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69/70 n. Chr. bis Pastoralbriefe um 120–150 n. Chr.) und einen erzählten Zeitraum von ca. 4 v. Chr. bis 64 n. Chr. (Tod des Herodes des Großen bis Haft des Paulus in Rom) zu reflektieren haben,4 reicht die erzählte Zeit der alttestamentlichen Schriften von der Schöpfung (nach biblischer Chronologie im Jahr 3761 v. Chr.) bis in die Zeit der Perserherrschaft vor 331 v. Chr. und ihre Entstehung erstreckt sich über ‚ca. 800 Jahre‘, unter Einbeziehung der deuterokanonischen Schriften über einen noch etwas längeren Zeitraum; von den nicht mehr konsensual zu beschreibenden einleitungswissenschaftlichen Problemen des Alten Testaments ganz zu schweigen.5

      Als vorläufige Schlussfolgerung dieser Überlegungen wird man festhalten können, dass der vermeintlich intellektuell wenig herausfordernde Lerngegenstand Inhalt und Aufbau der Bibel insbesondere dann erfolgreich gelehrt und gelernt werden kann, wenn er zugleich einleitungswissenschaftliches Grundwissen berücksichtigt. Lehre in Bibelkunde soll demnach einerseits das kritische Bibelverständnis der wissenschaftlichen Exegese voraussetzen und in die bibelkundliche Lehre einfließen lassen und andererseits die Studierenden auf die kritische wissenschaftliche und demnach ergebnisoffene Analyse der biblischen Schriften in der neutestamentlichen und alttestamentlichen Wissenschaft vorbereiten. Folgt man dieser Überlegung zum Verhältnis von Einleitungswissenschaft und Bibelkunde, dann sollte auch die mancherorts durch den Bologna-Prozess ermöglichte Praxis der Anerkennung von Studienleistungen in Bibelkunde, die in Bibelschulen und propädeutischen Bibelseminaren erbracht wurden, neu überdacht werden. Wenn in diesen Einrichtungen die Lehre in Bibelkunde als Vorverständnis für das Alte Testament unkritisch die faktuale Richtigkeit der biblischen Grunderzählung, d.h. mehr oder weniger das Motto „Und die Bibel hat doch recht!“6, zugrunde legt und im Falle des Neuen Testaments dem Narrativ der Kirchenväter folgt, das die Verfasserschaft von Jüngern und Apostelbegleitern für die vier Evangelien annimmt und Fragen zur Abhängigkeit dieser Schriften oder zur Pseudepigraphie der Briefliteratur gar nicht erst stellt, dann können derartige Bibelkunden nicht als Teil eines wissenschaftlichen Studiums anerkannt werden. Studierende, die auf dieser Grundlage an der weiterführenden universitären Lehre teilnehmen, bereiten nicht nur der kritischen Lehre Schwierigkeiten, sondern ihnen steht zudem das verfestigte unkritische Fürwahrhalten vermeintlich historischer biblischer Sachverhalte der Ausbildung eines angemessenen hermeneutischen Reflexionsvermögens dauerhaft im Weg, das für das Studium der Ev. Theologie unerlässlich ist.

      2 Zur Geschichte des Lehrgegenstandes

      Um zu verstehen, wie es zu diesen bis heute letztlich unreflektierten Überschneidungen von Bibelkunde im Sinne von Inhalt und Aufbau biblischer Schriften und dem wissenschaftlich verantworteten Wissen über diese Schriften kommen konnte, ist ein kurzer Blick auf die Geschichte der Bibelkunde im deutschsprachigen Raum sinnvoll.

      Grimms Wörterbuch kennt zwar den Begriff bibelfest, nicht aber die Bezeichnung Bibelkunde. Die ersten Lehrbücher für Bibelkunde entstanden Anfang des 19. Jahrhunderts als Präparationsbücher für Lehrer an christlichen und jüdischen Volksschulen.1 Sie sollten sich ein strukturiertes Wissen über die Bibel erarbeiten, um auf dieser Grundlage ihren Unterricht erteilen zu können. Dabei wurde die Bibel als Grundorientierung in Völker- und Staatskunde, aber auch Biologie und Sittenkunde verstanden.2

      In der Mitte des 19. Jahrhunderts entstehen die ersten Lehrwerke für das Gymnasium und zwar für den Unterricht sowohl an christlichen, als auch an jüdischen höheren Schulen.3 Die Integration von Bibelkunde in den Religionsunterricht dieser Schulen war nicht zuletzt einer apologetischen Tendenz geschuldet, die den in Friedrich Schleiermachers (1768–1834) Reden an die Verächter der Religion genannten Vorbehalten begegnen wollte.4 Zunächst stellten die insbesondere von Hermann Samuel Reimarus (1694–1768) vertretene Vernunftreligion und die dieser zugrundeliegende Sachkritik der biblischen Aussagen den Gehalt der Bibel infrage. Im 19. Jahrhundert wurde dann Schritt für Schritt der faktuale Gehalt der biblischen Schriften weiter destruiert. Die biblische Chronologie wurde durch archäologische Funde im Alten Orient infrage gestellt, die Vorstellung von der Erschaffung der Welt an einem Tag durch die Geologie, die synchrone Schöpfung aller Arten durch die Evolutionstheorie und die Offenbarungsqualität der Bibel durch altorientalische Texte, die als Parallelen oder gar Vorlagen aufgefasst werden konnten (Bibel-Babel-Streit). Die apologetische Tendenz der Bibelkunde im Schulunterricht führte dazu, dass die Darstellung von Inhalt und Aufbau biblischer Schriften immer auch ein Reflex auf die Situation der in Deutschland konfessionell verfassten Religionen war. So ist es kein Zufall, dass die erste Bibelkunde, die im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek verzeichnet ist, auf den Rabbiner Ludwig Philippson (1811–1889) zurückgeht, der zugleich der Autor einer Schrift mit dem Titel Reden wider den Unglauben gerichtet an alle denkenden Israeliten ist.5 Der Gymnasiallehrer Eduard Krähe notiert im Vorwort seiner Bibelkunde aus dem Jahr 1877, dass er die wachsende „Gleichgültigkeit der Gebildeten, die offene Feindschaft der Massen gegen alle Religion“ bekämpfen und den „gebildeten Theile unseres Volkes“ wieder zum „Träger von wahrer deutscher Frömmigkeit“ machen wolle.6 Bibelkunde ist in ihrer Entstehung als schulisches Lehrfach der Aufgabe verpflichtet, die Religionen, die sich auf die Bibel berufen, in ihren verschiedenen konfessionellen Prägungen zu verteidigen. Es ist mit dem Wesen jeglicher Apologie verbunden, dass diese, wenn sie wirkungsvoll sein möchte, sich auf die Argumente der Angreifer einlassen muss, sodass diesem Gestus eine historisch-aufklärende wie auch assimilierende Tendenz zu eigen ist.7

      Die universitäre Lehre in Bibelkunde setzt später ein. Erste Überblicke und Lehrvorlagen erscheinen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, etwa die 1933 erschienene und bis 1983 aufgelegte Bibelkunde des Missionswissenschaftlers Martin Schlunck (1874–1956).8 Die Bibelkunde des Göttinger Systematikers Otto Weber (1902–1966) aus dem Jahr 1949 steht hingegen unter dem Einfluss der barthianischen Bibelorthodoxie der Nachkriegszeit und ist aus einer systematisch-theologischen Perspektive konzipiert.9 Die Überschriften zu den einzelnen Kapiteln stellen theologische Begriffe, die heilsgeschichtlich interpretiert werden, in den Mittelpunkt (‚Schöpfung und Sünde‘, ‚Israel‘, ‚Theokratie‘ usw.) und verbinden mit ihnen eine Auswahl passend erscheinender Bibeltexte als ‚Lesestoff‘. Daneben entstehen auch Lehrbücher, die die Berührung mit der theologischen Wissenschaft meiden, so erläutert der Pfarrer und Bonner Privatdozent für das Alte Testament Martin Thilo (1876–1950) das Verhältnis seiner Bibelkunde zu den exegetischen Wissenschaften mit den Worten:

      „Ich habe deswegen bei meiner Arbeit jeden Übergriff in die Fragen der theologischen Bibelwissenschaft strengstens vermieden und mich damit scharf von den Versuchen derer geschieden, die eine mit Urteilen aus dem Wissenschaftsgebiete durchsetzte Bibelkunde bieten möchten.“10

      Rudolf Knopf (1874–1920), Professor für neutestamentliche Wissenschaft in Bonn, integrierte in den Titel seiner Einführung in das Neue Testament auch den Begriff Bibelkunde. Diese Bezeichnung trifft aber nur auf die eingestreuten knappen Skizzen über Inhalt und Aufbau der neutestamentlichen Schriften zu, die Knopf in seine historischen Ausführungen zu den Abfassungsverhältnissen (‚Veranlassung‘, ‚Eigenart‘, ‚Echtheit‘, ‚Ort‘) der jeweiligen Schriften oder Schriftengruppen integriert.11 Der Erlanger Alttestamentler Georg Fohrer (1915–2002) ist wohl einer der ersten akademischen Lehrer des Alten Testaments, der für seine Vorlesung zur Einführung in das Alte Testament Bibelkenntnis nicht nur voraussetzte, sondern sie explizit zu deren Gegenstand machte.12 Die einzelnen Kapitel beginnen mit Inhaltsübersichten der behandelten biblischen Bücher.13 Diese bibelkundlichen Ausführungen Fohrers sind auf seine kritische Analyse der biblischen Bücher ausgerichtet. Seine Bibelkunde setzt demnach ein umfassendes, wissenschaftlich verantwortetes kritisches Bild von der Entstehung der alttestamentlichen Schriften und der biblischen Grunderzählung voraus.

      Das gilt grundsätzlich auch für die Bibelkunden der Gegenwart, die aus dem akademischen Unterricht erwachsen sind.14 Bisweilen führen die sachlich unvermeidlichen Überschneidungen zwischen Bibelkunde und Einleitungswissenschaft dazu, dass Fachkollegen bei der Auswahl des Lehrbuchs für Bibelkunde berücksichtigen müssen, welche hermeneutischen und literaturgeschichtlichen Perspektiven diese vertreten und ob diese wiederum „die eigenen Schwerpunkte in der Lehre am besten repräsentieren“15.

      Die Lehre in Bibelkunde hat demnach bewusstzumachen und offen zu legen, in welchem Maße die Aussagen über Inhalt und Aufbau der alt-

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