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Jesus von Nazaret. Der stellte schließlich die größten Philosophen in den Schatten und wurde zum Stifter der Weltanschauung, zu der sich heute ein Drittel der Menschheit bekennt.

      Aus Sicht der Religionskritiker ist dieser Befund vernichtend – und das umso mehr, als die meisten frühen Christen sich mit der griechisch-römischen Aufklärung kaum auseinandersetzen mussten. Dafür war sie dann doch nicht einflussreich genug. Wem die Zukunft gehören würde – das machten die Frommen der römischen, jüdischen und christlichen Religion unter sich aus.

      Nein, die antiken Religionskritiker haben es nicht geschafft, die Religionen zu überwinden. Aber sie haben sie verändert. Der Philosoph Seneca, ein Zeitgenosse Jesu, fromm, aber mit skeptischen Positionen wohlvertraut, forderte, dass der Mensch dem Menschen heilig sein müsse. Da hatte acht Jahrhunderte zuvor ein Homer noch andere Vorstellungen.

      Die Religionskritiker haben sich also nicht durchgesetzt. Das heißt aber nicht, dass sie unrecht hatten. Wie steht es damit? Ist die Religion eine zwar erfolgreiche, aber dennoch wahnhafte Massensuggestion, die klare Köpfe hinter sich lassen?

      In diesem Buch gehe ich davon aus, dass sich die Religion ebenso wenig erledigt hat wie die Kritik an ihr. Der Riss, der Gläubige und Atheisten voneinander trennt, geht durch jede und jeden von uns: Wohl jeden Gläubigen ficht irgendwann der Zweifel an. Und wohl jede Atheistin ertappt sich früher oder später bei abergläubischen Vorstellungen, die nicht zu ihrem rationalen Weltbild passen.

      Erst in der Zusammenschau religiöser und religionskritischer Haltungen treten die menschlichen Möglichkeiten in ihrer Vielfalt zutage. Warum sollten wir diese Möglichkeiten nicht kennenlernen? Was davon wir annehmen und was wir verwerfen, bleibt unsere eigene Angelegenheit. Wir entscheiden, worauf wir unser Leben setzen – genauer: worauf wir setzen, was uns von unserem angebrochenen Leben bleibt.

      Egal wie unsere persönliche Antwort auf die Gretchenfrage nach der Religion lautet: Stellen wir unser Urteil über „die anderen“ ein wenig zurück. Entspannen wir uns, gewinnen wir Abstand – auch zeitlich. Die Antike bietet uns diese Chance.

      Lassen wir uns anregen von den alten Dichtern und Denkern. Was von ihnen zu uns gelangt ist, hat einen jahrhundertelangen gnadenlosen Ausleseprozess überstanden. Dieser Prozess war oft ungerecht, vieles Wertvolle ist für immer verloren. Und doch können wir vermuten: Was übriggeblieben ist, hat Substanz.

      Überliefert ist nur ein Bruchteil dessen, was damals geschrieben wurde. Aber für Sinnsuchende ist es eine Fundgrube.

      Wie vielfältig wir uns zum Leben verhalten können: nüchtern wissenschaftlich oder enthusiastisch, ideologisch verbohrt oder pragmatisch offen, achtsam gegenüber allen Mitgeschöpfen oder rücksichtslos auf unseren eigenen Vorteil fixiert – all das haben die Menschen der Antike exzessiv ausprobiert. Und überliefert sind nicht nur ihre Ideen: Oft erfahren wir auch, was sie damit bewegt – oder angerichtet haben.

      Im Altertum unsere eigenen Hoffnungen und Nöte wiederzufinden – das ist, wie wenn wir die Welt wieder durch die Augen eines Kindes sähen.

      Krieg war bereits absurd, als Homer seine „Ilias“ anstimmte. Deshalb sitzen bei ihm die erbittertsten Feinde friedlich beisammen – und beweinen gemeinsam ihre sinnlos hingemordeten Lieben.

      Den Konflikt zwischen Religion und Wissenschaft kannte Sokrates schon. Doch wie er Glaube und Zweifel miteinander verquickte – das ist heute so unverschämt neu, dass wir uns fragen: Sind wir für so viel Freiheit immer noch oder schon wieder zu borniert?

      Positive Gedanken gaben bereits dem Stoiker Zenon die Kraft, den Verlust seines Vermögens locker wegzustecken. Doch heftigen Nierenschmerzen war auch damals mit Gedanken schwer beizukommen – weshalb sein Schüler Dionysius das stoische Gerede von ihrer alles bezwingenden Kraft zur Hölle wünschte.

      Eine Lüge wurde auch im Königreich Juda nicht dadurch wahrer, dass viele sie nachplapperten. Deshalb schlug König Josaphat vor einer schweren Entscheidung über Krieg und Frieden den einhelligen Rat seiner bezahlten 400 Hofpropheten in den Wind – und verlangte nach dem einzigen Mann, von dem er wusste, dass er unbestechlich war.

      Dieses Buch

      In diesem Buch möchte ich antike Quellen für Sinnsuchende erschließen.

      Kapitel 1 und 2: Hesiod, Homer

      Ich beginne in einer Zeit, in der der Sinn des Lebens noch ganz selbstverständlich durch die Religion gesetzt war: im achten Jahrhundert vor Christus.

      Kapitel 3: griechische Aufklärung

      Für die Anhänger der überlieferten Religion waren die weltanschaulichen Kontroversen des fünften Jahrhunderts ein Schock. Damals begannen Athens Intellektuelle, alles zu hinterfragen: Warum lassen die Götter sogar ihre treuesten Anhänger so oft im Stich? Gibt es sie überhaupt? Wissen diejenigen, die das behaupten, überhaupt, wovon sie reden – und seien es auch die großartigsten Dichter? Wem können wir überhaupt glauben? Wer hält sich strikt an die Tatsachen, statt uns Märchen aufzutischen? Oder ist am Ende alles ein Märchen? Können wir uns denn verlassen auf das, was unser Verstand und unsere Sinne uns eingeben? Oder ist die Welt ganz anders, als sie uns erscheint? Radikal hinterfragt wurden auch die überlieferten Werte – teilweise mit fatalen Folgen.

      Kapitel 4: Sokrates

      Bei ihren Diskussionen machten die Athener eine beunruhigende Entdeckung: dass es zu jeder Position immer auch eine genauso plausible Gegenposition gibt. Da dem so ist: Was gilt dann überhaupt? Sokrates führte seine Gesprächspartner genau in diesen Zustand der Ratlosigkeit. Aber wer geduldig genug war, fand mit Hilfe des Sokrates auch wieder heraus. Denn radikale Skepsis war für Sokrates nur der Ausgangspunkt für eine persönliche Moral, die keine Fragen zu scheuen braucht. Das Trümmerfeld widerlegter Meinungen war für ihn der Ort, an dem das Leben in Wahrhaftigkeit gedeihen konnte.

      Kapitel 5: Platon

      Der Sinn des Lebens – das war für Platon das Eigentliche hinter dem Schein, in dem wir alle befangen sind. Aus diesem Schein können sich nur die Besten befreien. Die meisten Menschen dagegen verschwenden ihr Leben auf der sinnlosen Jagd nach Belanglosigkeiten. Doch warum wollte Platon für diese uneinsichtigen Menschen Politik machen – und was ist dabei herausgekommen?

      Kapitel 6: Aristoteles

      Es gibt keine ideale Welt der reinen Ideen, sondern nur die reale, in der wir nun einmal leben, vertrat Aristoteles gegen seinen Lehrer Platon. Da Aristoteles an kein Jenseits glaubte, wollte er diese Welt immer besser verstehen und in ihr seine Erfüllung finden. Realist, der er war, hat er naturwissenschaftliche und kulturelle Phänomene angemessener beschrieben als sein Lehrer. Aber angemessen und menschlich ist nicht dasselbe: Ein König kann es für angemessen halten, die Welt mit Krieg zu überziehen. Prominentes Beispiel: Alexander der Große. Hat sein feinsinniger Lehrer Aristoteles ihn brutalisiert?

      Kapitel 7: Epikur

      Aristoteles hielt das Glück für ein äußerst zerbrechliches Gut. In dieser Hinsicht war Epikur robuster. Auch er schloss ein Weiterleben nach dem Tod aus. Aber vor dem Tod kann glücklich sein, wer immer bereit ist, von maßlosen Wünschen und Begierden unbelastet den Augenblick zu genießen.

      Kapitel 8: Cicero und die Stoa

      Dass ein Philosoph in allen Lebenslagen seine Gemütsruhe bewahren müsse – dieser stoische Gedanke hat Cicero beeindruckt. Doch wie stand es um seine eigene Gemütsruhe, wenn es hart auf hart kam? Die Antwort gibt uns Cicero selbst. In dieser vielschichtigen Persönlichkeit gärten einige Widersprüche – darunter auch der zwischen Frömmigkeit und Skepsis. Generationen nach Cicero erlebte die Stoa als Lebensweisheit ihre vielleicht schönste Blüte, wie der Ausblick auf die beiden großen Tröster Seneca und Epiktet zeigt.

      Kapitel

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