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both ways“. Genau diese Interdependenz formaler und funktionaler Prinzipien ist in der These, Spracherwerb sei Erwerb von form-function mappings repräsentiert.

      Das Nebeneinander funktionaler und formaler Prinzipien ist sowohl für ein- als auch für mehrsprachige Erwerbsbedingungen relevant. In beiden Kontexten ist das primäre Ziel die Beherrschung eines grammatischen Systems als Notwendigkeit für eine erfolgreiche Kommunikation. Dieser grundsätzliche Ansatz ermöglicht es, auch im L2-Erwerb ermergente Lernerstrukturen vor dem Hintergrund einer kommunikativen Notwendigkeit zu erklären. Tomlin (1990: 172) folgert, dass „the interplay between functional linguistic codings and more general communicative principles“ unabhängig von der Erwerbsbedingung systematisch erfasst werden könne. Auch Mehrgan (2012: 39) stellt heraus, dass funktionalistisch ausgerichtete Erwerbsforschung im Bereich des L2-Erwerbs daran interessiert sei herauszuarbeiten, inwiefern „meaning-making efforts on the part of learners are a driving force in an ongoing second language development, which interact with the development of formal grammatical systems“. Auch im L2-Erwerb ist deshalb die Frage essentiell, wie form-function mappings entstehen. L2-Studien müssen sich deshalb damit befassen, welche Funktionen Lerner mit welchen Formen verknüpfen und wie sie formal realisiert werden (vgl. Mehrgan 2012). Letz­teres bezeichnet Bardovi-Harlig (22015: 55) als „concept-oriented approach“, was heißt, dass das zu versprachlichende Konzept (zum Beispiel semantische Relationen) als Anstoß zum Erwerb formalsprachlicher Formen dient. Ein entscheidender Unterschied zwischen L1- und L2-Erwerbsprozessen ist hierbei die Rolle der functional readiness. Während Kinder im L1-Erwerb zunächst basale funktionale Kategorien ausbilden müssen, sind diese im später einsetzenden L2-Erwerb bereits vorhanden. Die Erwerbsaufgabe besteht dann ‚nur‘ noch darin, neue Kodierungsmöglichkeiten zum Ausdruck bereits ausgebildeter semantischer Konzepte zu finden. Während im L1-Erwerb überhaupt erst Form-Funktions-Paare ausgebildet werden müssen, gilt es im L2-Erwerb neue Paare zu etablieren (vgl. dazu auch Bardovi-Harlig 22015, Mehrgan 2012, Saville-Troike/McClure/Fritz 1984).

      Funktional ausgerichtete erwerbstheoretische Fragestellungen orientieren sich nicht nur an den Prinzipien des form-function mappings, sondern greifen auch die aus der funktionalen Linguistik hervorgegangenen gebrauchsbasierten Ansätze und kognitiven Prinzipien auf. Beides findet sich im Konzept der emergent language. Der Terminus der emergent grammar geht auf Hopper (1987:142) zurück, der das Emergenzprinzip folgendermaßen definiert:

      [S]tructure, or regularity, comes out of discourse and is shaped by discourse as much as it shapes discourse in an on-going process. Grammar is hence not to be understood as a pre-requisite for discourse, a prior possession attributable in identical form to both speaker and hearer. Its forms are not fixed templates but are negotiable in face-to-face interaction in ways that reflect the individual speaker’s past experience of these forms, and their assessment of the present context, including especially their interlocutors, whose experiences and assessments may be quite different.

      Aus der Definition geht vor allem hervor, dass Regularitäten im grammatischen System nicht ‚voreingestellt‘ sind, sondern regelrecht verhandelt werden können. Die Nutzung spezifischer Muster ist entsprechend davon abhängig, in welchem Kontext diese gebraucht werden und welches Wissen der Sprachbenutzer mit ihnen verknüpft. Hoppers zunächst vage erscheinende Definition fasst grundlegende funktionalistische Vorannahmen zusammen. So ist die Emergenzthese keinesfalls so zu verstehen, dass Sprecher in spezifischen Interaktionssituationen die lineare grammatische Struktur immer wieder neu aushandeln müssten. Vielmehr geht aus dem Zitat hervor, dass die Verwendung einzelner Strukturen kontextgebunden sein muss und die an der Interaktion Beteiligten spezifisches Wissen über die Funktionen der gebrauchten Strukturen mitbringen müssen, um Inhalte kommunizierbar und verstehbar zu machen. Grammatik entsteht also in und durch Interaktion und ist damit quasi doppelt gebrauchsbasiert.

      Für den Spracherwerb ist hier besonders der Aufbau grammatischen Wissens aus dem Gebrauch heraus entscheidend. Erwerbstheoretische Ansätze gehen zwar davon aus, dass Erwerbsprozesse systematisch, jedoch nicht linear verlaufen (vgl. Ellis/Larsen-Freeman 2006: 562). Die fehlende Linearität und daraus resultierende Variabilität im Erwerbsverlauf ist wiederum eine direkte Abbildung eines emergenten, das heißt schrittweisen Aufbaus eines lernerspezifischen grammatischen Wissens. Vorausgesetzt wird hierbei, dass die ausgebildete Systematik auf interaktionalen Erfahrungen und damit auf einem spezifischen sprachlichen Input basiert. Die gebrauchsbasierte Orientierung gepaart mit kognitiven Fertigkeiten, die Erwerb überhaupt erst ermöglichen, fasst Tomasello (2005: 41) folgendermaßen zusammen:

      In this process [i.e. the grammatical development, JG] children do two things simultaneously. First, they extract from utterances and expressions such small things as words, morphemes, and phrases by identifying the communicative job these elements are doing in the utterance or expression as a whole. Second, they see patterns across utterances, or parts of utterances, with “similar” structure and function, which enables them to create more or less abstract categories and constructions. These are the two faces of grammar: smaller elements and larger patterns.

      Tomasello stellt hier drei zentrale Komponenten heraus: Spracherwerb ist zunächst als Grammatikerwerb zu verstehen, der wiederum funktional motiviert ist. Welche grammatischen Muster und Strukturen wiederum welche Bedeutungen transportieren, wird aus der Interaktion mit unterschiedlichen Gesprächspartnern abgeleitet. Die Extraktion von Form-Funktions-Relationen ist, so lässt sich folgern, gebunden an Gebrauch. Damit überhaupt etwas aus dem die Lerner umgebenden Sprachgebrauch extrahiert werden kann, werden Äußerungen nach spezifischen Kriterien systematisch analysiert. Lerner sind dabei auf der Suche nach Mustern (patterns) und Regelmäßigkeiten, die sie wiederum nur auffinden können, indem sie einzelne Strukturen zu größeren Einheiten bündeln (das heißt Kategorien bilden) und diese Einheiten letztlich zu größeren, bedeutungstragenden Mustern beziehungsweise Schemata abstrahieren. Dabei muss ergänzt werden, dass Lernern nicht nur die erwähnten kognitiven Fertigkeiten der Kategorisierung, Analogiebildung und Abstrahierung zum Auffinden von Mustern zur Verfügung stehen, sondern dass diese durch implizites statistisches Lernen determiniert werden. Kidd (2012: 172) definiert dieses „as the largely or wholly unconscious process of inducing structure from input following exposure to repeated exemplars“. Dass Lerner also überhaupt Muster entdecken können, wird durch die grundlegende kognitive Fertigkeit der statistischen Analyse von Input ermöglicht. In Bezug auf die Ausbildung von Form-Funktions-Paaren heißt das, dass Lerner analysieren, wie oft eine spezifische grammatische Struktur als zuverlässiger Indikator für den Ausdruck spezifischer Inhalte verwendet wird. Frequenz und Reliabilität von Mustern spielen deshalb eine zentrale Rolle im Erwerb. Spracherwerb im Sinne eines emergenten Prozesses würde in diesem Zusammenhang bedeuten, dass Lerner Schritt für Schritt ein grammatisches System aufbauen. Diese Annahme ist zugleich das Credo einer konstruktivistischen Sicht auf Spracherwerb: „Language structure […] is constructed by the child, either in the context of pragmatically elaborate communicative contexts […] or as an extension of conceptual understanding, which is the logical precursor to language“ (Hollich et al. 2000: 149). Aus konstruktivistischer Perspektive ist dieser Gedanke so zu verstehen, dass Lerner sich auf zweierlei Art und Weise entwickeln. Ihre kommunikativen Kontexte und damit Bedürfnisse werden genauso stetig ausgebaut wie ihr konzeptuell-semantisches Wissen, das wiederum den Ausbau des sprachlichen Repertoires erfordert. Vereinfacht lässt sich sagen: Entwickelt sich ein Lerner, entwickelt sich auch seine Sprache. Entwicklung heißt wiederum Veränderung, sodass Spracherwerb im Sinne der Emergenzthese eine kontinuierliche und systematische Weiterentwicklung formal-funktionaler mappings bedeutet.

      Zusammenfassend lässt sich folgern, dass ein funktional motivierter Blick auf Grammatik stets ein Zusammenspiel zwischen pragmatischen und semantischen Faktoren und ihrer Abbildung auf formalsprachliche Strukturen annimmt. Erweitert um die kognitive Sicht sind dabei sowohl semantische Konzepte als auch die jeweilige sprachliche Struktur mental repräsentierte er Einheiten, die in einem symbolischen Verhältnis stehen. Die Beherrschung einzelsprachlicher Form-Funktions-Paare ist aus einer Erwerbsperspektive das primäre Erwerbsziel. Aufbauend auf spezifischen kognitiven Mechanismen wie Kategorien- und abstrakter Musterbildung sowie implizit-statistischem Lernen wird Sprechern das Auffinden grammatischer Muster ermöglicht. Im Erwerbsprozess verändern sich mit dem Ausbau kommunikativer Bedürfnisse und

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