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Ad Personam - Die Selbsthilfegruppe. Anita Lang
Читать онлайн.Название Ad Personam - Die Selbsthilfegruppe
Год выпуска 0
isbn 9783753187006
Автор произведения Anita Lang
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Gertrud huscht zu den Flügeltüren und öffnet beide. An dem menschenleeren Trottoir rauschen Autos vorbei. Fantasieloser Asphalt und grauer Lärm vor dem alten Kinosaal.
„Haben sie ein Hobby“, fragt sie beiläufig.
„Ich will nicht zu viele Türen auf einmal öffnen.“
„Damit wollen sie sagen, dass sie nichts Neues ausprobieren möchten?“
„Naja, weiß’s nicht.“
„Zeichnen“, wirft Wigand ein. „Das kann sehr befreiend sein.“
„Ich kann nicht gut malen“, sagt sie. „Da war ich noch nie gut darin. Von da her…“
„Sicher habt ihr in der Ausbildung zum Lehreramt Musik gemacht“, gibt Adele zu bedenken.
„Ich singe gern. Gitarre hab‘ ich auch gelernt.“
„Karaoke“, sagt Jan. „Wer ist dabei?“
„Warum nicht“, meint Sabine unsicher. Gitta sitzt da, abwartend wie ein Ölgötze.
„Bin dabei“, beeilt sich Wigand. Adele nickt. Ein Freudenstrahl huscht über ihre Blicke.
„Ich singe wahnsinnig gern“, sagt Horstl. „Aber wahrscheinlich fehlt mir die Zeit.“
„Für heute müssen wir uns verabschieden“, meint Gertrud mit einem sonnigen Lächeln. „Ich wünsche euch eine schöne Zeit.“
Als Wigand am Abend um die Ecke biegt, sieht er den Nachbarn, wie er sich bemüht, den Grill anzufachen.
„Guten Abend“, ruft er über die Hecke. „Ich wohne gleich nebenan.“
„Hallo, wie geht’s?“
„Danke, kann nicht klagen.“ „Heute ist Grillabend?“
„Genau. Wir brutzeln uns etwas Leckeres.“ Wigand fragt ihn, ob seine Frau dabei wäre.
„Meine Freundin.“
„Und ihr Besuch. Ich habe ihn gestern in ihrem Garten gesehen.“
Verwundert sieht er auf. Die Scheiter haben Feuer gefangen. Der Nachbar schüttet Holzkohle darauf.
„Wir haben keine Gäste“, sagt er.
„Er war in meiner Größe, mit schütterem Haar.“
„Es sind bloß wir. In trauter Zweisamkeit“, sagt er lachend.
„Achso.“ Wigand grüßt höflich und wendet sich zum Gehen. Ich stehe schlichtweg blöd da, findet er, als er die Treppen hinaufsteigt. In sein Apartment, im ersten Stock. Wenn ich ihm doch nur begreiflich machen könnte, dass sich tatsächlich ein Unbekannter in seinem Garten befunden hat. Unlängst. Auch wäre es in seinem Sinne, informiert zu sein. Hausfriedensbruch nennt sich das. Peinlich berührt presst er die Lippen zusammen und stellt seine Sneakers auf die Stellage im Vorzimmer. Als sich knurrend sein Magen bemerkbar macht. Das letzte Mal hat er zu Mittag eine Pizzaschnitte verdrückt. Ein zähes Frösteln steigt auf. Unheimlich, der Schleicher in unserer Gegend. Am besten lege ich eine Musik-CD ein. Saxophon, das vertreibt bad Vibrations. Was zu essen wäre auch dringend nötig. Im Eiskasten ist noch Pasta asciutta von gestern. Nanu, kein Bier mehr da? Ich war mir sicher, dass ich vor Kurzem drei Flaschen eingekühlt habe. Wenn ich die Leerflaschen dazu finden könnte. Im Mistkübel sind sie nicht, auch nicht in der Leergutkiste im Abstellraum. Jemand hat mein Bier ausgetrunken. Da bin ich mir sicher.
3. Kapitel
Mit Septemberbeginn fällt in der Früh der feuchte Nebel tierisch über die Stadt her. Tagsüber kommt die Sonne durch und zerstreut sanft die verhangene Wolkendecke. Bis zur Zusammenkunft am Abend hat sich die Wetterlage in Wohlgefallen aufgelöst. Horstl Sigma mag seinen Job überhaupt nicht. Seine eigenen Gedanken findet er vermutlich nichtssagend. Anstatt dessen verehrt er einen Filmstar, den er sich im Geiste ausmalt. Es muss ein wundervolles Leben sein. Von Party zu Party tändeln, untertags shoppen in den angesagtesten Läden.
„Also ich bin ja der totale Fan von Ray.“ Der ist angeblich Engländer und jedes seiner Worte ist für ihn die Bibel. „Er strahlt eine unbändige Lebenskraft aus in dem Dreiteiler nach Charles Dickens. Obwohl: er hat ein wenig Fett angesetzt.“ Er selbst ist in erster Linie sportlich. Eins achtzig groß, betont er, wie bei der Musterung zum Heer. Er sieht gesetzt drein dafür, dass er noch so jung ist. Sein Traum war eine Karriere als Fußballer, bis vor Kurzem. Zwei Kinder und der Kredit für die Wohnung zwingen ihn jedoch, Fenster zu putzen. Widerwillig fügt er sich, sie brauchen das Geld.
„So ist das Erwachsenenleben“, meint Adele. „Das gebietet der Anstand.“
„Wenn es ihm aber keine Freude macht“, sagt Gitta. „Dann ist das für die Katz.“ Für Jan ist es selbstverständlich, dass man zuerst seine Existenz sichert.
„Gäbe es denn eine andere Option?“ Unsere Gruppenmagistra versucht, die Perspektive zu wechseln.
„Ich müsste mich umschauen“, sagt Horstl. Allein, ihm fehle die Energie, wenn er ausgepumpt von der Arbeit heimkäme. „So ähnlich wie bei Adele, die holde Seele.“
„Es wäre gut, wenn sie das im Hinterkopf behalten können. Dass sie immer die Wahl haben.“ Man fühle sich besser, mit der Hoffnung auf eine neue Möglichkeit.
Die Reihe ist an Wigand und er zögert, was er preisgeben soll.
„Der Stalker hat mich aus dem Nachbargarten beobachtet“ sagt er, um einen seriösen Tonfall bemüht.
„Wie sah er aus?“
„In meiner Größe.“ Das war ein Fehler, schießt es ihm durch den Kopf. Sie wird glauben, dass ich es erfunden habe. „Er muss mir von meinem Arbeitsplatz aus gefolgt sein.“
„Hat ihn noch irgendwer gesehen, außer ihnen?“
„Eigentlich nicht.“
„Das lassen wir jetzt einmal so stehen“, sagt Magistra Ahnvoll. Jetzt schasselt sie mich ab, findet er. Ich werde das von dem Bierschwund nicht erzählen. Sonst stehe ich noch unglaubwürdiger da. Ich werde über meinen Beruf reden, damit sie merken, dass ich seriös bin.
„Vieles kann ich mir richten“, sage ich. „Ich kann er mir einteilen, ob ich im Büro oder zu Hause arbeite.“ Das waren jetzt Pluspunkte für mich. Leichte Bewunderung, viele wünschen sich so eine Arbeitsstelle.
„Das kann ich auch“, sagt Gitta. „Ich teile mir alle Termine selbst ein.“
„Jetzt will ich es genau wissen“, meint Adele. „Du kannst uns die Wahrheit erzählen. Wir beißen nicht.“
„Ich bin Prostituierte“, wirft sie in die Runde und sieht dann Adele fest in die Augen. Als ein Raunen anhebt.
„Ja macht nichts, wir sind aufgeklärt.“
„In meinem Beruf kannst du dein Körpergewicht in Gold aufwiegen“, meint sie.
„Oder auch nicht“, sagt Sabine. „Wir haben alle von sehr gefährlichen Übergriffen gehört, in deinem Metier.“
„Ich bin mein eigener Herr, habe keinen Zuhälter. Niemand zwingt mich.“
„Wer hätte das gedacht“, sagt Wigand und klimpert unwillkürlich mit den Augenlidern. „Ich hätte dich in den Kammerspielen vermutet. Oder im Kabarett.“
Horstl sieht zu Boden und hält sich bedeckt. Um sich abzulenken, kletzelt er an seinen Fingernägeln herum. Das ist wie ein Warenhandel, fleischliche Lust gegen Moneten, denkt Wigand. Obwohl, das wäre schon verlockend, reich zu werden, das Gold vor Augen. Ich würde es merken, wenn mich eine nur für Geld umgarnt. Oder vielleicht auch nicht, wer weiß’s. Mit Liebe hat das wenig zu tun, das ist so klar wie dickflüssige Tinte. Die wahre Liebe, zwei Menschen, die sich fürs Leben gefunden haben. Selbst die romantischen Tauben wissen, dass das das Beste ist.