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antwortet Hannah.

      2. Eine Kamera mit Zauberkraft

      „Pack sie wieder ein“, flüstert Leo. „Vielleicht ist das Päckchen doch nicht für dich.“ Doch Hannah kann nicht widerstehen und greift nach dem Gerät. Ihr kommt die Kamera irgendwie bekannt vor. Von vorne ähnelt das Ding einem alten Fotoapparat aus dem vergangenen Jahrhundert. Von hinten sieht es aus wie eine moderne Digitalkamera. Eher wie ein Tabletcomputer. Sie weiß, dass sie schon als kleines Kind gerne fotografiert hat. Ihre Mutter erzählt ihr noch oft, wie Hannah am Apparat ihres Vaters versucht hat, alle Knöpfe zu drücken. Danach waren meistens alle Einstellungen durcheinander. Ihr Vater Noah war ein leidenschaftlicher Fotograf gewesen. Und diese Leidenschaft hat sie wahrscheinlich von ihm geerbt. Es gab damals keinen Tag, an dem er nicht vor oder nach seiner Arbeit als Feuerwehrmann Bilder geknipst hat. Von Blumen, vom Himmel, von Mama und auch von Hannah. Von schönen Dingen. Vielleicht auch, um die schrecklichen Bilder, die er manchmal während seiner Arbeit gesehen hat, zu vergessen. Sich selbst hat er aber nie fotografiert, erzählt Hannahs Mama immer wieder. Nur an eine einzige Aufnahme erinnert sich ihre Mutter. Doch den Film hat sie nie zum Entwickeln gebracht und irgendwann nicht mehr gefunden. Hannahs Vater ist vor sieben Jahren gestorben. Ihre Mutter sagt immer, Papa ist ein Held, weil er eine Frau aus einem brennenden Haus gerettet hat. Eine Zeichnung ihrer Mutter hilft Hannah jeden Tag, sich ihren Paps immer noch richtig vorstellen zu können. Das Bleistiftgemälde hängt zwischen Küche und Hauseingang und zeigt Noah grinsend in seinem Feuerwehranzug. Mit Helm und Strahlrohr. Immer zum Einsatz bereit. Immer bereit, anderen zu helfen. Jedes Mal, wenn Hannah mit ihrem Handy Bilder macht, muss sie irgendwie an ihren Vater denken. Und das ist gut so, findet sie. Durchs Fotografieren kann Hannah ihrem Papa nämlich immer nah sein. So vergisst sie ihn nicht.

      Hannah „Ich glaube, du solltest vorsichtig damit umgehen“, sagt Leo, als Hannah die Kamera in die Hand nimmt, um sie sich genauer anzuschauen. Aber er ist mindestens genauso neugierig und nervös wie Hannah. Er schiebt die Teller und das Besteck noch weiter zur Seite, um mehr Platz zu haben. „Klirrrrrrrr!“ Vor lauter Aufregung hat Leo die teure Kristallvase von Hannahs Mutter umgestoßen.Hundert Scherben liegen unter dem Esstisch. „Mist!“, ruft Leo. „Tut mir echt leid!“. Hannah hört Leos Entschuldigung gar nicht richtig. Fasziniert schaut sie in die Glassplitter. Die scharfen Kanten der Glasscherben brechen die Morgensonne, die durchs Fenster scheint, in tausend unterschiedliche Farben. Wie bei einer kleinen Lasershow tanzen bunte Lichter über das zerstörte Glas. „Cool! Das muss ich fotografieren“, ruft sie Leo zu, entfernt die Linsenabdeckung der Kamera, schaut mit ihrem pflasterfreien Auge durch den Sucher und drückt den Auslöser.

      Seltsames Quietschen. Dann erstrahlt die Kamera für einen kurzen Augenblick in einem unbeschreiblich grellen Licht: BLITZ!

      Hannah lässt die Kamera auf den Tisch fallen und schreit. Leo sitzt da wie erstarrt. Mit offenem Mund. Er traut sich nicht zu blinzeln und starrt die Vase vor sich an, die wie neu vor ihm steht und keinerlei Risse oder Bruchspuren aufweist.

      „Was hast du gemacht?“, fragt er mit immer noch aufgerissenen Augen. Er blickt ungläubig in Richtung Blumenvase. „Äh, … ich, … ich hab‘ ein Foto gemacht…, dachte ich zumindest“, antwortet Hannah und schaut erst Leo und dann die Kamera an. Auf dem Display ist ein Bild zu sehen. Ein mit einem weißen Strich geteiltes Foto. In der linken Hälfte des Bildes ist das Scherbenmeer der zerstörten Vase zu sehen. Darunter steht ‚10.34 Uhr‘. Im rechten Teil des Fotos ist die heile Vase auf dem Tisch und die Uhrzeit ‚10.33 Uhr‘ zu erkennen. „Sag mal, träum‘ ich? Was ist passiert? Ich hab‘ doch gerade die schöne Vase ‘runter geworfen, oder?“, fragt Leo verdutzt. „Äh… ja. Ich glaube schon“, antwortet Hannah und schaut noch immer auf das Display. „Was starrst du denn dauernd auf die Kamera? Ich frag dich, ob ich noch alle Tassen im Schrank habe und du denkst nur an deine neue, komische Kamera. Ich will wissen, was hier los ist“, sagt Leo jetzt lauter. Er ist nicht nur ungeschickt, sondern auch ungeduldig.

      Leo „Schon gut. Beruhig‘ dich, Leo. Ich wollte die vielen schönen Glassplitter und Lichtreflexionen mit der neuen Kamera fotografieren. Ich hab‘ den Auslöser gedrückt. Dann hat es irre geblitzt. Und die Scherben waren weg. Und die Vase war wieder ganz“, fasst Hannah die jüngsten zwei Minuten in der Küche zusammen. „Ja, das hab‘ ich auch gesehen“, entgegnet Leo. „Hier wird ein seltsames Bild auf dem Display angezeigt“, antwortet sie und dreht den Bildschirm der Kamera, damit auch Leo darauf etwas erkennen kann. „Boah, das ist ja Wahnsinn. Du hast ein Zeitsplitterbild erstellt“, antwortet er. „Links eine Aufnahme von 10.34 Uhr und rechts ein Bild, das eine Minute früher entstanden ist. Ich werd‘ verrückt.“ Hannah schaut nur ungläubig. „Was habe ich verstellt?“ „Nicht verstellt. Erstellt! Ich glaube, du hast in die Vergangenheit fotografiert. Ist das genial“, wiederholt Leo. „Meinst du echt?“ Hannah schaut skeptisch. „Ich glaub‘ schon. Ich hab das mal in so einem Science-Fiction-Film gesehen“, erklärt Leo. „Versuche dich zu erinnern. Was hast du genau gemacht?“

      „Nur diesen Knopf gedrückt“, erwidert Hannah und zeigt auf einen Auslöser auf der oberen schmalen Seite der Kamera. Darunter ist eine Sanduhr aufgedruckt. „Siehst du! Eine Sanduhr ist ein Symbol für die Zeit“, ruft er und schmeißt diesmal die Vase absichtlich vom Tisch. „Spinnst du?“, ruft Hannah. Doch ehe sie sich versieht, hat Leo sich die Kamera geschnappt. BLITZ!

      Hannah und Leo reiben sich die Augen und schauen auf den Boden.

      Die Scherben liegen noch immer dort. „Sorry, ich dachte, ich kann es dir beweisen, indem ich die Vase noch mal kaputt mache und wieder repariere.“ Hannah weiß nicht so recht, was sie sagen soll. Auf dem Bildschirm der Kamera ist diesmal nur ein Foto der vielen bunten Glasscherben zu sehen. Hannah schaut in die Glitzerbox. Es muss doch eine Gebrauchsanweisung oder so etwas ähnliches für dieses Ding geben. Tatsächlich. Sie zieht einen fast durchsichtigen Zettel aus dem Karton. Erst als Hannah ihn ins Licht hält, erscheinen funkelnde Buchstaben auf der Oberfläche, die plötzlich ganz dunkel wird und die Buchstaben zum Leuchten bringt:

      „Liebe Hannah! Voller Macht, Spaß, Liebe und Hilfe in der Not: Blau, Gelb, Regenbogen und das Rot. Doch nur Ehrlichkeit, Güte und ein Herz ganz rein, schalten die Lichtkartuschen ein. Aber das weißt du ja sicherlich noch! Viel Spaß damit, alles Gute zum Geburtstag und bis bald! Dein Raito“

      

      Leo schaut Hannah über die Schulter und runzelt die Stirn. „Und was soll das jetzt heißen?“ Hannah beachtet Leos Frage gar nicht, sondern liest sich die Sätze nochmal durch. „Unglaublich! Onkel Raito!“

      

      3. Ein verrückter Onkel im Pazifik

      „Wer um Himmels Willen ist Onkel Raito?“, fragt Leo und schnappt sich den Zettel, um ihn noch mal in Ruhe lesen zu können. „Lichtkartuschen, und Spaß… Ich versteh‘ gar nichts. Und warum hast du mir nie etwas von diesem Onkel erzählt?“ Leo ist sauer. Eigentlich dachte er, dass er Hannah sehr gut kennt und sie ihm immer alles erzählt. Seit drei Jahren sind sie nun schon befreundet. Seitdem Hannah mit ihrer Mutter in das Nachbarhaus gezogen war. Er weiß, dass sie süße Erdbeeren liebt. Dass ihre Lieblingsfarbe hellblau ist, sie gerne lilafarbene Strümpfe anzieht und seine tollpatschige Art mag, weil sie dann meistens etwas in ihr Buch für die guten Taten schreiben kann. Sogar den Unfall ihres Vaters hat sie ihm anvertraut. Und dass deshalb ihre Mutter umziehen wollte, um nicht ständig an Noah, Hannahs Papa, erinnert zu werden. Aber Raito? Diesen Namen hat sie ihm gegenüber noch nie erwähnt. „Klingt komisch, der Name“, sagt Leo beleidigt.

      „Onkel Raito wohnt in Japan, oder so. Glaube ich“, beginnt Hannah zu erzählen. „Er ist der Bruder von Paps und war früher oft bei uns zu Besuch. Ich glaube, er ist verrückt. Aber immer witzig drauf. Immer wenn er da war, durfte ich ihn

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