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der Kinder einer früheren Beziehung werden. Üblich ist, dass die zweite Frau gegen die Kinder der ersten bzw. die dritte Ehefrau gegen die Kinder der zweiten intrigiert. Dies geschieht aber nicht immer mit Notwendigkeit: es genügt, dass sie in diesem Moment die Ehefrau des Mannes ist bzw. die οἰκοδεσποσύνη hat, damit die Beziehung Stiefmutter-StiefkinderStiefkinder entsteht.

      Das prototypische Beispiel dieser letzten Idee findet sich bei Philostephanos (FHGPhilostephanosPhilosteph.Hist. (FHG) 37 37). InoIno ist in diesem Fall nicht die zweite Ehefrau des Athamas, sondern die erste, und mit ihr hat der Aiolide zwei Kinder, Klearchos und Melikertes. Ino kann selbstverständlich keine Stiefmutter sein. Aus seltsamen und unbekannten Gründen wird Athamas nachher gezwungen, Ino aus dem Hause zu verweisen; dann heiratet der Aiolide Nephele und sie haben zusammen zwei Kinder, Phrixos und Helle. Nephele ist in diesem Moment offensichtlich die Stiefmutter von Klearchos und Melikertes, aber der Text präsentiert – in Zusammenhang mit der Tradition – den HassHass der ‚grausamen Stiefmutter‘ überhaupt nicht; im Gegenteil: Nephele ist eine gute Stiefmutter für sie21HeraHyginusFab. IVNonnos von PanopolisD. IX 316–321. Sie entdeckt jedoch den Betrug ihres Mannes und verlässt ihn. Nun sollte Ino noch einmal als Ehefrau von Athamas gelten, aber dies ist nicht wichtig. Hauptsache ist, dass sie wieder die Kontrolle über das Haus hat (πάλιν δὲ τῆς οἰκίας ἐπικρατήσασα ἡ Ἰνὼ) und Nepheles Kinder, die nach ihren eigenen Kindern geboren sind22, jetzt unter ihrem Befehl stehen. Hier, und nicht früher, kommt das Motiv der grausamen Stiefmutter vor.

      Allerdings ist die üblichste Reihenfolge der Ehen von Athamas diejenige, die Nephele als die erste Ehefrau und Ino als die zweite vorschlägt; diese Reihenfolge ermöglicht, dass Ino als Stiefmutter angesehen wird. Der Fall von Ino fasst alles, was oben über die Stiefmutter gesagt worden ist, zusammen. Erwähnenswert ist, dass HeraHera, die die übliche Anstifterin des WahnsinnWahnsinns wegen der Erziehung von Dionysos durch Athamas und Ino ist, sich meistens so verhält wie Ino. Der folgende Text von Firm. Mat. Err. Prof. Rel. VI 1Firmicus MaternusErr. Prof. Rel. VI 1 bezeugt Junos Hass gegen Liber: Vxor Iouis, cui Iunoni fuit nomen, nouercalis animi furore commota ad necem infantis omnifariam parabat.

      Dieses bedeutsame Thema gibt Anlass zu der ganzen mythischen Erzählung dieser Version, ist aber nicht gleichförmig in seiner Zusammensetzung. Obwohl der Hass der Stiefmutter gegen ihr(e) Stiefkind(er) vorhanden ist und seine Handlungsweise und Wirkungen fast immer dieselben sind, kann man m.W. zwei verschiedene Arten von ‚Stiefmutter‘ erkennen; der Unterschied liegt im anderen Ursprung dieses Hasses: im Motiv des Neides23 und im Motiv der Verliebheit, was auch als Thema von PotipharPotiphar bekannt ist. Diese zwei Ursachen sollen nun ausführlich analysiert werden.

      I.2.1 Das Motiv des NeidNeides

      In diesem ersten Fall konzentriert sich das Thema auf den Neid, den die StiefmutterStiefmutter gegen die Kinder der früheren Ehefrau hegt. Im Mythos von Athamas ist diese Motivierung die Mehrheitsoption der griechischen und lateinischen Autoren, zumindest nach den Informationen der erhaltenen Werke. Allerdings wird der Hass gegen PhrixosPhrixos bzw. HelleHelle selten explizit gemacht, sondern dieser HassHass wird angenommen, weil sie die Stiefmutter der Kinder von Nephele ist1.

      Ein fragwürdiges Element dieser Version ist die Verfahrensweise der Stiefmutter, um Phrixos (und Helle) zu beseitigen: der verbrannte Samen. Im Prinzip versteht man nicht, was der gedörrte Samen mit dem letzten Ziel der Intrige, dem Tod von Phrixos2, zu tun hat. Der Zweck der IntrigeIntrige der Stiefmutter ist die Verursachung einer großen Plage in der Stadt, damit das Orakel in Delphi befragt wird. Dann folgt der zweite Teil des Planes der grausamen Stiefmutter: die Bestechung des Boten. Vor dieser Analyse aber sollte man einen kleinen excursus über die zwei verschiedenen Arten natürlichen Unglücks unternehmen: die Unfruchtbarkeit und die DürreDürre.

      Die erste Plage kommt direkt aus der Bosheit der Stiefmutter; ihr Hauptziel ist die Bestrafung von Phrixos; die zweite Katastrophe aber hat ihren Ursprung in einer möglicherweise noch primitiveren Vorstellung: ein natürliches, nicht von Menschenhand veranlasstes Unglück, dessen Ziel die Hinrichtung Athamas’ ist. Auch Friedländer meint dies, wenn er den Bericht von Schol. in Ar. Nu. 257 HolwerdaScholia zu AristophanesSchol. in Ar. Nu. 257b Holwerda vorschlägt, weil dieser Text der älteren Motivierung näher ist als die jüngere Tradition, die „ganz von dem MärchenMärchenmotiv der bösen Stiefmutter beherrscht“3 wird. Diese zweite Geschichte soll hier sorgfältig untersucht werden.

      Diese zweite Erzählung, die angeblich älter zu sein scheint, könnte ein kultischer Mythos über einen sehr alten Ritus gegen die DürreDürre einer Gegend sein4. Hier findet man die Rolle des Klimas im Mythos. Drei Belege gibt es diesbezüglich: zwei sehr viel spätere Autoren, Eudoc. 25 D’AnsseEudokiaEudoc. 25 D’Ansse (11. Jh. n. Chr.) und Apostol. XI 58ApostoliosApostol. XI 58 (15. Jh. n. Chr.) und verschiedene Scholien zu Aristophanes’ Die Wolken5.

      Der Leser fragt sich, wie man behaupten kann, dass dies eine sehr alte, wenn nicht die älteste Version von allen ist. Der Grund liegt m.E. im Scholion und nicht bei den oben genannten Autoren. Dieses Scholion versucht, die schon analysierte Textstelle von Aristophanes’ Die Wolken6 zu erklären. Der Scholiast überliefert die Geschichte, die in einer der Athamas7 betitelten Tragödien des Sophokles hätte vorkommen können. Immer bleibt der Zweifel an dem genauen Umfang der Andeutung: Wenn die Scholiasten sich darauf beziehen, dass Sophokles auf diese Weise seine Tragödie verfasst hat, berufen sie sich dann auf den ganzen Text oder nur auf den letzten Teil, und zwar auf das Erscheinen eines bekränzten Athamas, der auf dem ZeusZeus-Altar sterben muss? Zweifellos gehört dieser letzte Teil, wie auch die anderen Scholien bezeugen, zu der sophokleischen Tragödie; meiner Meinung nach sollte man auch verstehen, dass der Rest der Erzählung ebenfalls in der Handlung der (zweiten) Athamas-Tragödie von Sophokles vorkam.

      Die Überlieferung findet sich bei Apostolios (15. Jh. n. Chr.), aber auch in den Scholien von Thomas Magister und Triclinius (14. Jh. n. Chr.). Eine ähnliche Geschichte kann man bereits bei Eudokia lesen (9. Jh. n. Chr.). Der Bogen spannt sich also vom 9. Jh. n. Chr. bis zum 15. Jh. n. Chr. Eine solche Tradition bezieht sich jedoch auf ein Werk von Sophokles, der im 5. Jh. v. Chr. lebte. Wenn all diese Belege richtig sind, findet man eine sehr alte Tradition vor, eine, die eine sehr viel spätere Rezension hatte.

      Diese Texte beinhalten einige Schlüsselstellen, die neues Licht darauf werfen können.

      An erster Stelle wird gesagt, dass Nephele (Νεφέλη), deren Name tatsächlich ‚WolkeWolke‘ bedeutet – die Andeutung auf den Regen ist deutlich – nicht stirbt, sondern ἀπέπτη εἰς οὐρανὸν, καὶ τὴν τοῦ ἀνδρὸς χώραν αὐχμῳ̃ ἐκόλασε8. Dies ist die erste von Nephele verursachte Bestrafung, die mit der Eifersucht auf Ino motiviert wird; die zweite Bestrafung konzentriert sich auf Athamas selbst: Nephele bittet um seinen OpferOpfertod wegen seines Verhaltens ihrem Sohn gegenüber. Das heißt, dass sich Nepheles ZornZorn direkt mit der DürreDürre und dem bekränzten Athamas verbinden lässt, der auf dem Opferaltar wegen seiner schmählichen Verhaltensweise sterben muss. Dies erinnert den Leser an den Text von Hdt. VII 197HerodotHdt. VII 1979, in dem ein bekränzter Athamas zum Opfertod auf dem Altar geführt wird. Dieser Beleg könnte das Alter der Legende und den Grund ihres geringen Erfolgs in der griechischen Literatur darstellen: Diese Geschichte wurde mit den örtlichen Traditionen kleiner Stätten in ThessalienThessalien verknüpft und sie hat keinen Widerhall im allgemeinen depositum mythologicum von Griechenland gefunden.

      An zweiter Stelle ist es die DürreDürre, nämlich der Mangel an Regenwasser, das Unglück, das das Land, dessen König bzw. Statthalter Athamas ist, zerstört – darum muss er mit seinem Leben für dessen Schaden aufkommen. Dies wird mit der Eigenart von Nephele, die über das aus dem Himmel kommende Gewässer herrscht10, reibunglos erklärt. Darüber hinaus kann diese natürliche Plage nicht von Menschenhand ausgelöst werden. Deshalb wird die Intrige der Stiefmutter in dieser Tradition ausgelassen – der verbrannte Samen ist immer ein menschliches Werk – und man hängt von der göttlichen Gnade völlig ab. Immerhin behauptet der Text, Νεφέλην θεὰν οὖσαν. Dass

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