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Beschäftigung mit dem Gegenstand dar.4 Albert Schweitzer, einer der wahrhaft innovativen Paulusforscher zu Beginn dieses Jahrhunderts, hat dieses Buch von Wrede nicht allein der Theologie zugerechnet, sondern sogar der Weltliteratur.5 Auch Wrede betont den großen Abstand des Paulus zu Jesus. „Jesus weiß von dem, was für Paulus das ein und alles ist, – nichts.“6 Für Paulus ist das Zentrum der Verkündigung der Zusammenhang von geschichtlich-übergeschichtlichen Taten Gottes: Menschwerdung Jesu, Tod und Auferstehung des präexistenten Christus. Der historische Jesus, so wie er wirklich war, tritt für Paulus demnach ganz in den Hintergrund. Paulus hat, so Wrede, die Erscheinung Jesu mit Ideen von Christus aufgefasst, die ganz unabhängig vom Menschen Jesus entstanden sind. Wie soll das möglich gewesen sein? Nach Wrede glaubte Paulus bereits an ein göttliches Himmelswesen, an einen Christus, ehe er an Jesus glaubte. Er trug das Bild des Messias bereits mit sich und in seiner Bekehrung, in der Begegnung mit dem Auferstandenen, übertrug er dieses Bild auf den Menschen Jesus. Der Mensch Jesus wird hierbei von dem Bild, das Paulus zuvor bereits hatte, völlig subsumiert. Wrede spricht von einem objektiven Abstand der paulinischen Lehre zur Predigt Jesu. Da aber sowohl Jesus als auch Paulus unabhängig voneinander und mit unterschiedlichen Zielsetzungen wirkten, spricht Wrede von Paulus als dem zweiten Stifter des Christentums. „Dieser zweite Stifter der christlichen Religion hat ohne Zweifel gegenüber dem ersten im ganzen sogar den stärkeren – nicht den besseren – Einfluß geübt“7. Was Paulus lehrte, war, so Wrede, im Übrigen nicht mehr eine Form des jüdischen Glaubens, sondern eine „Religion mit eigenem Prinzip dem Judentum gegenüber“8.

      Ein dritter Hinweis, wieder ein Abstand von zwei Generationen. Der Marburger Theologe Rudolf BultmannBultmann, Rudolf (1884–1976) eröffnet seine 1953 erschienene „Theologie des Neuen Testaments“ mit dem Satz: „Die Verkündigung Jesu gehört zu den Voraussetzungen der Theologie des NT und ist nicht ein Teil dieser selbst.“9 „Christlichen Glauben gibt es erst, seit es ein christliches Kerygma gibt, d.h. ein Kerygma, das Jesus Christus als Gottes eschatologische Heilstat verkündigt, und zwar Jesus Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen.“10 War dies der erste Satz, den Bultmann in seinem Werk überhaupt und nun speziell über Jesus sagt, so lautet der erste Satz im Teil über Paulus: „Die geschichtliche Stellung des Paulus ist dadurch bezeichnet, daß er […] die theologischen Motive, die im Kerygma der hellenistischen Gemeinde wirksam waren, zur Klarheit des theologischen Gedankens erhoben, die im hellenistischen Kerygma sich bergenden Fragen bewußt gemacht und zur Entscheidung geführt hat und so zum Begründer einer christlichen Theologie geworden ist“11.

      Diese forschungsgeschichtlichen Hinweise können hier genügen. Sie haben im Verweis auf drei bedeutsame Positionen – Baur, Wrede, Bultmann – zunächst auf einen grundsätzlichen Sachverhalt aufmerksam gemacht: Im Zentrum des christlichen Glaubens steht Jesus, aber eben nicht als der Prediger oder Lehrer, sondern sein Geschick in Tod und Auferweckung sowie der Verweis auf die himmlische Herkunft und zukünftige Wiederkunft als Kyrios, und dies wiederum in unterschiedlichen theologischen Deutungen. Dem ist im Kern zuzustimmen. Es hat in der Frühzeit kein Christentum gegeben, das die Schwerpunkte hier deutlich anders gesetzt hätte. Die Rückkehr zu einer einfachen Nachfolge Jesu ohne diesen ganzen „mythologischen“ Überbau ist eine neuzeitliche, moderne, romantisierende Vorstellung. Gemeinsam haben die drei vorgestellten Positionen betont, dass Paulus wohl der erste Theologe im Urchristentum ist, der in großer Konsequenz in seiner Verkündigung und in seinen Briefen versucht hat, die Fragen individueller menschlicher Existenz und überindividueller Heilsgeschichte durchgehend auf das Christusereignis zu beziehen und denkend zu bewältigen.

      Freilich ist die strikte Gegenüberstellung von Jesus und PaulusJesus und Paulus in mancherlei Hinsicht revisionsbedürftig. Sie ist historisch simplifizierend, von Wrede und von Bultmann daher als historische Kategorie schon aufgegeben worden. Zwischen Jesus und Paulus steht, so Wilhelm Heitmüller und Wilhelm Bousset in Veröffentlichungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts12, die sog. hellenistische Gemeindehellenistische Gemeinde.13 Sie ist der eigentliche Nährboden auch der paulinischen Theologie. Paulus tritt nach seiner Berufung in christliche Gemeinden ein, eben in die hellenistischen, d.h. bereits heidenchristlich geprägten christlichen Gemeinden in den Städten Damaskus, Tarsus und AntiochiaAntiochia, und empfängt hier die primäre Gestalt christlicher Theologie, die ihn langfristig prägt. Die absolute Gegenüberstellung von Jesus und Paulus lässt sich zudem von einer problematischen, gleichfalls historisch simplifizierenden Gegenüberstellung der Größen Judentum – Christentum leiten. Je orientalisch-synkretistischer man die hellenistische Gemeinde und je hellenistischer man Paulus dachte, umso mehr konnten sie beide vom Judentum distanziert werden und diese Ablösung wurde nicht selten mit entwicklungsgeschichtlichen Kategorien wie denjenigen der Ablösung, Befreiung und Vollendung der wahren Religion verbunden. Zweifelsfrei umgibt Jesus in seiner Zeit ein Judentum, das vielfältig ist und unterschiedlichen Richtungen und Gruppierungen Raum gibt. Jedoch lebt auch Paulus im Judentum seiner Zeit.14 Wir haben die jüdische Matrix seiner Theologie wiederentdeckt, wenn auch noch nicht umfassend bestimmt. Eine definitive Trennung der Kirche von Israel bzw. der Synagoge von der Kirche hat sich in manchen Kirchengebieten erst zum Ende des zweiten Jahrhunderts vollzogen.15 Das schon klassische, allerdings bis in die Gegenwart hinein von Juden und Christen vertretene Leitbild eines Paulus, der sein Judentum hinter sich ließ, um eine neue Religion zu gründen, kann so nicht nachvollzogen werden.16 Jedoch habe ich Zweifel, ob eine Repatriierung des Paulus in die jüdische Glaubensgeschichte, eine Heimholung des Ketzers – so Stefan Meißner in einer gelehrten Doktorarbeit 17 – der anstehenden Problemlage gerecht wird.

      Die Beantwortung der Frage „Ist Paulus der Begründer des Christentums?“ kann sich nicht mehr von einer einfachen Entgegensetzung Jesus – Paulus oder Judentum – Paulus leiten lassen. Wir müssen weiter ausholen.

      II. Der historische Standort des Paulus

      Über Paulus erfahren wir vornehmlich etwas durch seine erhalten gebliebenen sieben Briefe an urchristliche Gemeinden bzw. an eine Privatperson sowie durch die Apostelgeschichte des Lukas, die zwar in einem Abstand von gut zwei Generationen zu Paulus verfasst worden ist, aber doch viele wertvolle Informationen bietet.1 Paulus hat mehr Briefe als die genannten geschrieben (1 Kor 5,9; Kol 4,16; als Problem auch 2 Thess 2,2). Sie sind wohl früh verlorengegangen, erhalten blieben diejenigen, die in den Gemeinden nicht verdrängt, sondern bald mehrfach kopiert wurden. Die Klassifizierung dieser BriefeBriefe als Gelegenheitsschreiben, die auf Anfragen aus den ersten christlichen Gemeinden, auf Nachrichten und Probleme eingehen, ist verkürzend. Diese Briefe sind von Paulus wohl für konkrete Gemeinden geschrieben worden; der theologische Anspruch der Briefe geht jedoch, was bei den Briefen an die Römer, Galater und dem zweiten Brief an die Korinther leicht erwiesen werden kann, erheblich über alle situativen Bedingtheiten hinaus. Mit diesem Medium Brief wird eine Kommunikationsform in Anspruch genommen, welche die bereits im Evangelium und seiner Verkündigung angelegte Kommunikation aufnimmt und fortsetzt.2 Im Vergleich zum antiken Brief sind die Briefe des Paulus in der Regel erheblich länger, sie werden daher in rhetorischer Hinsicht gerne nach Vorgaben antiker Reden analysiert. Wir sind also gezwungen, mit Hilfe dieser sieben Briefe, die etwa in einem Zeitraum von gut sieben Jahren verfasst worden sind und aus dem letzten Lebensabschnitt des Paulus stammen, dessen Theologie zu rekonstruieren. Ein schwieriges Unterfangen, wenn man bedenkt, wir sollten aus sieben von uns geschriebenen Briefen rekonstruieren, was unser Denken bestimmt hat. Der Vergleich hinkt allerdings: der antike Autor hat für die Abfassung eines Briefes (und der Reden allemal) einen enormen Aufwand an vorhergehender Sammlung der Argumente und ihrer Disposition sowie ihrer sprachlichen Ausformung und rhetorischen Darlegung getrieben, so dass den Briefen des Paulus fraglos die Funktion eines verlässlichen Schlüssels zu seiner Theologie zukommt.3 Dennoch bleiben sie so etwas wie die Spitze eines Eisbergs.

      Gewiss kann man mehr über Paulus erfahren, wenn man den prägenden religiösen und kulturellen Hintergrund möglichst präzise erfasst. Nun ließe sich dies darstellen als eine Geschichte eines mehrfachen Paradigmenwechsels. Paulus erscheint wie ein Wanderer zwischen verschiedenen Welten. Gehört er mehr in den palästinisch-jüdischen oder mehr in den griechisch-hellenistischen Kulturraum? Oder ist er vornehmlich ein römischer Bürger, der recht konsequent nur dort Gemeinden gründet, wo sich größere römische Siedlungen befinden? Man hat in Paulus einen Rabbi gesehen, der in Jerusalem eine pharisäische Schulbildung genossen hat. Man hat seine Sakramentstheologie

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