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ermüdet.

      Langsam und steif wie ein Roboter suche ich eine Tür und finde den Weg nach draußen, bleibe jedoch wie angewurzelt stehen. Zwölf nackte Männer stehen um Eimer gefüllt mit Wasser und schrubben sich sauber. Meine Augen fahren geweitet von nackten Waden hoch zu nackten Oberkörpern und springen zurück zwischen die Beine. Meine Wangen brennen, aus einem mir unerfindlichen Grund entspringt ein schriller Schrei meiner Kehle. Alle Augen richten sich auf mich und ich drehe ihnen den Rücken zu, stammle: „Tu … tuut … tut mir leid.“

      Ich muss den Drang, mich wieder umzudrehen und weiter zu starren, unterdrücken. Warum will ich wieder hinsehen?

      „Die feine Dame tut so, als hätte sie noch nie einen nackten Mann gesehen!“, ruft jemand.

      „Vielleicht haben wir hier eine Jungfrau“, fügt ein anderer hinzu und lacht.

      Das Brennen in meinen Wangen kühlt ab. Das, was ich jetzt als Scham erkenne, stirbt bei den Worten, die ich weder bestätigen noch abstreiten kann. Ich habe heute zum ersten Mal einen nackten Mann gesehen, doch ich weiß nicht, ob dieser Körper, der mir immer noch fremd ist, der sich an mehr erinnert als mein Geist, noch jungfräulich ist.

      Ich erinnere mich nicht an mein erstes Mal.

      Ich erinnere mich an so viele erste Male nicht.

      Tränen quellen mir aus den Augen, ich kann es nicht verhindern. Also eile ich zurück in den Raum mit dem Ofen. Es ist kein Versteck, es ist kein Zuhause. Ich will von der Welt nicht in meiner Schwäche gesehen werden und ziehe die Decke über den Kopf, sitze unbeweglich da und versuche eins zu werden mit dem rauen Stoff. Ich höre Schritte und wünschte, ich wäre Luft.

      „Es tut mir leid. Die anderen wollten dich sicher nicht erschrecken. Sie … wir sind es nicht gewohnt, eine Frau um uns zu haben. Wir hätten … dich warnen sollen oder uns wo anders waschen. Ich hoffe, wir haben dich nicht für immer für die Männerwelt verdorben.“

      Ich erkenne Kirrils Stimme und wünsche mir, er würde einfach verschwinden und mich mit meinem Trauma alleine lassen.

      „Hast du Hunger? Ich habe Frühstück mitgebracht.“

      Mein Magen antwortet an meiner Stelle und ich strecke vorsichtig die Nase unter der Decke hervor. Der Geruch der mich geweckt hat! Langsam ziehe ich die Decke über den Kopf, blicke in Kirrils leuchtende Augen, die so voller Emotionen sind, dass es mich fast erschlägt.

      Seine Grübchen, kleine Krater rechts und links in seinen Wangen, verleihen ihm etwas Spitzbübisches. Er hält mir einen Holzteller hin. Ein runder, gelber Klecks ist von Weiß umgeben. Ich ziehe den Duft erneut durch die Nase und frage schließlich: „Ist das … ein gebratenes Ei?“

      Kirril nickt lächelnd. „Wir halten hier ein paar Hühner und Ziegen. Käse, Milch und Eier sind also immer frisch und griffbereit. Alles andere, was wir zum Leben brauchen, holen wir abwechselnd in der nächsten Stadt. Es ist ein weiter Weg und wir müssen immer horrende Summen zahlen, sonst verkaufen uns die Einheimischen nichts. Es ist für sie ein Risiko mit uns Geschäfte zu machen. Sollte Cherub Matthew davon erfahren … sagen wir, es hätte Konsequenzen.“

      Kirrils Worte enthalten so viele Informationen, dass ich sie nicht sofort verdauen kann. Außerdem gehe ich vollkommen in meinem Hunger auf, greife gierig nach dem Teller, packe das Ei mit der Hand, rolle es zusammen und stopfe es mir in den Mund. Es ist noch heiß, doch der Geschmack ist einmalig. Ich schließe die Augen und kaue ganz langsam. Der Hunger ist in den Hintergrund getreten und ich gehe auf in der Erfahrung.

      Als alles von meinem Mund in den Magen gewandert ist, schwelge ich noch einen Moment länger in der Erinnerung, genieße das Ei noch einmal in Gedanken und erfreue mich daran, mich zu erinnern. Kirril lächelt mich verschmitzt an und sagt: „Ich brauche wohl nicht zu fragen, ob es geschmeckt hat. Willst du meins?“ Er streckt mir seinen Teller hin.

      Es ist verlockend und ich will das Ei. Aber ich habe schon zu viel bekommen für nichts. Nein, ich mache nur Umstände, nehme nur und kann nichts zurückgeben. Also schüttle ich den Kopf und sage: „Danke, aber nein. Ich möchte dein Ei nicht.“

      Er zieht eine Augenbraue hoch, erwidert: „Dann eben nicht!“, und isst vor meinen Augen genüsslich das Ei.

      Mein Blick klebt an seinen von Fett glänzenden Lippen und bevor ich auch nur daran denken kann sie daran zu hindern, gleitet meine Zunge über meine Lippen.

      Kirril, der mich keinen Moment aus den Augen gelassen hat, lacht laut auf und sagt: „Das soll dir eine Lehre sein. Wenn dir das nächste Mal jemand etwas anbietet, solltest du es annehmen, wenn du es willst. Niemand fragt heutzutage aus Höflichkeit zweimal.“

      Ich muss lächeln und nicke.

      „Gib mir deinen Teller! Ich bringe das schmutzige Geschirr in die Küche.“

      Ich reiche ihn Kirril, sage leise: „Danke“, und ernte ein Lächeln. Eine Geste, so vertraut, dass ich süchtig nach ihr werde. Mein Herz schlägt schneller in meiner Brust, als ich ihn dabei beobachte, wie er aus dem Raum verschwindet. Wird er wieder kommen, fragt sehnsüchtig eine Stimme in mir und ich schrecke auf. Wie habe ich mich so schnell an ihn binden können? Warum sehnt sich mein Herz so nach jemandes Nähe, den ich nur ein Augenzwinkern lang kenne?

      „Wie ich sehe, bist du wach.“ Onmma ist durch die Tür getreten und starrt zu mir hinunter. Mit seinem Kopf berührt er fast die Decke. Ich komme mir im Vergleich zu ihm winzig vor.

      „Danke für den warmen Schlafplatz und das Frühstück!“, sage ich schnell.

      „Für das Frühstück kannst du Kirril danken. Er hat seine Ration mit dir geteilt. Die anderen waren … nicht begeistert von der Idee, etwas von ihrer Portion abzugeben. Es ist eine Weile her, dass einer von uns in der Stadt war. Die letzte Lieferung ist zu spät“, erwidert Onmma und ich bin unendlich erleichtert, dass ich Kirrils Angebot abgelehnt habe.

      „Wie geht es dir?“, fragt Onmma und ich beeile mich zu sagen: „Besser! Viel besser! Ich werde heute noch aufbrechen. Ich will euch keine Umstände machen.“

      „Die Umstände sind schon gemacht“, erwidert Onmma und ich schrumpfe in mich zusammen, habe das Gefühl, mich bei der Welt für meine Existenz entschuldigen zu müssen.

      „Was ich sagen wollte: Die Männer haben verlernt, was es heißt für andere ihren Kopf hinzuhalten. Anstatt zu leben, denken sie nur ans Überleben. Sie haben vergessen, was die Anwesenheit einer Frau bringen kann“, führt Onmma aus und ich bin fraglos überrumpellt, denke nach und finde keine Antwort.

      Alles was ich habe, sind Fragen: „Was kann … die Anwesenheit einer Frau bringen?“

      Onmma sieht mich lange an und erwidert: „Mal von dem Augenscheinlichen abgesehen, könnte eine Frau diese stacheligen Kakteen zum Blühen bringen. Ihnen ein Leben zeigen, das sie vergessen haben. Sie daran erinnern, dass er mehr gibt, als nur das eigene Leben.“

      „Mehr?“, frage ich leise.

      „Eine Frau in der Nähe zu haben, ist der erste Schritt, sie daran zu erinnern, dass es mehr gibt als nur das eigene Ich. Dass es eine Zeit gegeben hat, in der sie liebten, davon träumten zu heiraten, eine Familie zu gründen und Kinder in die Welt zu setzen.“

      „Und das nur durch die Anwesenheit einer Frau?“, frage ich mich selbst laut.

      „Wenn diese Frau liebreizend ist, sicherlich.“

      Ich schlucke die nächste Frage herunter, als ein Schmerz durch meine Schulter zuckt, mich daran erinnert, dass ich nicht hier bleiben darf. Dass ich gejagt werde. Also sage ich einfach: „Ich hoffe, ihr findet solch eine Frau.“

      „Das hoffe ich auch“, erwidert Onmma und schweigt eine Weile.

      „Wie ist es da oben, in dem Refugium?“

      Auch wenn ich auf diese Frage gewartet habe, kommt sie überraschend. Ich schlucke und weiß nicht, was ich sagen soll. „Es ist … es ist … einsam.“ Ich blicke auf mein Armband. „Es sind so viele von uns und doch ist jeder in seinem

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