. Die geplante Umsetzung scheiterte. Im Nachhinein erwies es sich als gut, dass ich nicht in diese Arbeitsgruppe übersiedelte, denn kurz darauf geriet die leitende Professorin in Misskredit wegen vermuteten wissenschaftlichen Betruges.

      Also meldete ich mich wieder arbeitslos. Während dieser Zeit bastelte ich einen eigenen Projektantrag zusammen, mit Hilfe ideeller und fachlicher Unterstützung meiner alten Kollegen aus der Doktorandenzeit. Das Verfassen eines Projektantrages gestaltet sich stets sehr aufwändig. Zunächst benötigt man ein Konzept, welche Fragen man auf welche Weise zu erforschen gedenkt. Dies muss neuartig, also noch nicht von anderen Wissenschaftlern versucht worden sein, was mit ausreichend Literatur zu belegen ist. Dann muss man eigene Vorarbeiten zur Thematik auflisten, welche möglichst bereits in der Fachliteratur publizierte Resultate hervorbrachten. Zu Beginn ist der allgemeine Stand der Forschung zum speziellen Gebiet ausführlich darzulegen. Um die geschilderten Dinge auf 20 Seiten in einen die späteren Gutachter überzeugenden Zusammenhang zu bringen, verbringt man ohne arbeitsrechtliche Anstellung viele Tage vorm Computerbildschirm. Stille Abende und hereinbrechende Nachtstunden, an denen man weiter darüber brütet, sind keine Ausnahme. Oftmals verteilte ich die zu sortierenden Antragszettel spätabends in meinem Bett.

      Als ich während des Bastelns an den Formulierungen meines Projektantrages in meiner alten Arbeitsgruppe zu Gast war, klingelte das Telefon und ein emeritierter,

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