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An die Totgeborenen Teil 2 - Das letzte Ziel. Gregor Samsa
Читать онлайн.Название An die Totgeborenen Teil 2 - Das letzte Ziel
Год выпуска 0
isbn 9783752953770
Автор произведения Gregor Samsa
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Drinnen erwartete mich eine liebenswürdige ältere Dame. ,,Kinder, Besuch ist da“, rief sie und klatschte in die Hände. Eine Schar reizender Mädchen kam hervor und umringte mich. Sofort wurden mir auserlesene Speisen serviert. Anmutig reichten sie mir den Reiswein, während andere wiederum mich durch Gesang und Tanz zu erfreuen suchten. Ich fühlte mich wie in einem Märchen aus tausend und einer Nacht.
Nachdem ich gespeist hatte, führte man mich in ein prächtig ausgestattetes Bad. Ich erfrischte mich in dem kühlen Wasser. Während mir ein Mädchen etwas auf einer Zimbel vorspielte, rieben mich die anderen mit duftenden Ölen ein. Man hüllte mich in bequeme chinesische Kleider und führte mich eine breite Marmortreppe empor.
Ich kam mir noch immer wie im Traum vor. Eine reich mit kostbaren Edelsteinen geschmückte Tür tat sich auf. In dem prächtig ausgestatteten Raum erwartete mich eine unbeschreiblich schöne Frau. Nie in meinem Leben hatte ich etwas Anziehenderes erblickt.
Lächelnd erhob sie sich, ging auf mich zu und legte ihre schlanken Arme um meinen Nacken.
,,Ich habe lange auf dich gewartet“, sagte sie mit sanfter Stimme.
Ich war verwirrt. ,,Du konntest doch gar nicht wissen, dass gerade ich komme.“
„Nein, aber ich habe immer nur von einem Mann wie dir geträumt.“
Sie küsste mich heiß, dass ich fast die Sinne verlor.
Mir wurde es langsam unheimlich. Noch immer hatte mich keiner nach Geld gefragt. Ich wusste, dass ich diesen Aufwand nie bezahlen konnte. Ich musste schnell weg, bevor Schlimmes passierte.
Ich drehte mich rasch um und lief zur Tür hinaus. Draußen prallte ich zurück. Eine Tote wurde an mir vorüber getragen. Sie war ganz nass. Um ihren Körper hatten sich Schlingpflanzen gerankt. Viele Mädchen gingen mit feierlichem Ernst hinter der Bahre her. Ihre Gesichter waren bleich und drückten Schmerz und Trauer aus. Mit heimlichem Entsetzen schaute ich zu, wie der schweigende Zug an mir vorüberschritt.
Unbemerkt war das schöne Mädchen aus dem Zimmer hinter mich getreten und legte sanft ihre Hand auf meine Schulter.
,,Du willst mich verlassen?“
Ich schüttelte verwirrt den Kopf.
,,Bleib bei mir“, bat sie mit schmeichelnder Stimme, ,,ich liebe dich doch.“
Ich war überrascht. ,,Ich denke, das hier ist ein Bordell?“
,,Ja, es stimmt. Alle Mädchen hier verlieben sich in den Mann, der zu ihnen kommt. Wusstest du es nicht? Dies hier ist das Bordell, in dem man wahre Liebe kaufen kann.“
Ich war verblüfft. ,,Und wie viel kostet es hier?“, fragte ich kleinlaut.
„Einen Dollar“, antwortete sie kurz.
,,Ja, aber wieso ist wahre Liebe so billig, wo doch falsche Liebe schon viel mehr kostet?“
„Der Dollar ist nur ein symbolischer Preis. Echte Liebe ist so wertvoll, dass man sie nicht mit allem Gold dieser Welt bezahlen könnte. Außerdem dürfen wir nicht so viel nehmen, damit auch die Armen erfahren, was wahre Liebe ist, denn jeder Mensch hat ein Recht auf Glück.“
Ich konnte das alles noch nicht fassen, so neu und ungewohnt war es für mich. Sie zog mich sanft auf das breite Bett.
,,Willst du nie in deinem Leben erfahren, was wahre Liebe ist?“, fragte sie verführerisch.
„Doch“, sprach ich, ,,aber ich kann das Ganze immer noch nicht recht glauben. Wie konntest du dich in mich verlieben? Du wusstest doch gar nicht, dass gerade ich kommen würde.“
„Ich wusste, dass der Mann kommt, in den ich mich verliebe“, antwortete sie, ,,hat nicht jeder Mann meine Liebe verdient? Warum sollte ich ungerecht sein und einen ausschlagen?“
Mir schwirrte so viel durch den Kopf. ,,Ich verstehe nicht“, rief ich, ,,wie eine Frau viele Männer echt lieben kann. Wahre Liebe kann man doch nur einem einzigen Menschen schenken. Wenn du mich wirklich liebst, wie konntest du die anderen Männer vor mir lieben?“
„Ich bin noch Jungfrau“, antwortete sie, ,,auch alle anderen Mädchen hier sind noch unberührt. Der Mann, in den wir uns verlieben, ist der erste in unserem Leben.“
Ich wurde immer ratloser. ,,Aber was geschieht, wenn ein Mann euch verlässt?“, warf ich ein, ,,wie könnt ihr euch erneut echt verlieben in den nächsten Mann, der zu euch kommt?“
Sie blickte mich traurig an. ,,Für uns gibt es keinen nächsten Mann. Wenn man uns verlässt, stürzen wir uns in den kleinen See hinter dem Bordell, denn wir sind den Männern, die wir lieben, treu bis in den Tod. Auch das Mädchen, welches vorhin vorübergetragen wurde, ist von ihrem Geliebten verlassen worden.“
,,Kommt so etwas häufig vor?“, fragte ich misstrauisch.
,,Ja. Bis zum heutigen Tag geschah es noch nie, dass ein Mann einem Mädchen hier die Treue hielt.“ Ich schaute sie entsetzt an. Das also war das Geheimnis dieses Hauses.
„Du weißt doch gar nicht, ob ich dir treu bleibe“, sagte ich unsicher, ,,vielleicht musst du noch heute
sterben.“
Sie zog mich an sich und küsste mich. Dann sah sie mir lange in die Augen. ,,Was hätte das Leben für mich noch für einen Sinn, wenn der Mensch, den ich liebe, mich verstößt?“
„Aber warum gehst du solch ein Risiko ein?“
„Einen anderen wahrhaft zu lieben ist die einzige Chance, selbst echt geliebt zu werden“, gab sie mir zu bedenken.
„Das sehe ich ein“, sprach ich, „aber warum musst du dich deshalb in dieses Bordell begeben?“
,,Wir werden hier vorher in alle Geheimnisse der Liebe eingeweiht. Denn obwohl wir Jungfrauen sind, müssen wir geschickt sein, um unseren Mann so glücklich zu machen, wie keine andere Frau es vermag.“
Mit diesen Worten umschlang sie mich innig. Ich versank in einem Traum aus Nacht und Rausch. Ein nie erlebtes Gefühl des Glücks durchströmte meinen Körper bis in den letzten Nerv. Die Zeit stand still, die Nacht war ein einziger Augenblick aus Verlangen und immerwährender Erfüllung. Ich vergaß alles andere um mich her und wünschte mir, nie mehr aufzuwachen aus diesem uralten Traum, der Liebe heißt.
Der Morgen graute. Ein letztes Mal umschlangen wir uns in inniger Umarmung, bevor wir frühstückten. Der Tag war angenehm. Ich trat ans Fenster und schaute auf den kleinen See. ,,Nie mehr werde ich dich verlassen“, versprach ich feierlich.
„Das ist nicht so einfach“, antwortete sie, ,,wenn du bei mir bleiben willst, musst du für immer in diesem Hause leben, denn wir Freudenmädchen dürfen das Bordell nicht verlassen.“
Ich war erschrocken. ,,Aber warum kannst du nicht mit mir gehen? Wahre Liebe kennt keine Hindernisse.“
„Ich weiß“, sprach sie, ,,doch wo in der Welt wäre der Platz, wo unsere Liebe Erfüllung finden könnte? Nein, glaube mir, nur hier können wir glücklich sein.“
,,Aber wovon sollen wir leben, da du deinen Beruf nicht mehr ausüben kannst?“
„Das ist bestimmt nicht schwierig“, meinte sie, „sicher wirst du hier im Hause irgend eine Arbeit finden. Wir werden ein kleines Zimmer bekommen, und den ganzen Tag werde ich auf dich warten und an dich denken.“
,,Werden wir wirklich nie aus dem Hause herauskommen?“, fragte ich traurig.
„Nein“, tröstete sie mich, „weil unsere Liebe sonst nie Bestand hätte. Wie leicht könnte sich einer von uns in einen fremden Menschen verlieben. Doch hier ist jeder von uns beiden nur für den anderen da. Nie wird einer auf den Partner eifersüchtig sein und ihm misstrauen; nie werden wir uns streiten. Und unser Glück wird ungetrübt sein.
Ich