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sie in ihrem Alter keine Freundin hat. Auch habe sie durch ihre Nachtaktivitäten keinen normalen Schlafrhythmus entwickelt. Da nütze auch kein Schlaftrunk.

      „Das kann ich gut verstehen“, meint Gertrud Ahnvoll. Man müsse eben auch respektieren, wenn sie ihren Beruf nicht nennen wolle. Dann hört sie andächtig zu, wie er findet,

      und geht penibel auf Gittas Durcheinander ein. Die Hindernisse entpuppen sich als Betonklötze in geometrischen Formen. Die horrormäßige Schönheits-OP transplantiert Gewebeklumpen nach du weißt schon was. „Der Magen würde sich euch umdrehen, wenn ich es euch verrate.“

      ‚Übermäßige Konzentration auf ihr Styling‘, kombiniert die Gruppenleiterin. Monserat ist fünfzig und geht aufs Alter zu. Der Druck verschärft sich, wenn das in ihrer Berufsausübung eine Rolle spielt. Sie hat keinen prominenten Namen, Gitta Monserat sagt mir eigentlich nichts. Unüberwindbar könnte bedeuten, ein essentielles Problem, wie der Alterungsprozess. Ich werde einfach abwarten, was sie zu dem Thema noch einbringt. Die Zeit drängt, die anderen in der Runde wollen auch noch gehört werden.

      „Frau Bigottara, wollen sie weitermachen?“

      „Gerne“, sagt Adele. „Ich bin sechzig, in Ehren ergraut.“ Dabei streicht sie sich über ihr dauergewelltes Haar. Komisch affektiert, ihr Lachen ist ansteckend. Sie ist schlank und elegant, mit einem natürlichen, hübsch proportionierten Gesicht.

      „Es ist mir ein Dorn im Auge, dass meine Enkelkinder so früh aus den Federn gerissen werden. “ Sie sagt, dass Kinder Muße bräuchten und mehr Zeit zum Experimentieren.

      „Du siehst es oft nur mehr in Filmen. Junge Menschen, die malerisch auf den Stiegen vor dem Mietshaus sitzen. Wie die Musiker, die ich unlängst in ‚Can a song safe your life‘ sah.“

      „Naja, der Musikproduzent war auch schon etwas überwuzelt. Ein paar graue Strähnen im Haar.“ Adele scheint Horstls Bemerkung völlig überhört zu haben.

      „Dieses Disziplinieren killt jede Kreativität.“ Inzwischen wisse man schon sehr viel aus der Montessori-Pädagogik und den Erkenntnissen der Waldorfschulen, in welchem Umfeld sich der kindliche Geist optimal entwickeln könne.

      „Da bin ich ganz bei ihnen“, sagt Gertrud.

      „Adele“, sagt Jan. „Ich darf dich doch so nennen, oder?“ Zaghaft nickt sie, den Einwand erwartend. „Die Disziplin hat mich dorthin gebracht, wo ich heute bin.“ Undenkbar wäre eine Knie-Operation, bei der nicht alles bis ins kleinste Detail stimme.

      „Da könnt ihr froh sein, dass der Arzt seine Chose peinlichst genau studiert hat, wenn er dich aufschnippelt.“

      „Ja, schon klar“, sagt sie. „Was ich in Frage stelle, ist: wann beginnt das? Bei den Dreijährigen?“

      „Glaubst du nicht, dass es Ziel sein sollte, Kinder zu Personen zu erziehen, die in der Gemeinschaft funktionieren?“

      „Doch. Aber sie sollen sich selbst verwirklichen. Mit all ihren Talenten, die ihnen von der Natur geschenkt wurden.“

      „In unserer Gesellschaft wimmelt es doch nur so von eigensinnigen Knallköpfen, die sich für den Nabel der Welt halten.“

      „Wenn das dieselbe Gesellschaft ist, in der ich lebe: ich bin keinesfalls bereit, deinen Pessimismus zu teilen.“ Sie ist selbst zeitig auf den Beinen, noch voll positiver Energie. Bereit, diese hoffnungsvoll einzusetzen. Jedoch am Nachmittag wäre sie meist wie gerädert. „Es würde mich interessieren, ob du schon als Kind so funktionieren musstest, Jan.“

      „Ihr Lieben, wir weichen vom Thema ab“, sagt Gertrud. „Heute geht es uns ums Kennenlernen. Wir werden noch ausreichend Zeit haben, uns auszutauschen.“

      „Das beschäftigt mich sehr“, meint Adele. Sie wolle aber noch Grundsätzliches erzählen. Sie wäre in Pension, war vielbeschäftigte Angestellte im Bezirksamt. Sie lebt in einem der inneren Bezirke. Als Hobbygärtnerin kümmert sie sich um einen Teil des Gemeinschaftsgartens, in dem sie Kräuter hegt und pflegt.

      „Rosmarin, Lavendel und Melisse.“

      „Ich liebe Lavendelduft“, sagt Sabine. „Von da her, kann ich das nur gut finden.“

      Adele hebt die Augenbrauen und gibt eine Kostprobe ihrer Kenntnisse um heilende Düfte an uns weiter.

      „Wie alt sind denn deine Racker“, fragt Wigand. Gerne hätte er Mäuschen gespielt und das bunte Treiben rund um sie beobachtet. Das ist Life pur, die ehrlichen Antworten der Kinder und ihre unkonventionellen Einfälle.

      „Phil ist zwölf, Andre zehn und Babsi vier Jahre alt.“ Adele bringt die Kids in die Schule beziehungsweise in den Kindergarten, holt sie nachmittags wieder ab. „Die Betreuung meiner Enkelkinder bereichert mein Leben, raubt mir jedoch mitunter den Nerv.“ Sie möchte ihre Nerven sanieren und ihr Zähneknirschen loswerden, das sich unkontrolliert einstelle.

      „Nicht dass ihr mich falsch versteht. Ich überlege bloß, einen Teil der täglichen Pflichten abzuwerfen.“ Sie genieße es jedoch auch, in vielen Bereichen gefragt zu werden.

      „Gartenarbeit ist sehr wertvoll für die seelische Entwicklung. Das baut Substanz auf.“

      Wigand lässt seine Ideen kreisen, ob der Substanz und ihrer Attribute. Das muss positiv sein, wie das wohlschmeckende Fruchtfleisch eines Pfirsichs. Gedankensprung. Ist es eine Substanz, die einen Tank zu befüllen vermag oder etwa ein Energiestrom, der in Fernleitungen zirkuliert?

      Ahnvolls freudige Miene meint, dass sie mit ihren Enkerln und dem Gärtchen eine sinnstiftende Tätigkeit gefunden hätte. Vielleicht ergäbe sie das eine oder andere, welches sie delegieren könne. Adele holt die Hälfte ihrer Brille hervor und beäugt das Plakat neben der Eingangstüre, das eine Esoterikveranstaltung in der Nähe ankündigt.

      „Ich Tollpatsch habe mich heute am Morgen versehentlich auf meine Lesebrille gesetzt. Nun muss ich mich mit dem Fragment behelfen, bis ich Ersatz finde.“

      „Die Enkelkinder müssen sich darüber halb tot gelacht haben“, sagt Jan erheitert.

      „Das kann man wohl sagen.“

      Wigand findet es gut, dass sie sich engagiert. Plötzlich sieht er es vor sich. Das Bild des Stalkers. Am Vortag hat er sich kurz gezeigt. Als er nichts ahnend aus der Haustür ging, verschwand der hinter der Hausecke im Nachbargarten. Er ist zirka in meiner Größe, eins fünfundsiebzig und geht wie auf höheren Absätzen. Eigentlich ist er unauffällig in seinem Äußeren, mit schütterem Haar. Es könnte auch ein Bekannter der Nachbarn sein. Warum jedoch beobachtet er mich und läuft weg. Daraus kann man nicht schlau werden. Wenn ich es hier erzähle, werden sie mich erneut für einen Spinner halten.

      Jetzt ist Sabine Jericho dran. Man hört es ihr an, dass sie sich durch den Alltag schleppt.

      „Im Unterricht bete ich meinen Lehrstoff herunter“, sagt sie. „Alles nach Vorschrift der Obrigkeit.“ Schier endlose Formulare ausfüllen, wie es früher nicht nötig gewesen wäre. Für eigene Ideen zur Unterrichtsgestaltung bliebe ihr keine Zeit. ‚Von da her, fadisiert mich alles‘, scheint sie zu sagen. In ihrer Freizeit kann sie sich weder für das Fernsehprogramm, noch für Musik oder Bücher erwärmen. Sabine ist in den besten Jahren, Mitte Vierzig. Ein schön geformter Mund, ein kindhaftes Lächeln.

      „Ich bin Single“, verrät sie uns noch. Sie hätte ein Problem damit, den passenden Partner zu finden. Kaum vorstellbar. Ihr dunkelbraunes Haar, lockig kurz, ist erneut künstlich zerrauft. Eher die typische Umweltaktivistin. Kundig, wo es um Umweltschonung und freundlichen Umgang geht. Verständnislos gegenüber ruppigen Menschen und Fleischfressern. Eigentlich bewegt sie sich wie auf Schienen, einsam ohne Fernsehgerät. Mit sorgenvollem Blick sieht sie dem neuen Schuljahr entgegen. Dann setzt sie ihre dunkle Brille auf die zierliche Nase.

      „Das Kunstlicht tut mir weh.“

      „Vermutlich sind sie sehr sensibel“, meint Gertrud.

      „Kann sein.“ Oje, das wirkt uncool auf ihre Schüler im Teenageralter. Lichtscheue ist

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