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er hatte ihn erkannt: Es handelte sich um Dr. Roland Krohnhorst, einen pensionierten Regierungsrat, der in der Gegend Jagdpächter war.

      »In welchem Verhältnis standen Sie zu dem Toten?«, fragte Philipp. Der Naturschutzwart zögerte einen Moment. »Verhältnis? Ich hab den nur flüchtig gekannt. Wir trafen uns gelegentlich hier draußen.«

      »Sie sind doch sicher oft hier?«

      »Ja, schon. Wir vom Heimatverein kümmern uns ja um das Gebiet. Die Biber breiten sich hier im ganzen Tal aus. Überall bauen sie Staudämme, es entstehen große Seen. Und dann …«

      »Der Herr Krohnhorst, war der auch so begeistert von den Bibern?«

      Pölzner lachte verlegen. »Na ja, die Biber sind jetzt nicht gerade sein größtes Hobby – gewesen. Aber er musste natürlich auch einsehen, dass sie hier vieles verbessern: Wir haben, seit die Biber da sind, mehr Fische und Insekten. Es gibt hier Prachtlibellen, die waren früher nie hier, wir haben sogar die Europäische Seekanne beobachtet, die steht auf der Roten Liste und …«

      »Ja, interessant«, unterbrach Philipp ihn. »Noch mal zu Dr. Krohnhorst: Gab es da Konflikte wegen der Biber?«

      »Wie … äh … was für Konflikte?«

      »Na ja, diese ganzen Stauseen, das verändert ja die Landschaft. Man kommt nicht mehr so gut durch.«

      »Gut, ja, das fand er wohl nicht so toll. Etwas weiter oben steht tatsächlich ein Ansitz unter Wasser. Aber die Tiere sind hier geschützt, da gibt es Gesetze, und gerade in diesem Gebiet soll speziell der Biber machen können, was er will.«

      »Es gab also Streit.«

      »Das habe ich nicht gesagt.«

      »Aber Sie haben doch gesagt, dass Dr. Krohnhorst die Biber nicht so toll fand. Woher kommt denn diese große Kerbe in den Damm?«

      »Ja, die hat wohl irgendwer da reingemacht.«

      »Vielleicht Dr. Krohnhorst?«

      Pölzners Gesicht war zunehmend rot geworden. Obwohl es im Polizeibus nicht gerade warm war, glänzte seine Stirn. Er sah hilfesuchend zu Sylke rüber, aber Sylke schwieg und beobachte ihn mit einem sphinxhaften Lächeln.

      »Ich weiß es nicht«, sagte Pölzner schließlich.

      »Aber Sie vermuten es.«

      »Nein, ich weiß es nicht. Und ich will es auch nicht vermuten.«

      »Wissen Sie, was ich glaube? Ich glaube, …«

      Es war der Moment, in dem Sylke nicht mehr stillsitzen konnte. Sie griff Philipps Unterarm. »Lass uns draußen kurz weiterreden, ja?«

      Mittlerweile war es beinahe dunkel geworden. Die Luft war kühl, fast schon winterlich kalt. Sylke schloss die Schiebetür des Polizeifahrzeugs. »Was war das denn jetzt? Du legst einem Zeugen lauter Dinge in den Mund und dann setzt du an zu einer Beschuldigung? Ist dir klar, was du damit anrichtest?«

      Philipp verzog trotzig den Mund. Sylke fuhr mit ihrer Strafpredigt fort. »Wenn du ihn beschuldigst, musst du ihn darüber informieren, dass du ihn als Beschuldigten betrachtest. Du musst ihm seine Rechte erklären. Sonst ist alles, was du hier besprichst, hinfällig. Du bekommst einen Riesenärger mit der Staatsanwaltschaft.«

      »Du weißt doch gar nicht, was ich sagen wollte. Ich hätte ihm als Nächstes erklärt, dass ich seine Rolle bei dieser Sache für unklar halte und ihn ab sofort als Beschuldigten führe.«

      Sylke schüttelte den Kopf. »Das ist doch Blödsinn! Es ist viel zu früh. Wir haben kein gerichtsmedizinisches Gutachten, keine Spurenuntersuchung, wir wissen nichts. Und du willst den armen Mann hier gleich zum Täter stempeln? Dann taucht der morgen mit seinem Anwalt auf und sagt kein Wort mehr. Abgesehen davon, dass du suggestiv vorgehst, verschlechterst du so deine Position. Selbst wenn du das Gefühl hast, er könnte der Täter sein – warte ab. Lass dir nicht sofort in die Karten schauen! Solange er denkt, dass wir nur seine Unterstützung benötigen, sagt er vielleicht interessante Dinge.«

      »Um sich selbst zu entlasten.«

      »Das kannst du dann ja einordnen, oder?«

      Sie trat einen Schritt zurück und betrachtete den jungen Beamten, der nervös seinen Bart bearbeitete. Sylke hatte beinahe Mitleid. Aber nur beinahe. »Ist nicht dein bester Tag heute, was?«

      Er zuckte mit den Schultern. Sie gab ihm einen aufmunternden Stoß. »Pass auf. Du gehst jetzt wieder in den Bus, bedankst dich für die Aussage, und für morgen bekommt er noch mal eine höfliche Einladung aufs Revier.«

      »Du willst ihn einfach so laufen lassen? Wir müssen noch nach seinem Umfeld fragen. Wer ist außer ihm hier noch aktiv? Wer hat was gegen Krohnhorst? Pensionierter Regierungsrat – hier gibt’s bestimmt noch Leute, die ihn nicht mögen.«

      »Das machen wir alles morgen.«

      »Wir?«

      »Ich meinte natürlich: ihr.«

      Sylke wandte sich abrupt ab. In diesem einen Punkt hatte Philipp recht: Sie musste sich raushalten. Unbedingt. Sonst würde sie am Ende noch für die unprofessionell geführten Ermittlungen mitverantwortlich gemacht. Sie sah zu, wie er wieder im Polizeibus verschwand, und ging ein paar Schritte den Hang hinauf, bis knapp unter die Hügelkuppe. Von dort oben wirkte die Szenerie rund um den Fundort der Leiche unwirklich. Das kalte Licht der Scheinwerfer ließ die Gestalten in den weißen Schutzanzügen aussehen, als wären sie von innen erleuchtet. Über der Fundstelle war ein Schutzzelt aufgebaut worden, die Beamten untersuchten das Opfer und durchkämmten das Unterholz, zwei Bestatter warteten am Rand des Geschehens auf ihren Einsatz. All das löste bei Sylke ein gewisses Kribbeln aus, das sie nur zu gut kannte. Da war Empathie mit dem Opfer, da war auch der Wunsch nach Gerechtigkeit, nach dem Finden eines gefährlichen Täters. Vor allem aber hatte sie ein dringendes Bedürfnis, das Wirrwarr von Informationen zu ordnen, die nebeneinander laufenden Aktivitäten zu steuern, ihnen Struktur und Richtung zu geben. Ordnung in eine Ermittlung bringen, jeden Schritt zur richtigen Zeit tun, wie ein Wanderer, der sich auf einem schmalen Grat bewegt – das empfand sie als zutiefst befriedigende Tätigkeit. Und da lag wohl auch der eigentliche Grund dafür, dass sie sich auf Umwegen bis zur Kriminalpolizei durchgeschlagen hatte: Sie wollte etwas verstehen, das im ersten Moment unbegreiflich erscheint. Und sie hatte große Lust, die Zügel in diesem Fall selbst in die Hand zu nehmen.

       5

      Als Tom aus dem Mietwagen stieg, hatte er sich verwandelt: Anstatt eines abgetragenen Pullovers trug er ein gebügeltes, dunkelgrünes Hemd und sein einziges Jackett. Am Morgen hatte er sich sorgfältig rasiert, gekämmt und mit Haargel eine stilvolle Frisur gebastelt. Seine Lederschuhe waren geputzt und entgegen aller Gewohnheit saß eine Brille mit Goldrand auf seiner Nase. Die Gläser hatten keine Funktion, aber die Brille ließ ihn deutlich seriöser erscheinen, also ungefähr so, wie er sich einen Investor mit viel Geld vorstellte. Als Leihwagen hatte er sich ein Fahrzeug der Oberklasse geleistet. Tanja Grundler würde sich über seine Spesenrechnung die Haare raufen.

      Die Starkwind AG hatte ihren Hauptsitz in Anklam, unterhielt aber auch Niederlassungen in Frankfurt (Oder) und Potsdam. Das Unternehmen plante Windparks, meistens im Auftrag von Energiekonzernen oder Investoren. Das Dienstleistungsangebot umfasste außerdem die technische Überwachung des laufenden Betriebs, Instandhaltung und Reparaturen. So stand es jedenfalls auf der Internetseite, mit der sich Tom gründlich beschäftigt hatte.

      Das Unternehmen war in einem unauffälligen, weißen Zweckbau am Stadtrand untergebracht, vermutlich noch aus der Vorwende-Zeit, aber grundlegend saniert und sehr gepflegt. Auf dem Flachdach erkannte Tom aufgeständerte Solarpanels. Er sah sich kurz auf dem rückwärtigen Parkplatz um, bevor er sich auf den Weg zum Haupteingang machte und sich am Empfang meldete. Wenig später stand ein Mittvierziger mit gelocktem Haar und leichtem Bauchansatz vor ihm und reichte ihm die Hand.

      René Jagel trug keine Krawatte, aber ein seidig glänzendes Hemd mit Stehkragen und eine Jeanshose, die so aussah,

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