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      Kapitel 3 bis Kapitel 5 enthält die empirische Untersuchung, die den Kern der vorliegenden Arbeit bildet. Die Beschreibung des Tandemgesprächs als eine besondere kommunikative Gattung wird in Kapitel 3 vorgenommen. Der erste Analyseteil untersucht – ausgehend von der sprachwissenschaftlichen Gattungstheorie – den Wechsel vom Alltagsgespräch zur Lehr-Lern-Sequenz. Im nächsten Schritt erfolgt die Analyse des Wechsels von der Lehr-Lern-Sequenz zum Alltagsgespräch. Das zielt darauf ab, ein allgemeines Bild über die Interaktionsabläufe im Tandem für das Sprachenlernen zu gewinnen. Dabei ist festzustellen, dass das Tandemgespräch sich durch den ständigen Wechsel zwischen dem alltäglichen Gespräch und der Lehr-Lern-Aktivität auszeichnet.

      In Kapitel 4 wird auf das konversationelle Erzählen fokusiert, um die Interaktionssequenzen im chinesisch-deutschen Tandem in meinem Korpus detailliert zu analysieren. Anhand der einschlägigen Theorien in der bisherigen Erzählforschung und meiner empirischen Daten wird zunächst ein Modell zur Analyse konversationeller Erzählungen der chinesischen Lerner im Tandem entwickelt. Anschließend erfolgt die Sequenzanalyse der relevanten Ebenen bezüglich der Erzählstruktur, nämlich Erzählanfang, Dramatisieren (Redewiedergabe), Detaillierung und Erzählbeendigung. Dabei wird aufgezeigt, wie die chinesischen Lerner ihre Erzählungen aufbauen. Sowohl Kompetenzen als auch Defizite bzw. spezifische lernersprachliche Gestaltungen im Tandem werden dadurch ausführlich veranschaulicht.

      In Kapitel 5 wird der analytische Fokus im Anschluss an die Untersuchung der Erzählkompetenzen und Erzähldefizite der chinesischen Lerner um eine weitere Ebene erweitert und die Rolle der muttersprachlichen Tandempartner gezielt betrachtet. In Anlehnung an das sogenannte Scaffolding-Konzept werden die Verhaltensweisen der Muttersprachler bei der lernerseitigen Durchführung der Erzählungen untersucht. Es wird einerseits gezeigt, wie sie die chinesischen Lerner unterstützen, mit ihnen zusammen die Erzählungen aufbauen und welche Verfahren sie dabei einsetzen. Andererseits werden auch die in der Untersuchung verdeutlichten Defizite der muttersprachlichen Gesprächspartner erläutert. Neben der zentralen Rolle der Muttersprachler beim Scaffolding sind die lernerseitigen Aktivitäten ebenfalls wichtig. Schlussendlich basiert eine konversationelle Erzählung auf partnerschaftlicher Zusammenarbeit. In Anbetracht der Bedeutung der gegenseitigen Kooperation für das Gelingen der muttersprachlichen Scaffolding-Verfahren werden die Aktivitäten der chinesischen Lerner dabei diskutiert. Daher ergibt die Analyse der Scaffolding-Verfahren wichtige Einblicke in die Möglichkeiten und Grenzen des Sprachenlernens im Tandem.

      Kapitel 6 beinhaltet abschließend eine Zusammenfassung der erarbeiteten Ergebnisse. Es wird auf die Potenziale und Probleme beim Sprachenlernen im Tandem, wie sie die konversationsanalytische Untersuchung aufweist, eingegangen. Hier wird die Situation der Tandempraxis anhand meiner empirischen Daten sowie der teilnehmenden Beobachtung zusammengefasst und zur Beantwortung der gestellten Forschungsfragen herangezogen. Davon ausgehend erfolgt der Vorschlag von Supervision für das Sprachenlernen im Tandem, die zur Förderung des Lernens im Tandem in Zukunft ausgebaut werden sollte.

      1 Lehr- und Lernpotenziale von Interaktionen

      1.1 Zum Begriff Interaktion

      Interaktion ist laut Fremdwörterbuch (Duden Band 5, 4. Auflage 1982, S. 350f.) als aufeinander bezogenes Handeln zweier oder mehrerer Personen zu verstehen. Das heißt, dass die daran Beteiligten auf den anderen reagieren und einander beeinflussen. Nach Kotthoff (2012: 1) bezieht sich die Interaktion nicht nur auf Sprechen und Hören, sondern auch auf Lesen und Schreiben, z.B. bei elektronischen Kommunikationsformen wie „e-mail“ oder „chat“. Jedoch stellt das Gespräch die hauptsächliche Erscheinungsform von Interaktion dar.

      Edmondson und House (2003: 242) unterscheiden „verdeckte“ Interaktion von „offener“ Interaktion. Mit „verdeckter“ Interaktion ist ein kognitiver Verarbeitungsprozess bei sprachlichen Handlungen wie Lesen oder Schreiben gemeint. Beim Lesen ereignet sich zum Beispiel die Interaktion zwischen einem Text und einer Person. Der sich daraus ergebende kognitive Verarbeitungsprozess ist nicht zugänglich. Unter „offener“ Interaktion werden gemeinhin Interaktionen wie zum Beispiel Unterrichtsinteraktionen, die direkt beobachtet werden können, verstanden.

      In den sprachwissenschaftlichen Untersuchungen wurden in den letzten 30 Jahren hauptsächlich die beobachtbaren Abläufe der offenen Interaktion in die Forschung einbezogen, während die mit Kognition verbundene verdeckte Interaktion aufgrund ihrer schweren Zugänglichkeit weniger berücksichtigt wurde.

      1.1.1 Interaktion und Zweitspracherwerb

      Unter Zweitspracherwerb versteht man den Prozess, bei dem ein Mensch sich neben der ersten Sprache eine zweite oder weitere Sprache aneignet. Dieser Prozess kann in der späten Kindheit, in der Jugend oder im Erwachsenenalter geschehen, wenn die Erstsprache erworben wurde. Je nachdem unter welchen Bedingungen eine neue Sprache erlernt wird, unterscheidet man zwischen den Begriffen Zweitsprache und Fremdsprache. Mit Zweitsprache wird in der Regel die Sprache bezeichnet, die zum alltäglichen Gebrauch lebensnotwendig ist. Die Sprecher leben z.B. in einem Kontext, wo vorwiegend diese Sprache gesprochen wird. Um an den sozialen, akademischen, politischen und wirtschaftlichen Aktivitäten teilzunehmen, sollten sie diese Sprache beherrschen. Im Gegensatz dazu ist unter Fremdsprache die Sprache zu verstehen, die man normalerweise im Kontext der eigenen Kultur lernt. Das heißt, die Lerner haben oft wenige Gelegenheiten oder Bedürfnisse, sich an den Aktivitäten in der fremdsprachlichen Gesellschaft zu beteiligen. Da der Fokus der vorliegenden Arbeit in der Rolle der Interaktion für das allgemeine Lernen einer neuen Sprache liegt, werden die beiden Begriffe (Zweitsprache und Fremdsprache) hier nicht extra differenziert. Das heißt, das Wort „Zweitsprache“ wird, wie in der Forschung üblich, für jede Sprache gebraucht, die nicht die erste Sprache des Lerners ist.

      Die Forschung zum Zweitspracherwerb begann in den späten 1960er Jahren und zeichnete sich von Anfang an durch ihre Interdisziplinarität aus. Sie umfasste nämlich Didaktik, Linguistik, Kinderspracherwerb und Psychologie gleichermaßen (Huebner, 1998). Bis Ende des zwanzigsten Jahrhunderts ist dieses Forschungsgebiet eine eigenständige Disziplin geworden.

      Einen Überblick über die Zweitspracherwerbsforschung bieten Ortega (2009) und Saville-Troike (2012). Ortega (2009) führt aus, wie universale, individuelle und soziale Faktoren den Erwerb der Zweitsprache von verschiedenen Menschen in unterschiedlichen Lernsituationen beeinflussen. Ebenfalls davon ausgehend, dass man nur aus multi- und interdisziplinären Perspektiven ein umfassendes Bild über die Aneignung der Zweitsprache bekommen kann, stellt Saville-Troike (2012) verschiedene Forschungen zu diesem Thema aus den Bereichen der Sprachwissenschaft, Psychologie und Soziologie vor. Ein weiterer Fokus von Saville-Troike (2012) liegt darin, dass man sich beim Zweitspracherwerb nicht nur die Sprache, sondern auch die Kompetenz in der Zweitsprache aneignen sollte. Diese Kompetenz lässt sich ihrer Meinung nach auch aus mehreren Blickwinkeln definieren, z.B. sprachliche Kompetenz, kommunikative Kompetenz und Kompetenz für die Teihnahme an Aktivitäten wie Sprechen, Hören, Schreiben und Lesen.

      Dabei richtet sich der Blick in der linguistischen Zweitspracherwerbsforschung seit den 1980er Jahren auf die Wirkungen der Interaktion beim Erlernen der Zweitsprache. Es ist die Gruppe um Long (u.a. Chaudron, Doherty, Pica, Young), die die Input-Hypothese (u.a. Ferguson 1975, Chaudron 1977, Hatch 1974, Larsen-Freemann 1976, Krashen 1982, 1985) zur Interaktions-Hypothese weiterentwickelt hat. Während in der Input-Hypothese der Verständlichkeit der zielsprachlichen Äußerungen eine besondere Bedeutung für den Spracherwerb zugeschrieben wird, weist Long (1983) darauf hin, dass der Input durch Modifikationen der interaktionalen Struktur der Konversation verständlich wird. Die Bedeutung der Interaktion für den Zweitspracherwerb wird dadurch betont.

      In der Interaktions-Hypothese lautet die allgemeine Auffassung, dass der Spracherwerb durch zweiseitige Interaktion erfolgreicher als durch einseitige stattfindet. Nach zahlreichen empirischen Untersuchungen über die Wirkung von Interaktion auf den Zweitspracherwerb ergibt sich die folgende Bilanz:

       Interaktion bietet einen Kontext, in dem die Lerner mit dem Input der Zielsprache konfrontiert werden und damit versuchen, sie zu verstehen (Krashen 1982).

       Interaktion

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