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Stiche läßt, so muß der Wald herhalten.«

      »Denken Sie?« sagte die Fürstin und sah den Grafen hoffnungsvoll an. »Ich wußte gleich, Sie würden sich etwas ausdenken.«

      Der Major hatte seine Bücher geschlossen und erhob sich: »Darf ich jetzt zu den Arbeiten gehen?« murmelte er.

      »Gewiß«, erwiderte die Fürstin, »ich danke Ihnen, lieber Major«, und sie reichte ihm ihre Hand hinüber, die er küßte. »Sie sehen, es findet sich immer ein Ausweg.« Aber das Gesicht des Majors behielt seinen kummervollen Ausdruck, er verbeugte sich vor dem Grafen und verließ das Zimmer.

      Die Fürstin schaute wieder nachdenklich zum Fenster hinaus, und der Graf rieb seine Fingerspitzen aneinander. Beide schwiegen eine Weile und lauschten dem leisen Klingen, das durch die heiße Mittagsluft irrte. Endlich begann die Fürstin, als spräche sie zu sich selbst: »Wenn der Major all diese unangenehmen Dinge vorträgt, klingt aus seiner Stimme etwas Vorwurfsvolles. Aber ich kann nichts dafür, daß die Ziegelei nichts trägt, deshalb werde ich doch nicht meine Töchter hier auf dem Lande verstecken. Ich muß mit ihnen die Gesellschaften in Birkenstein und in Karlstadt besuchen, sie sollen doch heiraten. Eine unverheiratete Prinzessin ist nirgends am Platz. Unverheiratete Prinzessinnen kommen mir vor wie diese Perlenarbeiten, die Gouvernanten zum Geburtstage schenken, Lampenuntersätze oder Federwische, man wußte nie, wo man diese Dinge lassen sollte.«

      Das sonore Lachen des Grafen schreckte die Fürstin auf, sie schaute ihn einen Augenblick überrascht an, dann begann auch sie zu lachen. Gleich darauf wurde sie wieder ernst und seufzte: »Nein, nein«, sagte sie »mir ist nicht nach Lachen zumute.«

      »Unsere Prinzessinnen werden heiraten«, tröstete der Graf. »Der Anfang ist schon gemacht.«

      »Nun ja«, sagte die Fürstin zögernd, »mit Roxanes Verlobung kann ich zufrieden sein, der junge Mann ist sympathisch, aber diese Leute von drüben - was weiß man, das ist doch alles so fremd. Und ein Kind in diese unbekannte Ferne zu schicken, das ist schwer. Rußland, mein Gott! Das ist so dunkel und unbekannt wie - wie das Jenseits. Nun, Roxane ist kühl und vernünftig, die wird sich überall zurechtfinden. Da wird es meine Eleonore schwerer haben, sie ist so weich und leicht verwundbar, sehen Sie, das darf unsereins nicht sein. Und dann meine Jüngste, die ist meine größte Sorge. Mit ihren bald sechzehn Jahren noch so kindisch. Sie hat viel von ihrem Vater, dieses Unruhige, Unberechenbare. Dazu wächst sie hier auf dem Lande auf -«

      »Unsere Prinzessin Marie«, meinte der Graf, »wird es schon machen, sie hat ihren Kopf für sich und wird ihren eigenen Weg gehen.«

      »Aber Streith!« rief die Fürstin und schlug die Hände zusammen, so daß die Ringe leise aneinanderklirrten wie kleine Panzer. »Ihren eigenen Weg gehen? Wie kann eine Prinzessin ihren eigenen Weg gehen? Ihr Weg ist ihr vorgeschrieben, sie läuft wie auf Schienen, und kommt sie von denen ab, dann ist sie verloren.«

      »Also kleine Lokomotiven«, schlug der Graf vor und lächelte.

      »Lokomotiven«, wiederholte die Fürstin klagend, »wie wollen Sie, daß ich hier auf dem Lande Lokomotiven erziehe? Wenn ich als Mädchen einmal mit den anderen Mädchen lebhaft und amüsant sein wollte, dann sagte die Gräfin Breckdorff: ›Lassen Sie das, Prinzessin Adelheid, bei den anderen jungen Damen ist das ja ganz nett, aber bei Ihnen ist das nicht angebracht.‹ Wie sollen die Mädchen hier auf dem Lande lernen, was alles nicht angebracht ist? Wie soll ich das machen? Wer hilft mir?«

      Der Graf beugte sich ein wenig vor und sagte streng: »Und ich?«

      »Ja, Sie, Streith«, erwiderte die Fürstin, »natürlich Sie. Schon in Birkenstein, wenn es Unannehmlichkeiten gab, sagte ich immer: ›Streith wird sich etwas ausdenken.‹ Und diese Gewohnheit habe ich noch immer.« Sie hatte ihn dabei freundlich angesehen, und der Blick ihrer Augen blieb träge und nachdenklich auf ihm ruhen.

      Der Graf lehnte sich befriedigt in seinen Stuhl zurück und meinte: »Das will ich hoffen.« Dann erhob er sich. »Ich will in den Wald fahren«, sagte er, »und sehen, was zu machen ist.«

      »Kommen Sie zum Diner herüber?« fragte die Fürstin.

      »Wenn ich darf«, sagte der Graf.

      »Ja, kommen Sie«, erwiderte die Fürstin, »man unterhält sich dann, man braucht nicht an Geld zu denken, vielleicht kann man dann ein wenig zusammen lachen.«

      Der Graf küßte die Hand der Fürstin und ging. -

      Die Fürstin saß noch einen Augenblick matt und mutlos da, obgleich dieser Raum mit seinem Geruch von Tinte und staubigen Kontobüchern, mit dem verstimmten Summen der großen Brummfliege ihr unendlich zuwider war. Endlich entschloß sie sich, das Zimmer zu verlassen. Sie ging die lange Zimmerflucht des Hauses hinab. Alles war still, denn um diese Zeit pflegten die Hausgenossen sich zur Mittagsruhe zurückzuziehen. Nur im großen Saal ging Böttinger, der alte Kammerdiener, mit dem weißen Haar und dem weißen, faltigen Gesichte, leise ab und zu, um zu sehen, ob die Vorhänge alle der Mittagssonne wegen herabgelassen waren. Die Fürstin blieb stehen und schaute nachdenklich die bronzefarbenen Atlasbezüge der Stühle an. »Böttinger«, sagte sie, »ich denke, den neuen Möbeln lassen wir bis zum Nachmittage die leinenen Überzüge, ich fürchte, die Sonne schadet ihnen doch.«

      »Wie Hoheit befehlen«, murmelte Böttinger.

      Die Fürstin ging weiter bis in ihr Boudoir, hier atmete sie auf, hier in dem kleinen Raume mit den niedergelassenen, gelbseidenen Vorhängen, in dem es süß nach den großen, welkenden Rosen in der Kristallschale duftete, hier wehte die Luft, die sie zu atmen gewohnt war, und die widerwärtigen Eindrücke des Büros fielen von ihr ab. Sie streckte sich auf ihre Couchette aus, griff nach dem englischen Roman, schlug ihn jedoch nicht gleich auf, sondern schloß die Augen, um eine Weile das Wohltuende der ruhevollen Lebenslage zu genießen. Man muß doch, dachte sie, aus seinem eigentlichen Leben sozusagen herausschlüpfen, um einen guten Augenblick zu genießen.

      2

      Drüben im Obstgarten saßen die Prinzessinnen beieinander. Sie liebten es, um diese Stunde, in der die Erzieherinnen ihre Mittagsruhe hielten, sich dort zusammenzufinden. In einer viereckigen Einsenkung des Bodens standen hier die Stachelbeerbüsche, Johannisbeerbüsche, Himbeerbüsche und einige Obstbäume, prall schien die Mittagssonne auf sie nieder, es duftete nach heißen Blättern und heißen Früchten, und von dem höher gelegenen Gemüsegarten trug ein Windhauch zuweilen die strengen Gerüche der Sellerie und Porree herüber. Auf dem Abhang unter einem alten Pflaumenbaum hatten die drei Mädchen sich gelagert. Sie trugen alle drei weiß und rot gestreifte Batistkleider und kleine weiße Strohhüte. Roxane saß aufrecht, den Rücken gegen den Stamm des Baumes gelehnt, die Hände im Schoß gefaltet und schaute gerade vor sich hin in das Flimmern des Mittags hinein. Sie hatte die feierliche Schönheit ihrer Mutter, die großen braunen Augen, doch nahm die strenge Reinheit der Züge in dem jugendlichen Gesichte eine fast ausdruckslose Beruhigtheit an. Eleonore lag im Schatten des Baumes und starrte zum Himmel hinauf. Ein blühendes, rundes Gesicht, in dem die Sphinxaugen der Mutter zu freundlichen, braunen Mädchenaugen geworden waren. Ganz im vollen Sonnenschein hatte sich Marie, die Jüngste, ausgestreckt. Sie lag auf dem Bauche, stützte den Kopf in die Hand, hämmerte mit den Spitzen ihrer gelben Schuhe Löcher in den Rasen und aß einige unreife Pflaumen, die vom Baum gefallen waren. Für ihre sechzehn Jahre war die Gestalt seltsam unentwickelt, schmächtig und eckig, und das Gesicht war ein breites Kindergesicht mit roten Backen und weit offenen, blauen Augen. Das krause, honiggelbe Haar fiel in die kurze Stirn hinein. Alle drei hatten eine Weile geschwiegen, das grelle Licht, der starke Duft machten die Köpfe schwer und gaben den Gedanken eine müde Stetigkeit, wie wir sie vor dem Einschlafen empfinden, wenn die Gedanken sich anschicken, Träume zu werden. Plötzlich schaute Marie zu Roxane auf, spie einen Pflaumenkern weit von sich und fragte: »Denkst du jetzt auch an deinen Großfürsten?«

      Roxane zog ein wenig die Augenbrauen hinauf und antwortete ablehnend: »Was du nicht alles fragst.«

      »Nun ja«, fuhr Marie fort, »ich meine nur, du hast jetzt etwas, an das du denken kannst. Wir nicht.«

      Roxane überhörte

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