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angestrebt, zunächst in der griechischen, dann in der lateinischen Literatur. Vier Verfasser4 können als Hauptautoren für die Entwicklung des Mythos von Athamas betrachtet werden, nämlich die drei griechischen Tragiker Aischylos, Sophokles und Euripides und der große lateinische Dichter Ovid, der als Meilenstein in der Fassung, dem Verständnis und der Überlieferung des Mythos von Athamas gilt. Aufgrund des begrenzten Umfangs dieser Arbeit wird eine ausführliche Analyse der erhaltenen Fragmente der TragödieTragödien Athamas, Phrixos und Ino der griechischen Tragiker unterlassen: Nur die theoretische Untersuchung des Mythos bei diesen Autoren wird vorgenommen. Alle Erwähnungen der Sage des AiolidAioliden bei Ovid werden aber vollständig untersucht. Mit dieser unverkürzten Erforschung wird jede einzelne Textstelle im Detail analysiert: welche Rolle der Mythos spielt, wie er zum allgemeinen Ton des jeweiligen Werkes passt und welches Bild von Athamas dargeboten wird. Wo es möglich ist, wird zugleich versucht, eine Begründung für die dargestellten Varianten des Mythos zu finden. Ich werde mich in dieser Untersuchung der finnischen Schule und vor allem der Werke von Propp bedienen, soweit sie die Analysis der Motive von VolksmärchenMärchen5 betreffen, die aus dem Mythos von Athamas gelesen werden können.

      Das folgende Kapitel behandelt die wichtigen Themen jeder Version. Dabei werden die großen konzeptuellen Bildrahmen, nämlich die Version Ino-Phrixos-Helle (I-P-H), die Version Ino-Learchos-Melikertes (I-L-M) und die Version Ino-Themisto (I-T)6 analysiert.

      Innerhalb der Version I-P-H werden die drei Hauptfiguren dieser Handlung beleuchtet. An erster Stelle steht Phrixos, dessen Geschichte in drei Teile geteilt wird: 1) das Thema der StiefmutterStiefmutter (hier wird auf die Art der IntrigeIntrigen genauer eingegangen); 2) das Thema des MenschenopferMenschenopfers (das spielt in dieser Version des Mythos eine bedeutsame Rolle im Hinblick auf alle Arten von TodesstrafeTodesstrafe, nämlich als VersöhnungVersöhnung, als echte StrafeStrafe, als Katharsis, als ParadigmaParadigma, als EinweihungEinweihung, als Beispiel von UnfrömmigkeitUnfrömmigkeit); 3) das Thema von Phrixos in KolchisKolchis, das OpferOpfer des Widders und das Aushängen seines Vlieses an einem heiligen Ort (dabei spielen auch die GastfreundschaftGastfreundschaft des Königs Aietes sowie die Gründung einer Familie in jenen fernen Ländern eine Rolle). An zweiter Stelle wird die Figur des Widders analysiert, dessen Handlungsfeld mit der geographischen Lokalisierung zu tun hat: HellasHellas, wo der WidderWidder als RetterRetter vorgestellt wird; seine Fahrt, entweder in der LuftLuft oder auf dem MeerMeer; Kolchis, wo er, nach den meisten Quellen, geopfert wurde – sein Fell war der Grund für den FeldzugFeldzug der ArgonautenArgonauten. An dritter Stelle beschäftige ich mich mit Helle, die im Mythos von Athamas lange Zeit als sekundär galt und nur wegen ihres SturzSturzes ins Meer, das von ihr seinen Namen bekam, eine Bedeutung hatte. In dieser Version werde ich von der RationalisierungRationalisierung des Mythos sprechen, da sich alle rationalistischen Deutungen der Erzählung von Athamas auf die Figur des Phrixos, des Widders oder der Helle konzentrieren.

      In der I-L-M-Version werden drei wesentliche Momente unterschieden, die der Entwicklung eines Theaterstückes entsprechen. Erstens: Der Streit und alle daraus entstandenen Übel. Die Ungnade hat einen Namen: DionysosDionysos. Diese Figur und die Beziehung, die sie mit Ino als AmmeAmme hat (die eine besondere Rolle im Mythos von Athamas spielen wird), werden oberflächlich untersucht. Zweitens: Die Entwicklung der Handlung. Sie hat zwei Hauptpunkte: einerseits den Wahnsinn von Athamas, Ausgangspunkt meiner Dissertation; hier wird der Begriff des Wahnsinns (Herkunft, Ursache, Verursacher, Befreiung) analysiert und ich werde zeigen, in welcher Art Athamas als Prototyp des Wahnsinns gelten kann; andererseits den Sprung von Ino mit Melikertes; hier werde ich sowohl über diese zwei Figuren als auch über die verschiedenen Riten, die auf ein Unsterblich-Werden zielten (der Tod im TopfTopf und der Tod im Meer) sprechen. Drittens: Die endgültige Auflösung; hier werde ich von der DivinisierungDivnisierung der Ino und des Melikertes sprechen, sowie von den verschiedenen KultKulten, die beide bekommen haben, entweder unter dem Namen von LeukotheaLeukothea und PalaimonPalaimon für die griechische Welt oder als Mutter MatutaMatuta und PortunusPortunus für die römische Welt, mit allen Problemen, die die Identifizierung dieser zwei Paare von griechischen und lateinischen Göttern impliziert.

      Anschließend werden die Schlussfolgerungen der Dissertation dargestellt, indem meine Gedanken über die Figur des Athamas’ zusammengefasst werden: Welches Bild hatte man von ihm? Wie hat es sich entwickelt? Inwiefern kann er, wie zum Beispiel Cicero sagt, als Prototyp des WahnsinnWahnsinns gelten? Wie viele „Athamas“ kann man im Mythos unterscheiden, obwohl – das muss klar sein – unser Held eine einzige Person ist?

      Als Abkürzungen der Zeitschriften werden die von der Année Philologique benutzt; als Abkürzungen der klassischen Autoren und ihrer Werke werden die vom Diccionario Griego-Español (DGE) verwendet.

      Über den Mythos von Athamas. Fachsprachliche Präzisierung und Vorschlag einer Gesamtdeutung

      Bis jetzt wurde nur vom MythosMythos des AthamasAthamas gesprochen. Nun ist es die Aufgabe zu präzisieren, wie die Begriffe ,Mythos‘, ‚LegendeLegende‘ und ‚populäres MärchenMärchen‘ verstanden werden sollten. Dabei werden die expliziten Unterscheidungen, die Ruiz de Elvira in seiner Mitología Clásica macht, dargestellt; dieses Werk ist ein maßgebliches Buch für den Bereich, der hier analysiert werden soll.

      Tatsächlich definiert Ruiz de Elvira den Mythos mit den Worten „el relato acerca de dioses o de fenómenos de la naturaleza más o menos divinizados“1; die Legende aber mit der Beschreibung „el relato acerca de héroes y heroínas o personajes similares, caracterizados siempre como seres humanos … de notable relieve individual dentro de la colectividad a que pertenecen, y claramente encuadrados en una familia y en una época determinadas, con nombres propios que distinguen a cada uno de esos elementos individuales y colectivos“2; und schließlich das Volksmärchen in Abgrenzung zum Kunstmärchen: „el relato acerca de personajes humanos indeterminados en cuanto a familia, época y colectividad, carentes a veces hasta de nombre individual, si bien también de notable relieve por sus hazañas o cualidades“3. Selbstverständlich entsprechen diese Unterschiede nur rein praktischen Forschungskriterien, da die Grenzen in literarischen Werken nicht so klar sind und die Kriterien zu einem Amalgam vermischt werden.

      Der aus der deutschen Sprache hergeleitetete Begriff ‚Saga‘ wird für die altnordischen4 Mythen- und Heldenerzählungen verwendet, das heißt, ihr Ursprung liegt in der skandinavischen Mythologie, obwohl sich die allgemeine Anwendung dieses Begriffs auf die Erzählung von Schicksalsschlägen einer Familie in zwei oder mehr Geschlechtern5 ausgeweitet hat.

      In der vorliegenden Arbeit wird die Terminologie dadurch erleichtert, dass nur eine konkrete Figur aus der Mythologie und deren AbenteuerAbenteuer untersucht werden. Deshalb können hier ‚Mythos‘ und ,Legende‘ problemlos identifiziert werden. ‚SageSage‘ wird benutzt, wenn ich mich auf Athamas und andere Charaktere des Mythos beziehe. Unter ‚Version‘ wird dagegen ein Teil dieses Mythos verstanden, der eine Einheit in sich bildet und ganz ohne die anderen Teile des Mythos zu begreifen ist6.

      Der wichtigste Punkt dieser Arbeit beruht auf der Unterscheidung zwischen drei verschiedenen Versionen des Mythos von Athamas. Die Figur des AiolidAioliden wird in der Regel im Ganzen global betrachtet, ohne Rücksicht auf die verschiedenen Kontexte. Jedoch ist der Athamas, der in der Geschichte von PhrixosPhrixos und HelleHelle vorkommt, ein ganz anderer Athamas im Vergleich zu dem, der im WahnsinnWahnsinn Learchus umbringt, und zu dem, der ThemistoThemisto heiratet. Die Rolle, die unser Protagonist jeweils in diesen von uns genannten Versionen spielt, ist völlig unterschiedlich: vom Athamas, der ein OpferOpfer darstellt, aber gleichzeitig das Leben seines Sohnes zu retten versucht, über den wahnsinnigen Athamas, Ursache des grässlichen Todes des Erstgeborenen der Ino, bis zu Athamas von Themisto, der sich eher passiv verhält. Deswegen wird Athamas in den drei unterschiedlichen Versionen als homo sacrificanshomo sacrificans, homo furenshomo furens und homo ignauushomo ignauus bezeichnet.

      Es ist wahr, dass Athamas in den drei Versionen seines Mythos erscheint; jedoch ist in all diesen Versionen InoIno die Schlüsselfigur, diejenige, die eine besondere Rolle hat. Die Tochter des KadmosKadmos erscheint nämlich nicht nur in den drei Versionen, sondern ihre Taten sind sogar entscheidend, einerseits weil sie das Opfer des Phrixos durch eine von ihr geplante IntrigeIntrige fördert,

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