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aus dem Forschungszentrum, wo ich vor Kurzem promovierte, berichtete mir über mein neues Institut, dass es als eines der führendsten Institute auf seinem Forschungsgebiet gilt und von einer dieser in den Forschungseinrichtungen von Zeit zu Zeit auftauchenden Evaluierungskommissionen sehr gut bewertet (evaluiert) worden ist. Dieser ausgezeichnete offizielle Ruf lockte mich an und ließ mich auf einen guten Einstieg in die neu erworbene Postdoc-Stelle hoffen. Großen Stolz verspürte ich damals noch, die aufwändigen Großgerätschaften endlich selbst betreuen zu dürfen, nachdem ich als Doktorandin immer nur das Startmessknöpfchen und den Steuercomputer berühren durfte. Als erstes aber galt es, sich mit neuen Messknöpfen und auf dem Computerbildschirm blinkenden Symbolen der umfangreichen Bedienungsprogramme anzufreunden. Hatte man sich nach einer Weile an die Symbole und deren Anordnung auf dem Bildschirm gewöhnt und damit den Kopf frei geschaufelt für darüber hinausgehende Gedanken, währte das Glück nur kurze Zeit, denn bald flatterte eine von der Gerätefirma aufgedrängte neue Version des Computerprogrammes herein, und es blieb einem nichts weiter übrig, als die Gerätebedienung mittels der neuartigen Software zu aktualisieren und sich auf veränderte Anordnungen und Bildchen umzustellen. Das neue Bedienungsprogramm erbrachte angeblich eine Reihe ganz bedeutsamer neuartiger Optionen, auf die man eigentlich verzichten konnte und die das tägliche Benutzen der Messgeräte nur noch komplizierter und aufwändiger gestaltete.

      Als Nachdoktorand (was die deutsche Übersetzung von „Postdoc“ bedeutet) verdiente man endlich auch ein volles Gehalt, nachdem man als Doktorand nur den halben Tag bezahlt worden war. Ein ungeschriebenes Gesetz lautete, dass man trotzdem den vollen Tag arbeitete und weit über eine Vierzigstundenwoche hinaus, damit man mit der Bearbeitung des Promotionsthemas vorankam. Dieser Umstand wurde von den Vorgesetzten gern damit begründet, dass man den halben Tag für die beherbergende Forschungseinrichtung arbeitete, während die zweite Tageshälfte der eigenen Qualifikation diente. Dieses Argument hinkte, denn in nichtnaturwissenschaftlichen, vornehmlich in rein ingenieurtechnischen Bereichen wurden bereits damals auch für Doktoranden volle Stellen bezahlt. Dieser Umstand verstärkte sich in den letzten Jahren, weil Absolventen vieler technischer Studiengänge weitaus besser honorierte Beschäftigungen in Industriebetrieben finden und sich kaum einer mit einer halben Stelle an einem universitären Forschungsinstitut begnügen muss. Um Promovenden in technischen Fachrichtungen anzulocken, muss also volles Gehalt geboten werden. Also bestimmt nicht etwa irgendeine hehre Qualifikationsmoral die Bezahlung von Promovierenden, sondern allein die industrielle Wirtschaft. Gerade solche technischen Zweige wie die Automobilindustrie, welche einige der größten Umweltverschmutzungen verursachen, bieten ihren Ingenieuren die größten Gehälter.

      Während meiner Doktorandenzeit dachte ich nie über meine Bezahlung nach. Ich verglich mich nicht mit anderen. Im Nachhinein mutet die halbe Bezahlung jedoch ungerecht an. Man arbeitete in demselben, meist in einem größeren Umfang wie die promovierten Wissenschaftler und wie die technischen Doktoranden. Wo war denn die Grenze zu ziehen zwischen dem, was man für die Forschungseinrichtung erledigte, und dem, was einer persönlichen Weiterbildung diente? Unter dem Gesichtspunkt, was man im späteren Berufsleben von dieser zu erwerbenden Qualifikation an verheerenden Schwierigkeiten und Nachteilen zu erwarten hatte, erscheint jene Begründung umso absonderlicher. Zum grundsätzlichen Berufsbild eines Wissenschaftlers gehört eine immerwährende Weiterbildung, ganz gleich, ob man sich bereits im promovierten Status befindet oder noch als Promovierender agiert. Meine gesamte Tätigkeit gehörte einem Projekt, welches die Universität gemeinsam mit dem außeruniversitären Forschungszentrum abrechnete.

      Mein erster postdoktoraler Arbeitstag im für mich noch neuen, fremden Institut verpasste mir sogleich einen unerwarteten Kulturschock, da ich nun im immerhin promovierten und unter mehreren Bewerbern ausgewählten Zustand gar keinen Büroarbeitsplatz zugeordnet bekam, obwohl ich es schon seit meiner Diplomandenzeit gewöhnt war, über einen eigenen Schreibtisch und Ablagemöglichkeiten für Ordner, Bücher und dergleichen zu verfügen. Außerdem nahm sich keiner der mir im Bewerbungsgespräch und zum Vorstellungsvortrag begegneten Wissenschaftler Zeit, mir überhaupt konkrete Aufgaben zu erteilen oder fachliche Einweisungen zu vermitteln. Das einzige, was man mir in die Hand drückte, war ein unfertiges Manuskript über einen Teil der vor meiner Ankunft in der Arbeitsgruppe gelaufenen Experimente. Die verschiedenen Arbeitsgruppen, die zum neu zu entdeckenden Forschungszentrum gehörten, bestanden aus einer Vielzahl junger, befristet eingestellter Doktoranden und Postdoktoranden, den ebenfalls hauptsächlich noch jüngeren Arbeitsgruppenleitern vornehmlich westdeutscher Herkunft und etlichen, sich im mittleren Alter befindlichen Laborantinnen. Wie gewohnt stammten die Professoren ausschließlich aus den alten Bundesländern. Sie waren zwar nicht solch bösartige Gestalten, wie sie mir an späteren Orten begegneten, aber sie waren verdammt langweilig. Das Ziel meiner Tätigkeit war ihnen nur mühsam und stückchenweise über Wochen hinweg zu entlocken und blieb letztlich nicht richtig greifbar. Immerhin war ich auf einem bereits drei Jahre gelaufenen Forschungsprojekt eingestellt worden, welches ich nun weiterführen sollte. Daher war ich auf vorangegangene Erfahrungen und Ergebnisse angewiesen. Letztlich bestand das Forschungsziel darin, Reaktionen des pflanzlichen Stoffwechsels auf Schwermetallbelastungen auf molekularer Ebene aufzudecken. Dieser breit gefasste Ansatz bediente sich verschiedener analytischer Techniken: dazu gehörten diverse massenspektrometrische Verfahren zur Strukturanalytik wie auch gelelektrophoretische Proteintrennverfahren. Den Messungen ging eine umfangreiche Prozedur zur Extraktgewinnung aus schwermetallexponierten Pflanzen voraus. Zur Auswertung der komplexen Massenspektren und der zweidimensionalen Elektropherogramme standen computerbasierte Programme zur Verfügung.

      Einer der Arbeitsgruppenleiter erzählte mir stolz, dass er direkt aus Kalifornien hier her gekommen war. An fachlichen oder gar menschlichen Inspirationen, die er von dort mitgebracht hätte haben können, ließ er mich leider nicht teilhaben. Ein Auslandsaufenthalt wird im Lebensweg eines Wissenschaftlers sehr hoch gehandelt. Aus diesem Grunde drängte mich auch mein späterer Habilitationsinitiator immerzu zu einem solchen Unterfangen, denn bei Bewerbungen auf Professorenstellen achten die Berufungskommissionen sehr auf die so genannte Auslandserfahrung als nahezu unabdingbares Kriterium der Eignung habilitierter Wissenschaftler für die Besetzung einer Professur. Eine anschließende Arbeitsplatzgarantie gewährt der zumeist über ein Stipendium finanzierte Auslandsaufenthalt nicht. Als ich klagte, mich würde bestimmt starkes Heimweh überkommen, schlug er vor, ich könne doch jedes Wochenende nach Hause fliegen. Was hätte ich damit fleißig zur Atmosphärenvernichtung und zur Lärmgenerierung beigetragen! „Flugreisen verursachen bekanntlich den maximalen Klimaschaden, den ein einzelnes Individuum auf legale Weise erzeugen kann.“ [14] Davon wussten die mich jahrelang umgebenden Naturwissenschaftler und besonders die, die es mit Hilfe eines fünfjährigen Studiums werden wollten, nichts, oder sie wollten es aus Bequemlichkeits- und Statusgründen nicht wissen. Eine Studentin der Angewandten Naturwissenschaft sagte einmal zu mir, als ich das Problem des gewaltigen Flugverkehrs ansprach: „Ich dachte, Fliegen ist umweltfreundlich, weil so viele Leute in ein Flugzeug passen.“ Mittlerweile sieht die etablierte Wissenschaftsgemeinschaft auch schon Auslandsaufenthalte von Studenten und Doktoranden als besonders wegweisend für deren Entwicklung an. Darum verlagerte sich der statusträchtige Auslandsaufenthalt bis in die Anfänge des Wissenschaftlerlebens, also in das Bachelor-/ Masterstudium hinein. Es gehört zum guten Ton, Teile seines Studiums im Ausland zu absolvieren und man wird fast schon mitleidig angeschaut, wenn man seine ganze Studienzeit im Heimatlande blieb. Der Ökonom Niko Paech vermutet deshalb, dass „die Schöpfer des Bologna-Prozesses mit der Flugindustrie auf gutem Fuß stehen. Das Auslandssemester, das Praktikum in Übersee, die für eine Abschlussarbeit dringend notwendige Feldforschung in Südafrika etc. verwandeln das Bildungssystem allmählich in eine Bildungsindustrie, zumindest gemessen am Kerosininput.“ [14] Was aber lernt man im Ausland, von der Fremdsprache einmal abgesehen, die man möglicherweise auch nicht lernt, weil man sich in den Universitäten und Instituten in der internationalen Wissenschaftssprache Englisch verständigen muss? Naturwissenschaftlich ausgerichtete Labore gleichen einander weltweit in ihrem üblichen giftgetränkten, geräte- und computerbeladenen Bild. Und überall tragen sie zum horrenden Stromverbrauch bei. Um dabei mitzuspielen, muss man nicht weit fahren oder sich gar in die Lüfte erheben. Ungeachtet dessen schätzt die Wissenschaftsgilde ganz besonders hoch einen Lehr- oder Forschungsaufenthalt in den Vereinigten Staaten von Amerika, einem Land, dessen Existenz auf einer beispiellosen Urvölkerausrottung und Naturzerstörung gründet. Vor dem Einfall der Europäer

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