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DAS OPFER. Michael Stuhr
Читать онлайн.Название DAS OPFER
Год выпуска 0
isbn 9783847627241
Автор произведения Michael Stuhr
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Noch nicht“, wehrte Diego ab. „Ich möchte kein Aufsehen erregen, und ich gehe davon aus, dass die Sache sich heute noch klärt.“
„Heute keinesfalls“, grinste Larence. „Schließlich haben wir Wochenende. Ich denke, ich werde mit meiner Frau shoppen gehen und am Abend vielleicht ins Theater, während Sie sich die Wände der Arrestzelle ansehen dürfen.“
„Dann eben morgen.“ Diego versuchte gelassen zu bleiben, auch wenn ihm der Gedanke an eine Übernachtung hier überhaupt nicht gefiel.
„Vielleicht hat sich ja bis morgen was geklärt“, meinte Larence. „Natürlich nur, wenn die Leute von der Spurensicherung schnell genug sind. Mann, die sind ganz schön sauer, dass sie heute schuften müssen.“
„Persönliches Pech!“ Etwas Intelligenteres fiel Diego nicht ein.
„Möglicherweise verkennen Sie den Ernst Ihrer Lage“, meinte Larence. „Sie sind der Hauptverdächtige in einem Mordfall, und es sieht nicht gut aus für Sie, das kann ich Ihnen versichern. – Aber ganz wie Sie wollen. Sie können ja in der Haftzelle ein wenig darüber nachdenken. – Bis morgen dann!“
Auf dem Weg zum Zellentrakt kamen Diego dann doch leichte Bedenken: Er konnte nur hoffen, dass in seinem Wagen wirklich nichts gefunden wurde, was ihn mit dem Mord in Verbindung bringen konnte. Oft genug hatte der Porsche ja mit offenem Verdeck auf dem Campus herumgestanden. Wer konnte dafür garantieren, dass Alicia so eine Gelegenheit nicht genutzt hatte, auch dort so etwas wie einen Liebeszauber zu hinterlassen?
Die Situation war für Diego von Stunde zu Stunde immer komplizierter geworden. Möglicherweise würde er sich morgen doch einen Anwalt nehmen müssen, wenn die Angelegenheit sich nicht ganz schnell zu seinen Gunsten klärte.
06 HANDY
Ich erzähle Lou in groben Zügen, wie das Verhör gelaufen ist, und als ich mich wieder einigermaßen beruhigt habe, nehmen wir uns ein Taxi. Ich werfe dem Gebäude des Police-Departments noch einen langen Blick zu. Dort liegt Alicia tot im Keller und sie halten Diego fest. – Was soll er denn bloß mit dieser Sache zu tun haben? Ich verstehe das alles nicht. – Innerhalb von vierundzwanzig Stunden ist die Welt wie ich sie mal kannte völlig in sich zusammengebrochen, aber wenigstens bin ich jetzt diese schrecklichen Selbstmordgedanken los. Das wird mir nie wieder passieren, dass ich auf die Einflüsterungen einer Prätorianerfrau hereinfalle, nehme ich mir ganz fest vor.
Lou nennt dem Fahrer ihre Adresse. Sie will mir endlich die Fachbücher geben, die sie mir versprochen hat, und dann wird sie mich zum International House bringen.
Obwohl ich wirklich immer noch genug Schwierigkeiten habe, spüre ich, wie sich eine hektische Heiterkeit in mir ausbreitet, und Lou lässt sich von mir anstecken. Ich zeige ihr eine Frau, die mit einer viel zu kleinen Haushaltsschere an ihrer Gartenhecke herumschnippelt, und wir kichern. Ein dicker Mann in einer violetten Elastikhose auf einem Fahrrad lässt uns losprusten, und ein kleiner Hund, der auf einem Rasenstück komische Sprünge macht, gibt uns den Rest: Wir hocken hinten im Taxi und lachen uns halbtot, während der Fahrer uns wahrscheinlich für völlig durchgedreht hält. – Sind wir ja auch!
Letzte Nacht waren wir noch drauf und dran, uns von der höchsten Brücke der Bay zu stürzen. Am Morgen hat man uns verhaftet, beschuldigt und dann in diesen widerlichen Leichenkeller geschleppt. Das war alles zu viel. Irgendwie muss der Druck raus, und er entlädt sich in einer überreizten Heiterkeit, die außer uns niemand verstehen kann.
„Halt, halt! Warten Sie!“ Ich schnelle in meinem Gurt vor und klopfe an die Trennscheibe. „Fahren Sie bitte mal da lang.“ Ich zeige in die Richtung, die ich meine. Ich habe die Straße erkannt, die wir in der letzten Nacht benutzt haben, um zur Brücke zu kommen. Da habe ich noch etwas zu erledigen.
„Meinetwegen“, brummt der Taxifahrer verdrießlich. Wahrscheinlich ärgert es ihn, dass er am Wochenende arbeiten muss, aber er biegt brav ab.
Jetzt heißt es aufpassen! Da vorne führt die Straße über eine kleine Brücke. An das Geländer kann ich mich erinnern. „Halten Sie mal kurz an.“
Zögernd stoppt der Fahrer den Wagen und schaut sich misstrauisch nach uns um. „Was soll das denn jetzt werden?“, will er wissen.
„Kleinen Moment nur“, sage ich, lächle ihn an und ziehe an dem Türöffner. Nichts rührt sich. „Lassen Sie mich raus?“, bitte ich. „Ich hab hier in der letzten Nacht was verloren.“
Der Mann brummt etwas Unverständliches, betätigt einen Schalter am Armaturenbrett, und schon lässt die Tür sich öffnen.
Der noch leicht feuchte Fleck auf dem etwas sandigen Boden dient mir als Orientierungsmarke. Hier ist mir gestern vor Wut und Enttäuschung schlecht geworden, und hier habe ich mein Handy in die Büsche gefeuert, als Diego versucht hat mich anzurufen.
Alicia hatte mir eingeflüstert, dass es für mich das Beste sei, mich umzubringen, und ich hatte ihr geglaubt. Sie hatte mir diesen hypnotischen Zwang auferlegt, mich von der Golden Gate Bridge zu stürzen, und ich war mit Lou zusammen auf dem Weg dorthin gewesen. Tote brauchen keine Handys, also weg damit. Jetzt lebe ich allerdings wieder, und ich möchte auch, dass das noch lange so bleibt.
Richtungsbestimmung, Abwurfwinkel schätzen, Schwung berücksichtigen, Datensätze für die Flugbahnberechnung synchronisieren, das geht alles vollautomatisch. - Schließlich bin ich Papas Tochter! Etwa achtzehn Schritte weit in die Botanik hinein, ein suchender Blick, und voilà, da ist es ja, mein liebes Handy.
Muss eine recht harte Landung gewesen sein, denn es hat sich in drei Teile zerlegt. Die hintere Abdeckung hat sich gelöst, und der Akku ist rausgeflogen, aber so weit ich das im Moment beurteilen kann, sind alle Teile da und unbeschädigt. Na ja, die Abdeckung des Akkufachs hat einen Sprung, aber das ist auch schon alles. Ich sammle das Zeug ein und schaue mich noch einmal gründlich um, aber da liegt nichts mehr. Vorsichtig stakse ich durch das Gestrüpp zurück zum Taxi und steige ein.
„Zurück auf die alte Strecke?“, fragt der Fahrer.
„Ja, bitte!“
„Na, geht es?“, will Lou wissen, während der Wagen wendet.
„Keine Ahnung. Ist ein Bausatz.“
„Na, dann zeig mal, was du kannst!“ Neugierig beugt sie sich vor und schaut zu, wie ich die Teile zusammensetze.
Als ich fertig bin, sieht das, was ich in der Hand halte, schon aus wie ein Handy, aber ist es auch eins? Ich bin etwas nervös, als ich es einschalte. Ja! Das Display leuchtet auf und ich soll den PIN-Code eingeben. – Schon ganz gut, und nach wenigen Augenblicken wird sogar ein Netz angezeigt.
„Jaaa!“, jubelt Lou und wir geben uns Fünf.
„Ruf mich mal an“, fordert sie, und da ich ihre Nummer nicht habe, tippt sie sie selbst ein. Sekunden später klingelt ihr Handy und sie geht ran. „Ja?“
„Hi! Hier ist die Cellphone-Klinik. Ich wollte nur eine erfolgreiche Wiederbelebung melden.“
„Und wie geht es dem Patienten?“, will sie wissen.
„Ist schon wieder ziemlich gesprächig“, gebe ich Auskunft. „Müsste mal geputzt werden, aber sonst ist alles klar.“ Ich drücke die Verbindung weg und sehe im Rückspiegel den etwas genervt wirkenden Blick des Fahrers. – So bekloppte Fahrgäste hat er bestimmt auch nur selten.
Der Fotomodus lässt sich ebenfalls aktivieren, und ich mache schnell ein Bild von Lou, wie sie breit grinsend auf der Sitzbank hockt. – Scheint auch alles in Ordnung zu sein. Ein paar schnelle Tastendrücke und das Gerät wählt Diegos Nummer. Natürlich meldet sich nur die Mailbox.
„Hallo, Lana hier. Ruf mich doch bitte zurück.“ Ich drücke die Verbindung weg. Bestimmt sitzt er noch in einem dieser schrecklich grauen Verhörräume. Meine gute Laune fällt