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freilich, ich bin doch fast mein ganzes Leben hinausgefahren, bis der Unfall kam und ich das Augenlicht verlor. Doch das ist schon lange her.“

      „Vielleicht gibt es das Meer gar nicht mehr.“

      „Willst du einen Blinden verspotten? Erst gestern war ich am Strand. Sei still! Hörst du nicht die Wellen rauschen?“

      „Ich höre nichts.“

      Er lächelt still. „Blinde hören besser als Sehende. Meine Ohren täuschen sich nicht. Glaub mir, da ist das Meer. Wie könnte ich denn ohne das Meer leben?“

      Er lächelt immer noch vor sich hin und ist ganz in Gedanken verloren. Ich gehe leise.

      Wenn es den Alten gibt, ist auch Brigitte Wirklichkeit. Doch wo ist sie? Sie wollte zur Mole gehen. Plötzlich erfasst mich eine entsetzliche Angst. Ich laufe wieder zur Mole, schaue mich nach allen Seiten um. Die endlose Weite ist leer. Ich rufe Brigittes Namen. Die Ebene schweigt. Nur einige Raben fliegen krächzend hoch. Brigitte antwortet nicht.

      Da entdecke ich sie im Gras. Sie ist tot. Kleine Muscheln sind in ihrem schwarzen Haar. Äußerlich ist kein Zeichen von Gewaltanwendung zu sehen. Ich nehme ihren leblosen Körper und trage ihn zur Hütte des alten Fischers. Er sitzt auf der Bank vor seiner Behausung und lauscht.

      „Ich bin`s“, sage ich und will an ihm vorbei.

      „Brigitte ist noch nicht nach Hause gekommen“, meint er. Ich antworte nicht. „Du trägst schwer. Deine Schritte setzen schwer auf.“ Ich schweige.

      Ich trage Brigittes Körper in ihre Kammer und bette sie. Die Hütte erscheint mir auf einmal so eng.

      „Verlässt du mich? Wohin gehst du?“

      Ich bleibe stumm. Was sollte ich auch antworten?

      Ich gehe an der Mole vorbei. Schaue ein letztes Mal zurück. Dann wandere ich in das flache Land hinein, an den Äckern vorüber. Vielleicht wird in Millionen Jahren hier wieder ein Meer sein.

      Wie die Wesen wohl aussehen mögen, die es bevölkern werden?

      Doch wer weiß, ob die Erde dann überhaupt noch existiert. Vielleicht ist auch sie plötzlich über Nacht ganz einfach verschwunden – wie das Meer.

      Robinson Crusoe

      Die Wolken senkten ihre Wurzeln in die Erde und standen still. Lautlos trieb sie der Wind hin und her, ohne sie losreißen zu können, gleich Seerosen auf einem finsteren Teich. Ihr schweigenden Schatten schwebten über dem Eiland, und die Vögel verkrochen sich furchtsam in den Bäumen.

      Manchmal ging ein Gestirn auf, groß wie eine Sonne, nur viel düsterer. Dann schien es tagelang, ohne unterzugehen, und umkreiste die Insel – ein blutiges Auge, das über das bleierne Meer rollte, während dumpfe Geräusche die Luft erfüllten und das Wasser hellrot aufzischte.

      Robinson lag auf der Spitze des Berges und lauschte. Ringsum war das unheimliche Rauschen der Wellen, wie ein fernes Seufzen, das nie verstummte. Stundenlang starrte er zum unerreichbaren Horizont, und eine unvorstellbare Sehnsucht nahm ihn gefangen. Flammen fuhren aus dem Meer und schlugen gegen den niedrigen finsteren Himmel. Und er sah wieder die märchenhaften Städte auftauchen, mit ihren weißen Häusern, die fern in der Luft zitterten – dieselben Phantome, die ihn schon als Kind zur See gelockt hatten.

      Und durch seine Seele zuckte das gleiche Verlangen wie vor Jahren, als er ruhelos über die Ozeane irrte, auf der endlosen Suche nach seinen eigenen Träumen. Warum konnte er nicht glücklich werden?

      Sein Blick glitt fieberhaft umher, aber da war nichts als die ungeheure Leere des Meeres.

      Zuweilen glaubte er, alles Land sei versunken und nur diese Insel rage noch aus den Fluten hervor. Ein grenzenloses Gefühl der Verlassenheit überwältigte ihn – tagelang rannte er durch die dichten Wälder, die von den Angstschreien der Tiere widerhallten, und verbarg sich im Schatten des Dickichts vor sich selbst.

      An manchen Tagen warf der Sturm seltsame Wesen ans Land, bizarre Ungeheuer aus unvorstellbaren Tiefen. Zuckend verendeten sie auf dem Strand. Robinson blickte in die verkrüppelten Augen, welche die lichtlose Öde der furchtbaren Abgründe geschaut hatten; und eine unbestimmte leise Ahnung stieg in ihm hoch – ein unausgesprochenes Grauen vor der letzten Wahrheit.

      Die Nacht kam, und mit ihr kamen die Kannibalen, deren schauerliche Gesänge über die Insel hallten. Die Wälder schimmerten blutrot im Widerschein der vielen Feuer. Die Todesschreie der Opfer vermischten sich mit der grellen, wilden Musik und fuhren ihm wie Fieberschauer durch die Glieder.

      Alle Blätter bebten. Das Entsetzen fraß sich mit spitzen Zähnen in sein Hirn. Er hielt sich die Ohren zu und kroch tiefer in seine Höhle, doch das Echo der Wände verstärkte das wüste Kreischen bis zum Unerträglichen.

      Dann verstummten die Schreie, der Gesang verhallte in der Nacht. Am nächsten Tag fand er nur noch kalte Asche und abgenagte Knochen. Und er baute voll Hast seine Palisaden noch fester.

      Die Jahre verloren sich in der Ferne. Einmal trieb ein Schiff vorbei, ganz nahe an seinem vergessenen Eiland. Robinson winkte verzweifelt. Deutlich sah er die fremden Menschen. Die Wolken standen wie drohende Häuser über ihnen.

      Dann ergoss sich die Nacht über die Fluten. Die Finsternis tropfte herab wie Öl und breitete sich auf dem Wasser aus. Das letzte Geräusch erstarb. Er sah nur noch einen Feuerschein auf dem schweigenden Meer, der immer weiter in die Dunkelheit hinaus trieb. Am nächsten Morgen spülten die Wellen einige Leichen an Land.

      Da wusste er, dass es keine Rettung für ihn gab. Er war für immer gefangen in seiner Einsamkeit, dieser Insel, die Schutz bot – und tödliche Verlassenheit.

      Und es trieb ihn mit unwiderstehlicher Macht hinab an den Strand, zu der Bestie Meer, die das Eiland umkreiste und ihn nicht freigab.

      Der Horizont verschluckte die Sonne wie ein gieriger Fisch. Ein Sturm kam auf und warf sich auf das kleine Stück Land, das noch aus dem Wasser herausragte. Hoch spritzte die Brandung und riss große Stücke vom Ufer weg. Jauchzend hallte das Geschrei der Wilden aus den Wäldern.

      Es hatte keinen Sinn mehr zu warten. Lächelnd begab sich Robinson in die Hände der Menschenfresser. Zuerst starrten sie ihn verblüfft an. Dann erhob sich ein Freudengeheul, sie griffen zu ihren Keulen – und während die Kannibalen die Feuer umtanzten, schlugen die Flammen immer höher, bis hinauf in die blutroten Wolken, die in dem hellen Widerschein selbst zu brennen schienen.

      Das Haus des Glücks

      Unser Schiff hatte nach langer Fahrt wieder einmal in Hong Kong festgemacht, und wir hatten drei Tage Landurlaub erhalten. Wir waren alle in ausgelassener Stimmung. Jeder freute sich schon auf die Abenteuer, die diese zauberhafte Stadt uns bieten würde.

      Ich schob mich durch das bunte Gewimmel der Menschen am Hafen und überlegte, was ich zuerst tun sollte. Ich kannte schon die meisten Bordelle hier. Nur im ,,Haus des Glücks“ war ich bisher nie gewesen. Es musste etwas Geheimnisvolles damit verbunden sein; die Männer sprachen voll Scheu von diesem Haus.

      Jeder warnte mich, doch keiner wollte mit der Sprache herausrücken.

      ,,Warum sollte ich nicht dort hingehen? Sind die Mädchen dort hässlicher als anderswo?“

      ,,Nirgends findest du schönere Mädchen als dort.“

      ,,Können sie es vielleicht nicht so gut?“

      ,,Sie sind Königinnen der Liebe. Keine könnte es besser als sie.“

      „Sind sie dann vielleicht zu teuer?“

      ,,Nirgends bekommst du es so billig wie dort.“

      ,,Ja, warum soll ich nicht hingehen?“

      ,,Wir warnen dich, es ist da etwas, wovon man am besten nicht spricht. Kein Mann würde

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