ТОП просматриваемых книг сайта:
Das Rauschen unter der Choreographie. Группа авторов
Читать онлайн.Название Das Rauschen unter der Choreographie
Год выпуска 0
isbn 9783823301530
Автор произведения Группа авторов
Жанр Документальная литература
Серия Forum Modernes Theater
Издательство Bookwire
Katja Schneider stellt die Frage, wie Stil konturiert werden kann, um ihn für den zeitgenössischen Tanz produktiv zu machen. Im Fokus ihres Beitrags »›what if a body moved like this through the world?‹ Zu Stil und zeitgenössischem Tanz« steht die Überlegung, dass der Rezeption von Stil eine Einübung in kulturelle Normierungen, in kulturelles Wissen, in Konventionen und kognitive wie sensuelle Wahrnehmungsweisen vorausgeht. An Beispielen von Raimund Hoghe, Jérôme Bel, Trajal Harrell und Richard Siegal zeigt sie, wie Stilphänomene Kontextwissen generieren, funktional verknüpfen, manifestieren und für die Rezeption triggern. Ziel ist es zu skizzieren, dass Stil oder besser das Stilistische sich nicht auf einen formalen Stil reduzieren lässt, sondern den Blick lenkt auf die Artikulation und Wahrnehmung kultureller Bedingungen und Implikationen.
Im letzten Kapitel wird Stil gedacht erstens als eine Art und Weise des Tuns, manifestiert in Praktiken und Techniken, zweitens als eine Art und Weise des Zeigens, des Sichtbarmachens, vermittelt durch Bilder, Merkmale, Markierungen sowie drittens eine Art und Weise des Verhandelns über die Arten und Weisen von Tun und Zeigen, eine diskursive Ebene, die ideologisch, ästhetisch, politisch etc. motiviert sein kann: »Street Dance Stil & Style« ist der Beitrag von Nic Leonhardt gewidmet. Wie, wodurch, worüber? Verstanden als Modi von Stil wird dies diskutiert am Beispiel des Videos A-Z of Dance, an HipHop-Mode und -Marken sowie an Hiplet™. Im Falle der Trias von Street Dance, Stil und Style, so der Befund, sind gerade deren unabdingbarer Bezug aufeinander sowie die Mesalliance von scheinbaren Paradoxa Garant für ihre Beständigkeit.
Mein Dank gilt allen Beiträger*innen des vorliegenden Bandes, Prof. Dr. Christopher B. Balme für die Aufnahme in die Reihe Forum Modernes Theater sowie Thomas Betz für redaktionelle Mitarbeit. Dank auch an den Bayerischen Landesverband für zeitgenössischen Tanz (BLZT) für die Unterstützung dieser Publikation.
Der vorliegenden Publikation ging das Symposium Das Rauschen unter der Choreographie. Überlegungen zu »Stil« voraus, das vom 12. bis 14. Mai 2017 im Theater HochX in München stattfand, in Kooperation von Access to Dance und DANCE 2017, Festival für zeitgenössischen Tanz der Landeshauptstadt München.
Katja Schneider München, im August 2018
Stil: Ein indifferentes Merkmal und die Arbeit an Erkenntnis
Sabine Huschka
Der Stil ist nichts anderes als die Anordnung und die Bewegung, die man in seine Gedanken legt. (Buffon)1
In seinem Spätwerk The Mastery of Movement legt Rudolf Laban nachhaltig ein bewegungstheoretisches Denken über die Tragweite von Stil vor. Es besagt:
Daß Bewegung unter ästhetischen und praktischen Gesichtspunkten gesehen werden kann und man von diesem oder jenem Tennisspieler, Eisläufer, sonstigem Sportler oder Filmstar sagt, er habe ›Stil‹, beruht häufig auf winzigen Details einer Bewegungsgewohnheit. Der winzige Unterschied zwischen einer schöpfenden oder streuenden Fußstellung etwa vermag Einfluß darauf zu haben, ob in den Augen der Zuschauer ein Superathlet oder Filmstar ›Stil‹ hat oder nicht. […] Ein darstellender Künstler indes will und muß mehr wiedergeben können als typische Stile, das typisch Schöne.2
Veranschlagt wird ein Modus der Überschreitung und eine qualitative ›Winzigkeit‹, die dem tänzerischen Stil bewegungsästhetisch zu eigen ist und ihn auffällig macht. Diesem Stil wohnt etwas Indifferentes bei, denn ihm ist nur schwer – etwa über klare ästhetische Merkmale – beizukommen. Und doch steht er dem Tänzer und mit ihm der Kunst als Aufgabe vor.
Zeitgenössische Ästhetikdiskurse wie der von Karl Heinz Bohrer betonen vergleichbar ebenso einen Modus der Überschreitung, über den Stil als transzendierende Leistung von Leben und Alltag erkennbar wird:
Stil ist […] als eine Überhöhung des Alltäglich-Selbstverständlichen angesehen worden. Ob man nun vom antiken Terminus ›stilus‹ spricht oder mit Buffons berühmtem Satz davon, daß der Stil der Mensch selbst sei, immer geht es um die Fähigkeit zur Objektivierung von bloß tautologisch Gefühltem: Stilvermögen ist dann eine intellektuell-reflexive Fähigkeit, die qua eines spezifischen Ausdrucks bezüglich einer Sache ihren Adressaten besonders anspricht. Die Sache also ist die nicht zu übersehende Ursache eines jeweiligen Stils, so wie es Goethe 1789 […] formuliert hat: […] Stil beruhe ›auf den tiefsten Grundfesten der Erkenntnis‹.3
Die Perspektiven, in welchen Grundfesten Stil sich verankert zeigt und welche Dispositionen sein dem Allgemeinen dienender Ausdruck bildet, prägen seit dem 18. Jahrhundert das ästhetische Denken über Stil. Ausgehend von Buffon und seiner am 25. August 1753 gehaltenen Rede Discours sur le style zur Aufnahme in die Académie Française setzt ein Stildiskurs ein, der – eingebettet in ein Denken über einen guten Schreibstil und die Aufgabe eines Autors – das Subjekt als erkenntnistragende Instanz ins Zentrum rückt.
Allein die gut geschriebenen Werke werden die Nachwelt erreichen; die Vielfalt der Kenntnisse, die Einzigartigkeit der dargestellten Ereignisse, ja selbst der Innovationscharakter von Entdeckungen – all das sind keine Garantien für die Unsterblichkeit; […] der Stil aber ist der Mensch selbst; den Stil kann man ihm nicht nehmen, er kann sich nicht abheben und nicht verändern: wenn er hoch, edel und erhaben ist, dann wird der Autor zu allen Zeiten bewundert werden; denn es gibt nur eine dauerhafte, ja ewige Wahrheit.4
Stil zeigt sich als ein erkenntnisgeleitetes Ausdrucksvermögen, das mit einem Bewegungsakt der Überschreitung einer rein subjektiven Äußerung hin zum Allgemeinen übereinkommt. Denn, so Buffon weiter: »Es ist die Macht des Genies, sich alle allgemeinen und besonderen Sinnstrukturen (idées) unter ihrem wahren Blickpunkt vorzustellen; nur aufgrund eines besonders feinen Unterscheidungsvermögens wird man sterile Gedanken von fruchtbaren Ideen unterscheiden können.«5 Es bleibt ein »feines Unterscheidungsvermögen«, mit dem ein Künstler, der hier als Genie vorstellig wird, zur Ausbildung von Stil umzugehen versteht – eine Winzigkeit, die jenen qualitativen Unterschied ausmacht, den Laban noch 200 Jahre später begrifflich als Kennzeichen eines tänzerischen Stils anführt.
Karl Heinz Bohrer unterdessen fokussiert in seinen von Friedrich Nietzsche ausgehenden Abhandlungen Stil als das menschliche Vermögen zu einem besonderen Ausdrucksverhalten, dem, wie Bohrer über Nietzsches Entwurf zum ›Großen Stil‹6 ausführt, etwas Ungeheures beiwohnt. Denn beim Stil sei stets die Rede vom »Erhabenen, dessen ästhetische Struktur bekanntlich gefaßt ist als eine vom Ungeheuren oder Schrecken gebrochene Schönheit«.7 Auf diesen mitgeführten Aspekt von Stil wird zurückzukommen sein.
Stil als indifferentes Merkmal: Vagheit und Chance des Stilbegriffs
Gleichwohl Stil begriffsgeschichtlich im Lateinischen stilus als ›Schreibart‹ verankert ist, der verwandt mit stimulus, stimulare, stinguere, instinguere zugleich auf »etwas Pflanzliches, einen Stengel oder einen Stiel«1 verweist, findet dieses etymologische Wissen keinen erkenntnistragenden Widerhall in kunstästhetischen Reflexionen. So ist in den letzten Jahren eine literatur-, kultur- und vor allem sozialwissenschaftliche Renaissance der (historischen und philosophischen) Bedeutungen und Funktionen von Stil zu verzeichnen,2 deren Untersuchungen gewissermaßen als methodischen Einsatzpunkt ihrer Analysen zumeist auf die Vagheit und Widersprüchlichkeit des Begriffs rekurrieren: »Wer sich heute (noch) mit dem Stilbegriff beschäftigt, gerät schnell