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Weiterwohnlichkeit der Welt. Группа авторов
Читать онлайн.Название Weiterwohnlichkeit der Welt
Год выпуска 0
isbn 9783863936129
Автор произведения Группа авторов
Жанр Философия
Издательство Bookwire
II.
Die vorsichtig-tastende Nähe, wie sie in Jonas’ und Scholems persönlichen Zeugnissen aufscheint, hat sich offenbar nach Jonas’ Übersiedlung nach Kanada 1949 nie wieder eingestellt. Statt dessen sollte es schon bald zu einem Konflikt kommen, der ihre Beziehung dauerhaft überschattete. Zunächst ging es dabei konkret um die Frage nach der Treue gegenüber dem Zionismus und dem jungen Staat Israel. Jonas war nach seinem Militärdienst 1945 nach Palästina zurückgekehrt, fand jedoch keine akademische Wirkungsmöglichkeit und wurde 1948 bei Ausbruch des israelischen Unabhängigkeitskrieges sofort wieder eingezogen. 1949 übersiedelte er daher mit seiner Familie nach Kanada, sein weiterer Weg führte ihn dann von dort 1955 als Professor an die New School for Social Research nach New York. Dort fiel die endgültige Entscheidung, die Perspektive eines Lebens und philosophischen Lehrens in Jerusalem aufzugeben und sein Glück auf dem amerikanischen Kontinent zu versuchen. Als Jonas 1951 einen Ruf als Philosophieprofessor an die Hebräische Universität Jerusalem, für den sich Scholem persönlich eingesetzt hatte, aus familiären Gründen und weil er in den USA bereits Fuß gefaßt hatte, ablehnte, kam es zu einem scharfen Streit, in dessen Verlauf der Vorwurf des „Verrats am Zionismus“ laut wurde, den Scholem ihm über Jahrzehnte halb ernst, halb scherzhaft vorhielt.36 Was blieb, war eine zwiespältige Freundschaft, die sich fortan in einer eigentümlichen Mischung aus Zuneigung, Ironie und Streitbarkeit Ausdruck verschaffte. Mit der Zeit kam es dann zu Differenzen, die sachlich mit der unterschiedlichen Entwicklung der Forschungsschwerpunkte beider Gelehrter zu tun hatte. Jonas hatte die Gnosisforschung zu dieser Zeit längst hinter sich gelassen, um sich ganz seiner neuen Philosophie des Organischen zu widmen. Zwar wurde er auf Grund des Ruhmes seines Gnosiswerkes noch gelegentlich zu wichtigen Kongressen eingeladen, doch er verfolgte die Entwicklungen innerhalb der Disziplin nur noch am Rande, so daß die Forschung, wie er bereitwillig zugestand, in der Fülle der Details der religionsgeschichtlichen Quellenerschließung und -deutung rasch über ihn hinwegschritt.37 Im Zentrum der heftigen Dissonanzen zwischen beiden Gelehrten stand die vieldiskutierte und nach wie vor kontroverse Frage nach dem Verhältnis von Gnosis und Judentum, also immerhin einer der zentralen Aspekte der Bestimmung des Wesens und Ursprunges der gnostischen Bewegung. Seit dem neunzehnten Jahrhundert hatten sich auch jüdische Forscher mit dieser Frage auseinandergesetzt und entweder – so Heinrich Graetz – einen gnostischen Einfluß auf rabbinische Traditionen oder umgekehrt einen jüdischen Einfluß auf die Gnosis vorausgesetzt.38 Unter dem Einfluß der Religionsgeschichtlichen Schule hatte sich die Aufmerksamkeit jedoch vom Judentum hin zur iranischen Religion verlagert – der sogenannte orientalisierende Ansatz, der auch Hans Jonas prägte.39 Er postulierte von Beginn an eine dialektische, letztlich jedoch durch einen fundamentalen Gegensatz geprägte Beziehung zwischen jüdischer und gnostischer Religion. Er bestritt zwar nicht, daß sich die Gnosis jüdischer Motive und Elemente bediente, und wollte auch einen Zusammenhang der Gnosis mit einem heterodoxen okkulten Judentum nicht ausschließen, akzentuierte aber den antijüdischen Impetus, den er in ihrem vehementen Antinomismus und in der Identifikation des verhaßten gnostischen „Demiurgen“ Jaldabaoth mit dem Gott der Hebräischen Bibel verspürte. Der juden- und judentumsfeindliche Affekt galt Jonas als wesentliches Merkmal der gnostischen Rebellion gegen die Vorstellung von einer nach dem Ebenbild Gottes gestalteten guten Schöpfung. Daß die Gnosis in Gegensatz zum Judentum trat und „an dem jüdischen Weltgott ihr ganzes angesammeltes Ressentiment ausließ“, war aus seiner Sicht gerade das untrügliche Kennzeichen ihres revolutionären Charakters, der in der antidualistischen Natur des jüdischen Monotheismus seinen natürlichen Widerpart finden mußte.40 Jonas wußte sich darin mit Scholem einig, der ihm gegenüber in den dreißiger Jahren bei einem Gespräch in Jerusalem die Gnosis als bedeutendsten Entwurf eines – nicht gegen das jüdische Volk, sondern gegen den jüdischen Gott gerichteten – „metaphysischen Antisemitismus“ bezeichnet hatte.41 Diese Einschätzung wirkt bis heute nach, wenn etwa Micha Brumlik vermutet, es sei „historisch kein Zufall […], daß Antijudaismus und Antisemitismus bis heute von gnostischem Denken zehren“, da die Gnosis das Judentum auf Grund