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Perücke. Man konnte zu Tisch gehen. Die Fürstin nahm den Arm des Grafen Streith, die drei Prinzessinnen folgten, Baron Fürwit führte die Baronin Dünhof, der Major Fräulein von Dachsberg, Mademoiselle Laure ging allein. »Wenn man zur Tafel geht«, hatte Marie einmal zu Mademoiselle Laure gesagt, »sind alle hübsch angezogen, der Tisch, weiß und silbern, sieht aus wie ein Altar, man setzt sich ein wenig fröstelnd hin und wartet auf die guten Sachen, dann freut es einen doch etwas, daß man eine Prinzessin ist.«

      »Ah ma pauvre petite!« hatte Mademoiselle Laure geantwortet.

      Bei Tische führte der Graf die Unterhaltung. Die Fürstin hörte ihm zu, und man sah es ihr an, sie fühlte sich gut geborgen und gut unterhalten, wenn er sprach. Die Baronin Dünhof und der Baron Fürwit äußerten zuweilen etwas, Fräulein von Dachsberg sprach halblaut mit dem Major, die Prinzessinnen saßen gerade auf ihren Stühlen und schwiegen.

      »Ja«, sagte der Graf, »gestern war der Baron Üchtlitz bei mir. Der alte Herr schien ganz außer sich. ›Denken Sie sich‹, sagte er, ›unsere Hilda will fort und etwas leisten. Will sie Kranke pflegen, will sie studieren, will sie Postfräulein werden? Was weiß ich. Sie kann sich zu Hause nicht entwickeln, sagt sie. Haben Sie je gehört, daß zu unserer Zeit unsere Damen sich entwickelten? Nein - aber sie muß fort. Sie sagt, sie wird nicht wie eine Prinzessin zu Hause sitzen und auf eine Krone warten.‹«

      Das erregte Heiterkeit an der ganzen Tafel. »Sie war mir nie sympathisch«, bemerkte die Fürstin, und die Baronin Dünhof meinte: »Schließlich, wenn diese Damen sich entwickelt haben, so weiß die Gesellschaft nicht, was sie mit ihnen anfangen soll.«

      »Und es endet gewöhnlich mit einer törichten Heirat«, warf Baron Fürwit ein. Die Baronin nickte und erklärte mit Bestimmtheit, die Frau gehöre in das Haus.

      Marie wurde nachdenklich. War Hilda das rote Mädchen auf der Schaukel gewesen, das sich von dem Offizier schaukeln ließ? Sie hatte Hilda immer bewundert, ihre aufgeregten, grauen Augen, die aschblonden Zöpfe und dann, Hilda hatte zuweilen eine Art, über Eltern im allgemeinen, über den lieben Gott oder über Liebe zu sprechen, daß es einem kalt über den Rücken lief, es war schrecklich, aber doch angenehm erregend. Die Fürstin hob die Tafel auf.

      Die Gesellschaft begab sich in den Gartensaal. Hier verhüllten grüne Spitzenschirme die Lampen, die Glastüren standen weit offen, und die Sommernacht füllte den Saal mit ihrem kühlen, süßen Duft. Die Fürstin ließ zwei Sessel an die Türen heranrücken, dort saß sie, neben ihr der Graf. Sie unterhielten sich, der Graf dämpfte seine Stimme, gab ihr einen weichen, singenden Klang, zuweilen hörte man sie zusammen lachen, oder sie schwiegen und schauten in die Nacht hinein. Dann legte die Fürstin wohl flüchtig die Hand auf den Ärmel des Grafen und sagte: »Streith, die Sterne.«

      »Ja, hm, die Sterne«, erwiderte der Graf und suchte nach etwas Besonderem, das er sagen könnte.

      »Eigentlich müßten sie uns nervös machen, diese stets erleuchteten Nachbarhäuser, von denen wir nie erfahren, wer in ihnen wohnt.«

      Die Baronin Dünhof spielte mit dem Baron Fürwit Halma, und der Major schaute ihnen zu. Die anderen gingen in den Garten hinaus. Eleonore legte den Arm um Roxanes Taille, und beide wanderten den breiten Kiesweg hinab. Jetzt, da die Trennung bevorstand, hatten sie viel miteinander zu besprechen und konnten dabei einen dritten nicht brauchen. Fräulein von Dachsberg und Mademoiselle Laure folgten den Prinzessinnen in einiger Entfernung. Marie fühlte sich ausgeschlossen und vernachlässigt. Was sollte sie tun? Sie ergriff Mademoiselles Arm und zog sie auf einen Nebenweg.

      »Kommen Sie«, sagte sie, »erzählen Sie wieder von der Pension und wie Sie aus dem Fenster stiegen, um mit den Studenten spazierenzugehen.«

      »Ce n'est rien pour les petites princesses«, erwiderte Mademoiselle Laure steif.

      Das kannte Marie. Wenn die Französin guter Laune war, dann erzählte sie lauter Geschichten, die nichts für kleine Prinzessinnen waren, war sie jedoch traurig und sehnte sich nach dem Vikomte, mit dem sie heimlich verlobt gewesen war und der sie verlassen hatte, dann war alles unpassend.

      Gut, Marie ließ sie einfach stehen und schlug einen anderen Weg ein.

      »Prinzessin Marie!« hörte sie es hinter sich her rufen, aber sie kümmerte sich nicht mehr darum, jetzt wollte sie einsam und unglücklich sein. Angenehm war es nicht, allein in der Finsternis umherzuirren, aber sie wollte leiden. Die Nacht um sie her war samtschwarz; schaute sie empor, dann flimmerten die Sterne so unruhig, daß ihr schwindelte. Von der Dorfstraße kam noch ein leises Singen und Lachen herüber, ein Wagen fuhr auf der Landstraße, durch die nächtliche Stille hörte man lange sein Rollen, und es gab Marie das Gefühl einer unendlichen, dunklen Weite. Ja, wenn die anderen einen verlassen, dann ist man allein in einer unendlichen, dunklen Weite.

      Drüben aus den schwarzen Massen der Parkbäume scholl ein sachtes Rauschen, es wurde unheimlich. Selbst die Blumen, an denen sie vorüberging, und die sie an ihrem Duft erkannte, die Rosen und Levkoien, schienen fremd, und wenn sie sich auf sie niederbeugte und sie anfaßte, waren sie kalt und feucht und abweisend.

      »Prinzessinnen sitzen zu Hause und warten auf eine Krone«, das fiel ihr jetzt ein, und sie sprach es laut in das Dunkel hinaus. Das klang eigentlich tragisch, es klang eigentlich unheimlich, sie wußte nicht, warum, aber es klang unheimlich, und mit großen Schritten ging sie dem Hause zu.

      Im Gartensaal rüstete man sich zum Aufbruch. Graf Streith verabschiedete sich, und auch die anderen wollten sich zurückziehen, und man bot sich eine gute Nacht. Nur Mademoiselle Laure fehlte, sie streifte noch durch den finsteren Garten und dachte an ihren Vikomte.

      Die Prinzessinnen schliefen alle in einem großen, weißen Zimmer. Alles war hier weiß, die Wände, die Betten, die Toilettentische und die vielen Musselinvorhänge. Marie ließ sich von Alwine, der alten Kammerzofe, schweigend und regungslos wie eine Puppe entkleiden. Sie wollte schlafen, sie sehnte sich danach, diesen freudlosen Tag zu beschließen. Wie sie im Bette lag und die Zofe fortgeschickt worden war, saßen Eleonore und Roxane noch beieinander und flüsterten. Marie hörte es dem Tonfall der Stimmen an, daß das Gespräch innig und rührend war, das rührte auch sie. Plötzlich begann auch sie mitzusprechen: »Ich kann es immer noch nicht verstehen, warum ich nicht mit zur Hochzeit fahren darf.«

      »Weil du zu jung bist«, antwortete Roxane sanft.

      »Zu jung«, erwiderte Marie böse, »das ist es nicht. Hochzeiten kann man auch mitmachen, wenn man nicht erwachsen ist. Es ist der Toilette wegen, und das finde ich so unglaublich kleinlich.« Da keine Antwort kam, schloß sie die Augen, allein die Erbitterung ließ sie nicht schlafen. Im Zimmer wurde es still. Eleonore war zu Bett gegangen, und Roxane saß vor ihrem Spiegel, bürstete ihr schönes, schwarzes Haar und schaute in das Licht der Kerzen. Das tat sie allabendlich, und seitdem sie verlobt war, dauerte es oft bis tief in die Nacht hinein. Heute aber erschien Marie diese Gestalt, die unermüdlich über das lange, schwarze Haar hinstrich und dabei in die Ferne starrte, herzbrechend traurig. Sie begann zu weinen.

      »Weinst du, Kleine?« fragte Roxane. Sie erhob sich und trat an Mariens Bett heran: »Warum weinst du?«

      »Weil du fortgehst«, schluchzte Marie, »und weil alles so traurig ist.«

      Roxane küßte die Stirn der Schwester: »Schlafe nur«, sagte sie, »so ist es nun zuweilen, und dann wird alles wieder gut und lustig.« Damit ging sie zum Spiegel zurück, und Marie drückte ihr Gesicht in die Kissen und weinte, bis sie einschlief.

      3

      Der Morgen der Abreise nach Karlstadt kam. Für Marie waren die vorhergehenden Tage schon unerfreulich gewesen. Die anderen waren so sehr beschäftigt, man sprach von Toiletten, von Koffern, von der Abfahrtszeit der Züge, nur sie hatte nichts zu tun, sie konnte mit den Erzieherinnen spazierengehen und allein dem Geschichtsvortrag des Professors Wirth zuhören. Als der Augenblick der Abfahrt kam, hing Marie an Roxanes Halse und weinte leidenschaftlich, aber sie war mit ihrem Schmerze ziemlich allein. Selbst Roxane, von der Erregung der Abfahrt hingenommen, brachte es zu keiner tieferen Rührung. So fuhren sie denn ab. Marie ging in ihr Zimmer, warf sich auf

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