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breitete sich vor mir aus. Vorsichtig nahm Napoleone das Tuch, das mein Haar bedeckte ab. Ohne Halt floss es über meine Schultern. Ein Lächeln erhellte Napoleones Gesicht und er ließ den bestickten Tüll über mich gleiten. Der Stoff hüllte mich vollständig ein.

      „Diese Schleier sind auf Korsika Tradition. Jetzt siehst du wie eine echte Braut aus.“ Er nahm meine Hand und gab seinem Onkel ein Zeichen. Der trug inzwischen einen Talar und stand vor dem weißen Marmoraltar. Zwei Kerzenleuchter verbreiteten im Altarraum ein warmes Licht und ließen das Gemälde der Muttergottes am Hochaltar leuchten.

      Unserem Wunsch entsprechend stellte Fesch keine Fragen und hielt die Trauungszeremonie kurz und schlicht. Er sagte ein paar Worte über die Ehe, wie wichtig Vertrauen und Liebe seien und sprach den berühmten Satz: „Willst du ...?“

      Meine Stimme zitterte, als ich mein „Ja!“, hauchte. Napoleones Worte kamen klar und fest.

      Er hob den Schleier von meinem Gesicht und als er mich küsste, seine Frau küsste, schmolz ich dahin.

      Nach einer Ewigkeit – oder wenigen Augenblicken - hob Napoleone mich hoch, wirbelte im Kreis und lachte befreit auf. Er nahm den Schleier ab und reichte mir das Kopftuch. Mit sicheren Griffen band ich es wieder um (Woher wusste ich das? Ich hatte nie in meinem Leben ein Kopftuch gebunden oder getragen).

      „Komm!“ Napoleone streckte mir die Hand entgegen und ohne seinem Onkel einen Blick zuzuwerfen, führte er mich aus der Kirche. Die Sonne stand hoch am Himmel. Ich warf einen Blick auf die Kathedrale zurück, deren orangefarbener Anstrich im Mittagslicht leuchtete. Die weißen Randsteine hoben sich deutlich gegen den blauen Himmel ab. Der Anblick hatte etwas Magisches. Nie wieder würde ich sie als einfache Kirche sehen.

      Diesmal herrschte die Betriebsamkeit eines Arbeitstages auf den Straßen. Napoleone führte mich durch mehrere schmale Gassen. Er hatte recht gehabt. Hier sah alles bei Weitem nicht so prächtig aus wie in der Via Malerba. Die grob gezimmerten Hütten, die hier standen, verdienten den Namen Haus nicht. Die Straße war ein dreckiger Sandweg. Bäume oder Sträucher suchte man vergeblich.

      Schon nach wenigen hundert Metern ließen wir die Stadt hinter uns und betraten offenes Land.

      „Wo gehen wir hin?“

      „An eine Ort, an dem wir ungestört sind. Wir haben noch ein anderes Haus etwas außerhalb: das Gut Milelli. Wir bauen dort Oliven und Wein an. In den Olivenhainen gibt es eine kleine Hütte, die von den Pächtern in der Erntezeit genutzt wird. Jetzt ist sie leer.“

      „Oh, wie praktisch.“

      Er grinste. „Ja. Wir sollten gleich da sein. Ich kann den Hain von hier aus sehen.“ Die Landschaft hatte nichts mehr von der Traumstrandatmosphäre bei meiner Ankunft. Es wuchsen keine Palmen, sondern Bäume und Sträucher, deren Namen ich nicht kannte. Die sandige Straße schlängelte sich durch ein stark bewachsenes Gebiet, das genug Schatten bot, um der Mittagshitze zu entkommen.

      Wir waren nicht weit gelaufen, als Napoleone die Straße verließ und einen kleinen Trampelpfad betrat. „Das ist unser Olivenhain!“ Er deutete nach rechts. Olivenbäume, so weit das Auge reichte.

      „Und dort ist die Hütte, von der ich sprach.“ Inmitten der Bäume sah ich ein kleines Haus. Aus Steinen unterschiedlichster Größe aufgeschichtet und mit Lehmziegeln gedeckt, bot es einen reizenden Anblick. Es gab ein kleines Fenster und eine schmale Eingangstür.

      Diese öffnete Napoleone und wir traten ein. Das Fenster und die offene Tür ließen genug Licht, um die Einrichtung zu erkennen.

      Ich lachte überrascht auf. Das sah nicht nach einer Hütte für Erntehelfer aus! In der Mitte des Raumes stand ein gedeckter Tisch mit allem, was dazu gehörte. Tischdecke, Tellern mit Goldrand, Besteck, Kristallgläsern und einem frischen Strauß Blumen. Ein schweren Samtvorhang trennte den hintere Teil des Raums ab.

      „Das ist ...“ Mir fehlten die Worte. „Wann hast du ...?“

      Napoleone grinste. „Gestern Abend. Ich hatte vor, dich hierher zu bringen und ...“ Er errötete. „Nun, dich zu überzeugen, mich zu heiraten. Da das nicht mehr nötig ist, dachte ich ...“ Sein Blick glitt zu dem Vorhang. „Hier sind wir ungestört und da wir verheiratet sind ...“ Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken und straffte die Schultern.

      Seine Wangen glühten und ich liebte ihn in diesem Moment noch mehr. „Es ist wunderschön“, hauchte ich und gab ihm einen schüchternen Kuss auf die Wange.

      „Hattest du heute Morgen nicht gesagt, dass du mir die Blutfelsen und den Genueserturm zeigen wolltest?“

      Er räusperte sich. „Ich war mir nicht sicher, ob du einen Ausflug in eine einsame Hütte zugestimmt hättest.“ Ein feines Lächeln lag auf seinen Lippen. „Also dachte ich, ich lasse den Teil weg und wir machen zufällig hier Rast?“

      „Zufällig, ja?“ Nur mit Mühe gelang es mir, ein Lachen zu unterdrücken.

      „Es war immerhin ein Plan.“ Er schmunzelte. „Bitte, setz dich. Ich möchte dir etwas geben.“

      Aus den Augenwinkeln beobachtete ich ihn, während ich Platz nahm. Er holte ein kleines Päckchen aus seiner Jackentasche und öffnete es umsichtig. Darauf lagen zwei Silberkreuze an feinen silbernen Ketten.

      Er nahm eine auf und legte sie mir mit den Worten: „Damit du immer an mich denkst“, um den Hals. Er hielt mir die andere Kette hin. Ich nahm sie, er kniete sich vor mich und ich wiederholte seine Worte.

       „Du hast Napoléon geheiratet? Mit dem Wissen, das du über ihn hast?“

       „Warum nicht? Hast du nicht gelesen, was ich geschrieben habe? Ich liebe ihn!“ Marie sprach völlig entspannt und mit einem glückseligen Lächeln auf den Lippen.

       Anna konnte nur den Kopf schütteln. „Ich verstehe das nicht. Einerseits sind es Träume und ich weiß, dass man dort kaum Einfluss auf sein Handeln hat. Wenn ich deine Schilderungen richtig verstehe, hast du aber Einfluss darauf und bist die ganze Zeit voll handlungsfähig.“

       „Das stimmt. Es ist so, als würde es wirklich geschehen.“

       „Okay, dann verstehe ich erst recht nicht warum.“

       „Muss immer alles rational sein? Ist Liebe immer rational? Nein, ist sie nicht. Sie ist.“

       Anna schüttelte den Kopf. „Hast du schon einmal überlegt, wohin dich diese irrationale Liebe das letzte Mal gebracht hat?“

       „Das ist etwas anderes. Napoleone ist nicht Stefan und ich bin nicht mehr die Frau, die ich vor fünf Jahren war.“

       Anna schnaubte resigniert. Marie war einfach nicht zu helfen. „Ich werde das nie verstehen. Was geschah noch?“

       „Es war ja praktisch unsere Hochzeitsnacht und ...“ Marie stockte und blickte verlegen zu Boden.

       „Sex?“ Es kostete Anna große Mühe, ernst zu bleiben.

       Marie nickte, puterrot im Gesicht.

       „War er wenigstens gut?“

       Wieder ein Nicken.

       „Und dann?“

       „Nicht mehr viel. Wir blieben den ganzen Tag und die Nacht in der Hütte.“

      Als die Welt zurückkam, lag ich allein auf dem provisorischen Bett. Verwirrt sah ich mich um und hörte schließlich eine Feder über Papier kratzen. Draußen herrschte dunkle Nacht. Napoleone saß am Tisch und schrieb. Schweren Herzens registrierte ich, dass es Zeit war zu gehen. Also stand ich auf und begann, mich anzuziehen. Er hatte zu schreiben aufgehört und beobachtete mich unter gesenkten Lidern. Seufzend lief ich zu ihm und legte von hinten meine Arme um seinen Hals. „Schläfst du eigentlich nie?“

      „Selten

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