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jedoch weniger in der Provo­kation denn in der Kreation eines neuen Erzählstils und er konnte sein Werk schließlich rehabilitieren, indem er darauf verwies, dass die moralische Botschaft eines Textes nur indirekt zu ermitteln sei.12

      Für die Auswahl der hier besprochenen Texte ist in erster Linie die Grundannahme maßgeblich, dass ein intendierter Normbruch vorliegt: Dieser kann einerseits die Ebene der formalästhetischen Gestaltung betreffen, d.h. er kann zum Beispiel durch Techniken der Montage, Dekonstruktion, Parodie, Kollage zustande kommen oder es können – wie im Falle Flauberts – durch spezifische Erzähl­strategien provokative Dissonanzen mit gängigen stilistischen Normen erzielt werden. Andererseits kann sich der Normbruch jedoch gleichwohl auf den mora­lisch-ethischen Normbereich des Rezipienten beziehen. Gerade am Beispiel von Flauberts Madame Bovary lässt sich veranschaulichen, dass durchaus eine Innovation des litera­rischen Erzählstils intendiert war, doch das eigentliche Skandalon letzt­lich in der vermeint­lichen Apologie des Ehebruchs bestand. Darauf basierend lässt sich die These aufstellen, dass das »Choquante« in seiner vollen Wirkmacht eigentlich erst zum Tragen kommt, wenn die im ersten Moment rein ästhetische Erfahrung in eine ethische übergeht. Um einer Schockästhetik13 auf den Grund zu gehen, bedarf es demnach einer Unter­suchung sowohl der formalen Strukturen eines Werks als auch seines Darstellungs­gegenstands.

      Nach dem Potential der Literatur zu fragen, den Rezipienten zu erschüttern, scheint selbst in Zeiten des postmodernen anything goes noch relevant. Der Annahme, dass der moderne Mensch – durch (provokante, bisweilen grausame) Medienbilder und Kunst­er­zeug­nisse mittlerweile übersättigt und unbeeindruckt – kaum noch zu überraschen, geschweige denn zu schockieren sei, scheint zu widersprechen, dass ein Großteil der gegenwärtig erfolgreichen Literatur vor allem mit Schockästhetiken arbeitet, wobei sich gerade dies als potentes Marketinginstrument erweist.14 Die mitunter prominen­testen Bei­spiele sind die Romane des französischen Autors und enfant terrible Michel Houellebecq. Die Veröffent­lichung von nahezu jedem seiner Werke wurde von teil­weise harschen Polemiken begleitet, insbesondere sein zweiter Roman Les Particules élémentaires (1998) sowie der darauf­folgende, Plateforme (2001). Dabei stellt sich vor allen Dingen die Frage, welcher Natur der Skandal rund um die Romane Houellebecqs ist. Betrifft der Normbruch literaturspezifische Kriterien der formalästhetischen Gestaltung oder vielmehr die Ebene des Vermittelten? Auf den ersten Blick erweist sich im Falle Houel­le­becqs sicherlich das in seinen Texten inszenierte pessimistische Gesellschafts- und Menschenbild als brisant: Der Kulturpes­simismus Houellebecqs ist in seinem Werk omni­präsent und weist die Welt, wie wir sie kennen, als verderbtes, korrumpiertes Gesell­schafts­konstrukt aus, in dem das Individuum die Fähigkeit zur Liebe und Nähe verloren hat. In seinem ersten Roman, Extension du domaine de la lutte (1994) formuliert er die These, dass der Liberalismus zu einem unerbittlichen Kampf auf einer weiteren Ebene – die von ökonomischen Prinzipien bisher unberührt geblieben war – geführt habe, und zwar der der Sexualität: Es handele sich um eine Form der Merkantilisierung, die ein inkommensurables Gefälle zwischen Reich und Arm erzeuge, wobei letztere aufgrund ihres geringen (Attrak­tivitäts-)Kapitals unweigerlich vereinsamen würden. Diese negative Anthropologie liegt auch den Romanen Les Particules élémentaires, La Possibilité d’une île (2005) und La Carte et le Territoire (2010) zugrunde und findet sich durch die Houellebecq’schen Protagonisten exemplifiziert. Für die vorliegende Arbeit ist jedoch von Interesse aufzu­zeigen, inwiefern textspezifische Phänomene der Narration an der Produktion rezeptions­gebundener Schockmomente beteiligt sind. Die Prüfung textueller Emotioniali­sie­rungs­strategien erlaubt es ferner auch, im Kontext des Gesamtwerks Rückschlüsse auf deren Funktion zu ziehen. Geht es dabei um sensationalistische Publikumslenkung und strate­gische Selbstvermarktung, um die Affirmation des eigenen Autonomiestatus – oder wird die Schockästhetik dergestalt funktionalisiert, dass sie einer ethischen Reflexion zugutekommt? Die vorliegende Untersuchung hat es sich zum Ziel gesetzt, die Mechanismen aufzu­decken, die die ästhetische mit der ethischen Erfahrung verschalten, und damit eine interpretatorische Sensibilität sowohl gegenüber der formalästhetischen Beschaffenheit des Textes als auch seines Bedeutungs­gehalts zu entwickeln. Letztendlich liegt dem die Idee zugrunde, dass das Romanwerk Houellebecqs durchaus ethisch engagiert ist und fernab von postmoderner Sinnver­weigerung einen Diskurs über einen in der Gegenwart problema­tisch gewordenen Begriff anstrengt, und zwar das Böse.

      Der Terminus »böse« meint in Analogie zur Polyvalenz des Begriffes »gut« das »Unheilvolle, Verderbenbringende, Zerstörerische, das Verdorbene, vor allem das sittlich Verwerfliche«, findet aber vor allen Dingen Verwendung bei der »Stigmatisierung des Krankhaften, des Untüchtigen, Schwachen, des Unangenehmen, des Unzweck­mäßigen«.15 Geistesgeschichtlich ist das Böse wiederum in der Vormoderne als ein selbst­ständiges Prinzip aufzufassen, das sich kontinuierlich im Widerstreit mit der ihm gegen­übergestellten Macht des Guten befindet; damit handelt es sich gleichwohl um eine in den metaphysischen Denkstrukturen fest etablierte Grunderscheinung der Welt, die sich in der Allegorie des Teufels personifiziert findet.16 Mit dem Erscheinen der modernen Wissen­­schaften wurde jedoch die Idee des extramundanen, metaphysischen Bösen zum Ver­schwinden gebracht. Naturkatastrophen wie das Erdbeben von Lissabon 1755 provo­zierten angesichts ihrer fatalen Auswirkungen Zweifel an der Idee einer prästabilisierten Harmonie und der Gewissheit, in der besten aller möglichen Welten zu leben, wie es Leibniz noch 1710 in seinen Essais de théodicée formuliert hatte. Metaphysikkritik, Rationalismus und Aufklä­rung sollten einen irreversiblen konzept­ualistischen Umschwung zeitigen und damit einhergehend einen neuen Begriff des Bösen, das nun zunehmend innerweltlich verortet – und somit nicht länger als eine dem Menschen entzogene, über­wirk­liche Kraft verstanden – wird. Es erscheint nun vielmehr als anthro­pologisch begründet, als eine dem Menschen innewohnende okkulte Kraft bzw. eine krankhafte, natürliche Neigung und wird damit zuneh­mend psychologisiert. Damit erweist sich auch aus heutiger Perspektive die Idee eines substantiellen Bösen17 als problematisch. Wie Kapferer beobachtet,

      steht, moderner Wissenschaft zufolge, die Natur, auch wenn sie sich katastrophisch gebärdet, jenseits von »Gut und Böse«. Von »bösen Zeiten« oder von »bösen Zuständen« kann demzufolge nur mit Blick auf den menschlichen Verursacher sinnvollerweise und wissenschaftlich zulässig geredet werden [...]. In der wissen­schaftlich »entzauberten Welt« (Max Weber) der Moderne gab es sonach für »Das Böse« keine Daseinsberechtigung mehr. Vereint im wissenschaftlichen Geist der Moderne schaffen Theologie und Philosophie gemeinsam den Teufel und seine höllischen Spießgesellschaften ab.18

      Wenn im Folgenden der philosophische und vor allen Dingen literaturwissenschaftliche Diskurs19 über das Böse aufgerufen wird, dann weniger in dem Bestreben, den ontolo­gischen Status des Phänomens des Bösen für die Gegenwart zu prüfen, als mit der Absicht, bestehende Theorien (vor allem über die Ästhetik des Bösen) für eine Unter­suchung ästhetischer und ethischer Qualitäten eines Textes fruchtbar zu machen.

      Zur Methodik der vorliegenden Arbeit

      Eine Studie zum Bösen als ästhetischem Phänomen nahm erstmals Karl Heinz Bohrer vor, wobei er sich besonders auf einen Text bezog, der diesbezüglich als paradigmatisch gelten kann: Flauberts Roman Salammbô (1862).20 Um sich also dem Begriff einer Schock­ästhetik zu nähern, wird im ersten Teil der vorliegenden Studie zunächst auf den literatur­theore­tischen Diskurs über das Böse als ästhetische Kategorie nach Karl Heinz Bohrer zurückgegriffen, welcher durch die Überlegungen Sabine Friedrichs21 und Peter-André Alts22 ergänzt wird. Bohrers Konstrukt eines ästhetischen Bösen erweist sich in diesem Zusammenhang insofern als fruchtbar, als er die spezifische Stimmung der schock­artigen Entgrenzung als ein Produkt der literarischen Imagination versteht. D.h. er sucht, die besondere Wirkmacht eines Textes auf konkrete Vertextungsstrategien zurück­zuführen, anstatt sie ausschließlich vom moralisch-ethischen Wertgehalt des Darge­stellten als Skandalon herzuleiten. Der Tatsache, dass sich die Absolutsetzung des Ästhe­tischen im Zusammenhang mit dem Phänomen des Bösen als problematisch erweist, sucht Friedrich insofern Rechnung zu tragen, als sie Bohrers Konzept mit Batailles Prinzip der Trans­gression kombiniert, um dergestalt sowohl semantische, inhaltliche Bestim­mungen des Bösen innerhalb des Textes, als auch jene literarischen Strategien, die diese ästhetisch zersetzen und defigurieren, identifizieren zu können. Auch Alt versteht das

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