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GAUCHO. Chris Biller
Читать онлайн.Название GAUCHO
Год выпуска 0
isbn 9783738030709
Автор произведения Chris Biller
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
2
Obwohl ich mich nicht mehr allzu weit zurück erinnern kann, weiß ich, dass ich als Kind glücklich war. Zumindest ab dem sechsten Lebensjahr. Ich war ein Einzelkind und meine Mutter Lisbeth, von den meisten allerdings Lilli genannt, umsorgte mich wie eine Glucke ihre Eier. Sie verfolgte jeden meiner Schritte um sofort einzugreifen wenn es nach Gefahr aussah und das war nicht selten. Schließlich hatte sie meist die alleinige Aufsicht, da mein Vater Rudi bei einer damals hiesigen Öl-Raffineriegesellschaft im Schichtdienst arbeitete. Irgendwann lernte ich dann, dass ich sämtlichen Quatsch veranstalten konnte, wenn sie von irgendwelchen Arbeiten im Haushalt abgelenkt war. Es verging nicht ein Tag, an dem mir nicht etwas Neues einfiel. Ich spielte mit dem guten Besteck einen Messerwerfer im Zirkus oder ich versuchte mit ein paar Strohhalmen Untertassen zu jonglieren. Mit Creme malte ich Straßen auf dem guten Teppich und mit Mamas Nagellack malte ich meine Matchboxautos an. Natürlich auch auf dem Teppich oder auf dem Küchentisch. Wie das dann hinterher aussah kann sich ja jeder vorstellen. Als ich jedoch das eine Mal auf den Küchenschrank klettern wollte, der mir weit über dem Kopf ragte, um wie ein Trampolinspringer auf den Küchentisch zu hüpfen, kippte dieser mit mir um. Während des Falls öffnete er sich und es knallte fürchterlich. Ich weiß gar nicht wie viele Teller und Tassen dabei zerbrachen. Der Schrank schlug Gott sei Dank neben mir auf und verfehlte mich nur um Haaresbreite. Geschockt verharrte ich für ein paar Sekunden auf dem Fußboden und erschrak zugleich als ich hörte, wie meine Mutter mit riesigen stampfenden Schritten herbei eilte. Als sie dann in die Küche kam, waren ihre Augen vor Entsetzen weit aufgerissen und ihre Haare schienen sprichwörtlich zu Berge zu stehen. Langsam raffte ich mich auf und zog mich zwischen den ganzen Scherben am Küchentisch hoch. Für einen Moment war es toten-still in dem Raum und in den Sonnenstrahlen, die durch das Küchenfenster schienen, verquirlte sich aufgewühlter Staub mit kleinsten Porzellanpartikeln zu einer glitzernd funkelnden Wolke. Ich fand es faszinierend, aber was dann kam war der gestaffelte Ablauf einer bis ins kleinste Detail schnell durchdachten Moral-predigt. Es gab in solchen Momenten zwei Versionen. Die kurze dauerte ungefähr fünf Minuten und die lange konnte schon mal mit Pausen, bis in den nächsten Tag reichen. Bei dieser Geschichte bekam ich nur die kurze Version. aber dafür unmissverständlich in einem von ihr gefauchten Vorwurfspaket.
>>Bist du verletzt, ist dir was passiert? Um Himmels Willen, bist du denn verrückt geworden? Was hast du dir nur dabei gedacht? Willst du mich unglücklich machen? Du hättest tot sein können wegen deinen Dummheiten. Willst du das Junge? WILLST DU DAS!? <<
Ich schüttelte verneinend den Kopf und schaute zu ihr auf aber ihr Blick ging an mir vorbei. Fassungslos starrte sie auf das Geschehene. Hätte der mit Porzellan randvoll gestapelte Küchenschrank sich beim kippen nur ein wenig zu mir gedreht, er hätte mich erschlagen. Meine Eltern wären todunglücklich gewesen und ich hätte mir keine Standpauke mehr anhören brauchen. Ich nehme an meine Mutter wusste seit diesem Vorfall, das ich einen ganz besonderen Schutzengel haben musste und schraubte zumindest äußerlich ihre Besorgnis um mich ein wenig herunter. Wir wohnten am Stadtrand von Wilhelmshaven. Die Gegend war eher ländlich. Bis auf nur einem Haus ungefähr 30 Meter entfernt von Unserem, war alles Weide oder Ackerland. Hinter unserem Haus befand sich der Garten in dem ich bevor ich das Laufen anfing wie ein Wahnsinniger herumkrabbelte. Laut meinen Eltern war ich damals schon voller Absicht Reißaus zu nehmen und mein Vater hatte keine andere Wahl den Garten komplett einzuzäunen. An dieser Zeit erinnere ich mich allerdings kaum, erst ab dieser Sache mit dem Küchenschrank blieb es bei festen Erinnerungen. Ich schätze das Ereignis war im wahrsten Sinne einschlägig genug und fest in meinem Gehirnskasten verankert.
Ich wuchs heran und es kam die Zeit, als der Garten immer langweiliger wurde und ich orientierte mich zum Leidwesen meiner Eltern nach den Dingen die hinter dem Zaun lagen. Freunde hatte ich damals nicht viele mit denen ich hätte spielen können. Die aus meiner Klasse waren mir zu blöd und unsere einzigen unmittelbaren Nachbarn hatten nur eine vier Jahre ältere Tochter. Zu der komme ich aber später.
Ich ging also allein auf die Pirsch und hielt mich entweder auf einem alten verlassenen Lagerplatz auf der anderen Seite unseres Hauses auf oder lungerte auf einem nahe liegenden Bauernhof herum. Meistens jedoch war ich auf diesem Lagerplatz zu finden. Er war schon lange nicht mehr genutzt geschweige denn betreten worden und war so hoch mit Brettern dicht an dicht eingezäunt das nur ein Erwachsener der groß genug war so gerade drüber hinwegschauen konnte. Der Zugang, ein eben so hohes altes und eingewachsenes Doppeltor, war waagerecht mit einem schweren Balken verbarrikadiert der durch einer Vorrichtung mit einem verrosteten Schloss gesichert wurde. Ich jedoch, ich hatte meinen eigenen Eingang. Auf der hinteren Seite des Platzes zur Weide hin, waren zwei Bretter des Zauns locker und ich konnte sie so weit verschieben, dass ich hindurch kriechen konnte. Es war mein geheimer Ort. Keiner kam sonst dort hin oder wusste davon. Das meiste auf dem Grundstück war von meterhohen Gras, Sträuchern und zwei oder drei Apfelbäumen die sich nach allen Richtungen Platz verschafft hatten, verwuchert. Selbst ein alter ausgeschlachteter VW Käfer, der in einer der Ecken stand, war fast restlos vom Efeu bedeckt. Um ihn herum standen alte Ölfässer und ein Gussofen.
Neben dem Haupteingang zum Grundstück befanden sich die Überreste von einem Holzschuppen der längst über die Hälfte in sich zusammen gefallen war. Ein paar Blechdosen mit verrosteten Schrauben und Nägeln, verrottetes unbrauchbares Werkzeug, eine alte Schippe und anderer Kram zeugten dafür, dass dort mal gewerkelt wurde. Das Beste aber befand sich direkt mittig auf dem Platz. Ein alter Schießbunker aus dem zweiten Weltkrieg, der gerade mal so groß war, das zwei Mann sich darin bequem aufhalten konnten. Er war kreisförmig gebaut. Eine Stahltür auf der einen und eine Schießscharte auf der anderen Seite. Er ging kegelförmig nach oben hin zu, als wäre er in einem Stück gegossen worden. Ein geiles Ding und ein noch geilerer Ort sich vor Allem zu verstecken, wenn man seine Ruhe haben wollte. Ich hatte alles was ich brauchte und im Sommer war ich die meiste Zeit dort. Ich arbeitete und baute mir eine eigene kleine Welt auf und wenn ich gedurft hätte, wäre ich auch über Nacht geblieben. Hier holte ich auch meine ersten Blessuren, Abschürfungen, Fleischwunden die genäht werden mussten bis hin zu Verstauchungen und letztendlich Knochenbrüche. Zweimal die Woche eine Verletzung war Programm. Ohne dem, ging gar nichts.
Wenn ich mit schmerzverzerrtem Gesicht über unseren Garten gelaufen kam, brauchte ich nicht einmal mehr auf Mitleid hoffen. Meine Mutter kam zwar aus dem Haus, stand aber demonstrativ mit den Händen in die Hüfte gestützt an der Hintertür und schüttelte mit dem Kopf.
„Junge, Junge, Junge, zum 100.mal. Wenn du so weiter machst, hast du bald mehr Narben als Berlin Straßen hat.“
Die erste Zeit ist sie wegen jeder Kleinigkeit mit mir zum Arzt oder sogar ins Krankenhaus gefahren. Je öfter ich jedoch etwas hatte, umso mehr wusste sie sich selbst zu helfen und verarztete mich gleich vor Ort.
Es kam hin und wieder vor, das sie sich dann darüber beschwerte, dass sie mit mir immer wieder Scherereien hatte und unsere Nachbarn diese Probleme nicht haben würden. Die hätten schließlich eine Tochter. Ein ruhiges braves Mädchen, die nicht von irgendwelchen Bäumen fällt oder durch zu enge Zäune kriecht und sich sämtliche Gliedmaßen aufreißt.
Aber wenn sie das sagte, grinste sie mich im nächsten Augenblick an, wuschelte mir mit der Hand durch die Haare und sagte: „Du bist ja auch ein richtiger Junge und zwar meiner!“
Dann gab es einen Schmatzer auf die Stirn und ich durfte weiter spielen gehen. Also was ich unter spielen verstand.
Unsere besagten Nachbarn wohnten zu unserer Linken. Sie hießen Weyers und ihre Tochter hörte auf den schönen Namen Elena. Sie war wie gesagt vier Jahre älter als ich und bildhübsch. Lange schwarzgelockte Haare, schlank mit rehbraunen Augen. Die Gene ihrer Schönheit kamen von ihrer Mutter, die ursprünglich aus Italien stammte, allerdings vom Temperament her dem Klischee nicht annähernd entsprach. Ihr Vater, deutscher Herkunft, untersetzt mit lichtem Haar, arbeitete ebenfalls als Schichtarbeiter bei derselben Raffineriegesellschaft. Somit waren unsere Väter zwar Kollegen, hatten