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der unproduktiven Verausgabung – George Batailles zu kombinieren bzw. auf Basis beider Theorien narrative »Model­lierungen der Transgression« bei Laclos, Sade und Flaubert aufzudecken. Bataille, der sich u.a. in seinem Aufsatz La Littérature et le mal gleichfalls mit der Schule des Bösen auseinandersetzt, setzt das Phänomen des Bösen in Bezug zur Transgression, welche er auch in seinen übrigen Schriften zum Gegenstand der Untersuchung erhebt.2 Das Konzept der Transgression ist mit einem kulturanthropologischen Ansatz zu beschreiben. Archa­ische Gesellschaften zeichnen sich durch die Ausbildung zweier Bereiche aus: einen produktiven Bereich der Arbeit, welcher – um sein Fortbestehen zu garantieren – mit Verboten belegt ist, sowie einen Bereich der nutzlosen Verausgabung, der rituellen »sinnlosen Energieverschwendung«, welcher der Trieb­eindämmung dient.3 In diesem Zusammenhang sind rituelle Opferungen beispielsweise als solche Verausgabungshandlungen zu verstehen, da sie die Lust an der Gewalt, die normalerweise aus dem rationalen Bereich der Produktivität ausgegrenzt wird, in momentaner Aufhe­bung4 des Tabus kanalisieren und in der Überschreitung ekstatisch als das Heilige erfahr­bar machen.5

      Im Christentum ist der Begriff des Heiligen jedoch nicht länger an den Moment der Ekstase, der Lust und der Gewalt gekoppelt. Der Bereich der Sexualität, der für Bataille jedoch unauflösbar mit der Erfahrung des Heiligen verbunden ist, wird vollständig ausgegrenzt, die Transgression wird nur noch als »Sünde« begriffen. Besonders proble­matisch wird die Erfahrung der Transgression dann in der Moderne mit dem Tod Gottes, denn die Überschreitung setzt schließlich das Anerkennen einer metaphysischen Kraft voraus; die Sünde kann nicht mehr Sünde sein, wenn sie sich nicht auf etwas Göttliches bezieht: »Die Transgression öffnet sich in die Leere, die der Tod Gottes hinterlassen hat«.6 Das Transgressive manifestiert sich nunmehr im Heterogenen:7 Damit meint Bataille vornehmlich die »›niedere[n]‹ Phänomene, die von der homogenen – bürgerlichen – Welt als ekelerregend und anormal ausgegrenzt werden«.8 Damit lässt sich nun der Bogen zum Bösen schlagen, welches per definitionem auch die abgründigen, tabuisierten, als krankhaft und moralisch verwerflich stigmatisierten Gegenstände bezeichnet. Für Bataille markiert das Böse jedoch – neben der Erotik – einen Bereich der Überschreitung. Es agiert, wie er in La Littérature et le mal anhand der Werke Sades veranschaulicht, als »Entfesselung der Leidenschaften« (»déchaînement des passions«)9 und somit als das Andere der Vernunft, als Kraft, die vorherrschende Diskurse zerlegen und revoltieren kann, indem es präexistente rationalistische Diskurse (das Homogene) aufgreift und gleichzeitig zersetzt. Darin besteht laut Friedrich auch der Ertrag der Theorie der Transgression für eine Konzeption des Bösen, wie es sich in der Ecole du mal manifestiert:

      Durch die transgressive Dynamik werden die zugrundeliegenden Begriffe entsub­stantialisiert und ihre Scheinhaftigkeit bloßgelegt. Das impliziert jedoch zugleich, daß sich das transgressive Böse nur auf der Kehrseite derjenigen Diskurse entfalten kann, deren Grenzen es zugleich sprengt. Die Transgression entfaltet sich in Form der Dekonstruktion, und aus der Dekonstitution tradierter Diskurse konstituiert sich ein ambivalentes, substitutives Böses.10

      Friedrich zufolge bietet Bataille damit jedoch nur ein Sprungbrett, um auch die ästhetische Dimension des Bösen beschreibbar zu machen, an der es Bohrer gelegen war (ohne dabei jedoch – wie bereits hervorgehoben wurde – konkrete Ansätze zu liefern, wie sich dieses ästhetische Böse genau formiert). Der Berührungspunkt beider Theorien liegt im Moment der Ekstase, die bei Bohrer jedoch als Intensität bzw. imaginative Entgrenzung gedacht wird. Während Bataille also die Ästhetik des Bösen größtenteils ausklammert – dabei jedoch einen inhaltlichen Ansatz zur Erfassung des Phänomens des Bösen bietet –, »lehnt Bohrer sozialhistorische oder funktionshistorische Erklärungen literarischer Konstrukte grundsätz­lich ab, weil diese dadurch nicht als autonome ästhetische Akte verstanden würden«.11

      Friedrich sucht nun, einen »Mittelweg« einzuschlagen, indem sie ihre Textanalysen dreischrittig ausrichtet: Zunächst geht es ihr um eine inhaltliche Analyse des Bösen auf der histoire-Ebene, d.h. sie sucht, das im Text repräsentierte Konzept des Bösen zu klassi­fizieren, z.B. als Profanation oder Sünde, und seine strukturelle Bedeutung für den Gesamthand­lungsverlauf herauszuarbeiten. Im Zuge der Betrachtung der histoire-Ebene soll zudem Bohrers Theorie insofern fruchtbar gemacht werden, als die Semantiken des Bösen im Text identifiziert werden. In einem zweiten Schritt gelte es nun, die Diskurs­ebene einer Untersuchung zu unterziehen, d.h. das Augenmerk liege nun auf der Ebene der Vertextungs­strategien. Die »Figurationen des Bösen«, die sich inhaltlich beschreiben lassen, unterschei­det sie hier deutlich von einer »transgressiven Bewegung«, »die sich nun nicht mehr auf ein diskursiv bestimmbares Böses als Objekt der Darstellung bezieht, sondern die durch die spezifischen ästhetischen Inszenierungsverfahren die Kehrseite, die Prämissen bzw. die blinden Stellen des Diskurses, welcher der Figuration des Bösen zugrunde liegt, aufdeckt«.12 Das, was also zunächst mithilfe tradierter Diskurse beschreib­bar ist, wird in seiner defi­gurativen Potenz aufgedeckt, wodurch sich eine neue Form des Bösen konstituiert, ein ästhetisches Böses, welches wie das Heterogene Batailles Frag­mente bestehender Diskurse rekonfiguriert.

      Mit ihrem Beitrag verleiht Friedrich Bohrers Theorie des Bösen als ästhetische Kategorie ein deutlich festeres Fundament, indem sie sie mit Bataille und der Diskurs­analyse in Verbindung bringt. Demgemäß ist das Böse bei Friedrich vor allen Dingen ein aggressives Konstrukt, das subversiv bestehende Diskurse unterläuft und damit vielleicht dem Konzept der Literatur als Gegendiskurs des frühen Foucault nahekommt. Die Methodik, die sie zur Analyse eines ästhetischen Bösen entwickelt, revidiert überdies Bohrers Theorie insofern, als das böse Sujet hier miteinbezogen wird – was eine Notwen­digkeit zu sein scheint. Sie verweist auf die Ambiguität des Begriffes der »Ästhetik des Bösen«, der per se schon zweierlei impliziert: Geht es um die Ästhetisierung des Bösen oder ist die Ästhetik selbst böse? So argumentiert sie bezüglich der Schule des Bösen: »Einerseits wird immer wieder betont, daß es nicht um die dargestellte Thematik des Bösen geht, sondern um den Status der Fiktion; andererseits aber ist für den Kanon der Ecole du mal doch zunächst ein inhaltliches Kriterium entscheidend. Laclos, Sade und Flaubert werden dieser Tradition zugerechnet, weil sie etwas Böses darstellen.«13

      1.1.3 Die Ästhetik des Bösen nach Peter-André Alt: Wiederholung, Transgression und Paradoxie

      Die Unmöglichkeit, die Ästhetik des Bösen als autonome, von moralisch-ethischen Referenzen freigestellte Kategorie zu denken, betont auch Peter-André Alt. Hier verortet Alt auch die Problematik des Bohrer’schen Ansatzes: Wie kann ein (literarisches) Phänomen – das Böse – überhaupt als solches wahrgenommen werden, wenn es, um in seiner Evidenz zum Tragen zu kommen, der Überschreitung eines moralisch-ethischen Bezugs bedarf?

      Anders als oft nahegelegt, stellt die Ästhetik des Bösen keine Autonomieästhetik dar. Die Akte der Entgrenzung, die sie produziert, sind nur dort wahrnehmbar, wo die Grenze, die sie überschreiten, bewußt gehalten wird. Auch der böse Text sieht sich, so scheint es, durch das moralische System beherrscht, das er negiert.1

      Alt verweist – wie die Mehrheit von Bohrers Kritikern – darauf, dass ein solcher Ansatz, der die Ästhetik und den Autonomieanspruch absolut setze, die Bedeutung des Rezeptionsaktes, der auch Reflexionen moralischer Natur involviert, verkenne; es gelte, »die Autonomie, die das Böse im Prozeß der literarischen Imagination und ihrer Model­lierung durch die Fiktion gewinnt, von der moralischen Prägung, die in der ästhe­tischen Erfahrung mitwirkt«2, zu unterscheiden. Demgemäß sucht Alt, dies in seiner Untersu­chung der Ästhetik des Bösen insofern zu berücksichtigen, als er voraussetzt, dass in der ästhetischen Wirkung zuallererst ein »herausfordernder, regelwidriger Grundzug durch die Verletzung moralischer Normen«3 zu Tage tritt, d.h. die ästhetische Wirkung des Bösen beruht auf der Alteritäts­erfahrung des vermittelten Gegenstands bzw. seiner Fremd­heit sowohl als das kulturell vermittelte »Andere«4 als auch das a-historische, »objektiv« fremdartige Böse, das sich im Text ästhetisch als »Primitivismus, Gewalt, Barbarei, Terrorismus«5 modelliert. Die besondere Leistung der Literatur seit dem 18. Jahrhundert liege aber nun besonders im Spiel von Alterität und Identität bzw. in der Familiarisierung eines primär als fremdartig empfundenen Bösen.6 Und eben dies sei die Grundlage der eigentümlichen Wirkung des Bösen, die zwischen

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