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      „Wissen Sie was? Der wär‘ doch sicher was für Ihre Gattin.“

      Da konnte Harksen ihm nicht widersprechen. Den BMW sollte er ebenfalls ohne Anzahlung bekommen. Ein triftiger Grund für Harksen, seine Leasingraten pünktlich zu zahlen. Einige Monate später tauschte er den BMW gegen einen Porsche 911 ein. Eines Tages rief ihn der Leasing-Chef wieder an: „Ich habe einen heißen Tipp für Sie. Ich kann Ihnen aus einem Konkurs nochmal günstig vier Luxusschlitten vermachen. Ich schnür Ihnen einfach ein Paket.“

      Er riet Harksen, pro forma eine Autovermietung aufzumachen und die Autos dann an sich selbst zu vermieten. So konnte Harksen zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, denn die Anschaffungs- oder Leasingkosten waren als Geschäftsausgaben absetzbar. Und die Miete, die er an sich selbst zahlen würde, wäre ebenfalls abzugsfähig. Das leuchtete Harksen sofort ein, und so ließ er sich von dem Leasingchef einen Schlitten nach dem anderen aufschwatzen. Bald schon hatte er mehr als fünfzehn Autos und musste eine Halle zum Unterstellen anmieten.

      Mietverträge abschließen, das war für die letzten Tage auch mein Auftrag gewesen. Im Ostteil von Berlin hatten Jan und ich für unsere fünf geplanten Bildungsinstitute einige Großanmietungen getätigt. Es war dringend geworden. Immer mehr Wessis strömten gen Osten und besetzten Terrain. Zwar friedlich, aber mit Geld. Wir durften nicht zu spät kommen, unser Umweltbildungsunternehmen hatte immerhin schon die feste Zusage des Arbeitsamtes erhalten, Schulungsmaßnahmen für DDR-Beamte aus dem Natur-, Umwelt- und Immissionsschutz durchzuführen. Wir sollten im Oktober starten.

      Bisher hatten wir einen teuren Miet-Standort im Technologie- und Innovations-Center im Westberliner Wedding. Ich fuhr nach Berlin, um mit Jan und unserer Geschäftsführerin Katrin weitere ins Auge gefasste Institutsstandorte zu besichtigen und Mietverträge abzuschließen. Als ich nach einer Woche zurück nach Frankfurt kam, hatten wir einen zusätzlichen Standort im Westteil Berlins, in Kreuzberg, sowie drei weitere Standorte im Ostteil preisgünstig gemietet: Adlershof, Weißensee und Marzahn-Hellersdorf. Jan und seine Frau Katrin waren überfreundlich und sehr bemüht gewesen, ihr Engagement zu betonen. Noch schöpfte ich keinen Verdacht.

      In Berlin hatte ich mitbekommen, wie der Wahlkampf tobte. Die neu gegründete DDR-SPD schien das Rennen zu machen. Ihr uneinholbarer Vorsprung gegenüber dem Wahlbündnis der Konservativen war „dank BILD“, wie eine Genossin aus dem SPD-Parteivorstand meinte, ein klein wenig zusammengeschrumpft. CDU-Kanzler Kohl hatte auf die Schnelle einen Bund aus der bis vor Kurzem noch SED-treuen Blockpartei CDU-Ost, dem nach rechts gerutschten »Demokratischen Aufbruch« und dem CSU-Kind DSU, der Deutschen Sozialen Union, gezimmert. Aber die Erfolgs-Chance dieser Sturzgeburt hatte sich – trotz Springers monatelanger BILD-Interventionen – nur unwesentlich verbessert.

      In diesen letzten drei Wochen vor der DDR-Wahl, die auf den 18. März datiert ist, begreift der westdeutsche Kanzler, dass er sein ganzes Gewicht selbst einbringen muss, um die Wählerstimmung im Osten zum Kippen zu bringen. Er geht auf Tour, auch wenn dies dem geltenden DDR-Wahlrecht und dem ausdrücklichen Verlangen der ostdeutschen Bürgerrechtsbewegung widerspricht.

      In Karl-Marx-Stadt tritt er vor 200.000 Menschen auf und gibt kund, dass seine Regierung der DDR keine müde Mark zu geben bereit ist, solange sie von Sozialisten regiert wird. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er der Modrow-Regierung und ihrem mitregierenden „Runden Tisch“ immer wieder Geld in Aussicht gestellt. Es erinnerte mich an eine Möhre, die an einer langen Rute vor den Augen eines Esels geschwenkt wird, um ihn zum Laufen in die gewünschte Richtung zu bringen. In den nächsten Tagen wiederholt Kohl seine Drohung vor Hunderttausenden DDR-Bürgern in verschiedenen ostdeutschen Städten.

      Die Wissenschaftler Artzt und Gebhardt wollen verhindern, dass die DDR-Wirtschaft zerstört und das über vier Jahrzehnte erarbeitete Wirtschaftsgut zu Billigstpreisen verscherbelt wird. Sie wollen, dass das Volkseigentum gerecht verteilt wird und müssen ihre Idee gegen die brachiale und finanzstarke CDU-Wahlkampfmaschine verteidigen. Anteilsscheine sollen die Teilhabe-Chancen der DDR-Bürger in einer zukünftigen Marktwirtschaft sichern.

      Die beiden Bürgerrechtler haben, schon lange bevor die Titanic mit dem Schriftzug »DDR« auf den Eisberg zufuhr, vor dem Eisberg und dem zu erwartenden Aufprall gewarnt. Damals, Ende 1988, spielten noch die Arbeiterschalmaien und es wurde im Palast der Republik getanzt, während die zwei Wissenschaftler sich heimlich als Laubenpieper in Gebhardts Gartenhütte in Potsdam trafen, um zumindest gedanklich Vorkehrungen für den Fall der Fälle zu treffen. Jetzt wollen sie für das »Neue Forum«, dem sie zwar nicht angehören, für das sie aber werben, Wähler gewinnen. Sie erläutern auf Wahlveranstaltungen, dass man ohne Eigenkapital dem zu erwartenden Kapitalansturm aus dem Westen hoffnungslos unterlegen sei. Außerdem gehöre nun mal das in der DDR erwirtschaftete Kapital der DDR-Bevölkerung, wem sonst?

      Manchmal werden die beiden Bürgerrechtler von den eigenen Landsleuten erstaunt gefragt: „Was, ich soll was bekommen? Wie viel denn? Ist das denn überhaupt so viel wert?“

      Artzt antwortet dann: „Eigentum verpflichtet, das ist der Grundsatz der sozialen Marktwirtschaft. Wir wollen diesen Grundsatz mit Leben erfüllen, indem wir unser Volkseigentum auch an uns rechtsverbindlich überschreiben lassen.“

      Und sein Kollege Gebhardt ergänzt, wenn ihn eine Wählerin kritisch fragt, was sie denn mit einem Anteilsschein anfangen könne: „Na liebe Frau, die Wohnung, in der sie jetzt wohnen, die werden Sie nicht mehr mit 26 Mark Miete bezahlen können. Wäre es dann nicht prima, wenn Ihre vier Familienmitglieder ihr Kapital zusammenlegen und diese Wohnung mit den von uns geforderten Kapitalanteilsscheinen erwerben? Dann wären Sie zumindest die eine Sorge los, dass Sie Ihre Wohnung nicht mehr bezahlen können.“

      „Ach, das meinen Sie!“, sagt die Wählerin. „Davon habe ich noch nie etwas gehört. Wieso kommt das nicht in der Zeitung oder im Fernsehen?“

      „Weil die Zeitungen und das Fernsehen nicht uns Bürgerrechtlern gehören, weil wir von denen noch keine Anteilsscheine haben“, lacht dann Gebhardt.

      Und Artzt erläutert: „Wir sind neu am Start und haben weder die Organisation noch das Geld noch irgendeine große Zeitung wie die anderen.“

      Allerdings bekommt die Idee der beiden Bürgerrechtler und ihrer Verbündeten zumindest Schützenhilfe vom DDR-Fernsehen. In einer Talkshow wird der Vorschlag von Artzt und Gebhardt ausführlich diskutiert. In der Sendung wird die Idee eines Anteilsscheins oder einer Volksaktie auch von einem erfolgreichen bundesdeutschen Vermögensberater mit Adelstitel, Albrecht Graf Matuschka, unterstützt. Der Graf gründete Ende der Sechziger Jahre die Matuschka-Gruppe in München und legte das Kapital vieler reicher Deutschen an. 1990 gilt er noch immer als Star der Anlagebranche.

      Matuschka plädiert in der Talkshow vehement für eine Volksaktie, die jeder DDR-Bürger bekommen soll.

      „Warum?“, fragt die Moderatorin.

      „Ganz einfach“, antwortet Matuschka, „weil es sein gutes Recht ist. Weil jeder hier dafür Jahrzehnte gearbeitet hat!“

      Jetzt legt er auch die Finger in eine westdeutsche Wunde: Man könnte die Wasser- und Energiewirtschaft in Ostdeutschland so effizient und günstig machen, wie sie anfangs auch in Westdeutschland organisiert war, aber nun durch die langjährige Privatisierung zerstört und von Konzernen und deren Preisgestaltung abhängig ist. Man dürfe nicht die Fehler der Bundesrepublik wiederholen. Kommunale Stromanbieter und kommunale Wasser­wirtschaft sollten erhalten und vor der Privatisierung bewahrt werden.

      Die Volksaktie wird plötzlich Thema im DDR-Wahlkampf. Die DDR-SPD und die PDS plädieren mit einem Mal ebenso wie das Neue Forum für Beteiligungsmodelle, die dem Matuschka- und dem Artzt/Gebhardt-Konzept ähneln. Doch um deren Funktionieren zu gewährleisten, müsste die DDR erst einmal unabhängig bleiben und eine zweite Chance erhalten. Dann jedoch müsste die deutsche Einheit einen Moment warten. Aber die Mehrheit der DDR-Bürger scheint nicht mehr die Energie aufzubringen, weiter unabhängig vom Westen zu bleiben.

      Das gebeutelte Land schleppt sich zur Wahl nach dem Vorbild der Bundesrepublik. Die Wahlbeeinflussung aus dem Westen wird von vielen, aber nicht von allen, als störend empfunden. Noch immer sagen die meinungsmachenden und meinungsforschenden Institute einen

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