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sie eine Antwort brauchte. Da war eine Mutter, die für ihren Sohn kämpfte und sein Wohl im Sinn hatte.

      „Ich liebe ihn. Aber ich will ihm nicht im Weg stehen. Euer Sohn ist zu Großem berufen.“ Ich schluckte. „Es müssen gewisse Dinge geschehen. Dinge, bei denen es keine Frau an seiner Seite geben darf.“

      Sie nickte bedächtig. „Warum bleibt ihr dann nicht einfach weg?“

      Ja, warum? Weil ich keine Kontrolle über meine Träume habe? Weil ich mir wünsche, dass ich mein Leben an seiner Seite verbringen könnte? Weil ich das Gefühl habe, ihn seit Jahren zu kennen und er Dinge in mir auslöst, die ich verloren zu haben glaubte? Alles keine Argumente für sie.

      „Weil ich ihn liebe“, sagte ich stattdessen trotzig. Mit jedem Mal, da ich es aussprach, wurde die Gewissheit größer und löste einen kleinen Glückstaumel in mir aus: Ich liebte Napoleone.

      Signora Buonaparte dachte angestrengt nach. Auch darin glich sie ihrem Sohn. Die Stirn in kleine Falten gelegt, die Augen leicht zusammengekniffen, saß sie mit ausdruckslosem Gesicht vor mir und starrte scheinbar ins Leere. Ihre Stimme hatte einen wärmeren Ton, als sie wieder sprach. „Ihr sagt, Napoleone sei zu Großem berufen. Aus Erfahrung weiß ich, dass Größe Menschen verändert. Wenn ich meinen Sohn richtig einschätze, weiß ich nicht, ob ich das erleben möchte.“ Sie atmete tief ein, und ein Lächeln zeichnete sich auf ihren Lippen ab. „Ihr tut ihm gut, holt ihn aus seinen Grübeleien, führt ihn ins Hier und Jetzt. Mir gefällt dieser Napoleone.“ Ihre Miene wurde wieder ernst. „Aber wagt es nicht, ihn zu hintergehen!“

      Ich fühlte mich immer unwohler. Diese Art von Gespräch wollte und sollte ich nicht führen. Das Ganze entwickelte sich zum Alptraum.

      „Nun gut.“ Wie schwer ihr die nächsten Worte fielen, ließ sich an ihrem gepressten Tonfall erahnen. „Ihr habt mir eine Seite an meinem Sohn gezeigt, die ich lange vermisst habe. Nur aus diesem Grund werde ich Eure Anwesenheit in meinem Haus dulden. Wenn Ihr ihn betrügt oder verletzt, werdet Ihr Euch wünschen, nie geboren worden zu sein. Merkt Euch das gut!“

      Mit diesen Worten beendete sie unser Gespräch und ließ mich verwirrt zurück. Was war los mit dieser Familie? Hielten sie Napoleone nicht für fähig, seine eigenen Entscheidungen zu treffen? War ich etwa nicht gut genug für ihn? Ich liebte ihn, das konnten nicht viele Frauen von sich behaupten.

      Ich liebte ihn! Diese drei Worte änderten alles. Warum sollte ich ihn nicht heiraten? Was hatte ich zu verlieren? Das hier war ein Traum – mein Traum und in dem konnte ich tun und lassen, was ich wollte! Und wenn ich Napoléon Bonaparte heiraten wollte, dann bitte, los.

      „Marie?“, hörte ich seine Stimme wie aus weiter Ferne. „Ich bin fertig, kommst du?“

      Er stand an der Tür und sein Anblick verschlug mir den Atem. Das Haar zurückgebunden, Schuhe, Hemd und Hose in einem undefinierbaren Braun, aber er trug es wie Samt und Seide. Ein Beutel hing quer über seiner Brust und er lächelte mich auf eine Art und Weise an, die meine Knie weich werden ließ. „Kommst du?“

      „Ja, ich will!“, murmelte ich leise vor mich hin.

      Seine Augen leuchteten und seine Lippen öffneten sich leicht.

      „Ja, ich will!“

      Sein Lächeln wurde breiter. „Dann sage ich es gleich meiner Mutter. Wir müssen Vorbereitungen treffen und ...“

      „Nein!“, hielt ich ihn zurück. „Keine Vorbereitungen. Nur du und ich. Jetzt.“

      Er hob die Brauen. „Jetzt? Ohne Vorbereitungen? Aber meine Familie!“

      „Nein! Keine Familie. Du und ich. Und niemand erfährt etwas. Ich darf dir nicht im Weg sein.“

      Er kam zu mir herüber und nahm meine Hände in seine. „Du wirst mir nie im Weg sein. Wir werden heiraten und eine Familie gründen und ...“

      „Nein! Ich habe dir gesagt, dass das nicht geht. Ich werde wieder gehen, und du wirst andere Frauen treffen und heiraten.“ Mir schwirrte der Kopf. Sollten diese Dinge in einem Traum nicht egal sein? Warum waren sie mir so wichtig?

      Sein Daumen fuhr liebevoll meine Handfläche entlang. „Du willst gehen?“

      „Ich will nicht, ich muss. Und ich bitte dich, mir keine Fragen zu stellen.“

      „Du verlangst viel.“

      „Das sind meine Bedingungen. Verschwiegenheit und Vertrauen.“

      Er nickte bedächtig. „Gut. Aber ich habe auch eine Bedingung: Du hast etwas von einer Desirée erzählt, mit der ich mich verloben werde. Wann soll das sein?“

      „Im Sommer '93.“

      „Gut. Wir werden hier in aller Stille heiraten. Und wenn ich bis zum Jahreswechsel '93/'94 diese Frau nicht getroffen habe, werden wir eine große Hochzeit haben. Nach meinen Vorstellungen.“

      Das war fair. Bis dahin würde er längst mir ihr verlobt sein. „Einverstanden.“

      Er hauchte einen Kuss auf meine Lippen und flüsterte: „Bleib, wo du bist! Ich bin gleich zurück!“

      Völlig verwirrt von seinem sanften Kuss, sah ich ihn das Zimmer verlassen und wenige Sekunden später wieder betreten.

      Wie lange war er weg gewesen? Was hatte er gemacht? Ein Blick aus dem Fenster zeigte mir, dass nicht viel Zeit vergangen sein konnte. Er strahlte auf jeden Fall bis über beide Ohren.

      „Ich habe alles geregelt. Mein Onkel wird uns trauen.“

      „Der Erzdiakon?“ Damit hatte ich nicht gerechnet. Erzdiakon klang so offiziell.

      „Nein, mein anderer Onkel. Du erinnerst dich? Der Bruder meiner Mutter: Fesch. Er ist Priester. Er wird gleich herkommen und uns eine Besichtigung der Kathedrale anbieten. Dort kann er uns in aller Stille trauen.“

      „In einer echten Kirche?“ Daran hatte ich nicht gedacht.

      „Wo denn sonst?“

      Ja, wo denn sonst? Wir hatten immer noch 1790. Und nur, weil es in Paris die Zivilehe gab, hieß das nicht, dass man das in Korsika auch so handhabte.

      „Du bist doch katholisch, oder?“

      „Ja.“ Galt die katholische Taufe noch, wenn man aus der Kirche ausgetreten war? Mir schwirrte der Kopf. Ich würde in einer Kathedrale heiraten. Kathedrale? In Ajaccio?

      „Ihr habt eine Kathedrale in Ajaccio?“ Ich erinnerte mich an keine.

      „Natürlich. Dort bin ich getauft worden: Notre-Dame-de-la-Misericorde.“

      Ach, diese Kirche! Kathedrale würde ich die nicht nennen. Aber das war nur meine Meinung.

      „Wir sind gestern daran vorbeigekommen.“

      In diesem Moment betrat Joséph Fesch den Raum. Über ihn wusste ich nicht viel: Sechs Jahre älter als Napoleone würde er später auf dessen Betreiben hin Kardinal werden.

      Das passte zu diesem leicht rundlichen Mann mit den gütigen Augen und den dunklen Locken. Noch war er jung. In ein paar Jahren könnte er dem Bild eines ehrwürdigen Kardinals nahe kommen.

      Er räusperte sich verlegen: „Ah, Napoleone! Ich wollte Fragen, ob du und die“, er machte eine fast nicht wahrnehmbare Pause, „Signorita, gerne Notre-Dame-de-la-Misericorde besuchen möchtet? Ich habe für den Erzdiakon einige Vorbereitungen zu treffen und könnte sie euch zeigen.“

      „Das würde uns gefallen“, antwortete Napoleone und bot mir seinen Arm. „Nicht wahr, Marie?“

      „Sehr gerne.“ Ich hatte Mühe, mir das Lachen zu verkneifen. Die ganze Situation war absurd: Ich stand im Begriff, einen der berühmtesten Männer der Geschichte zu heiraten. Heimlich zu heiraten. In seinem Geburtsort, getraut von einem späteren Kardinal.

      Ich blickte mich um und stellte fest, dass ich den Weg zur Kirche verpasst hatte. Als ich wieder aus meiner Gedankenwelt zurückkam, stand ich vor dem Altar und Napoleone hielt

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