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und die Journalisten und die Prominenten sind so postiert, dass sie die feierliche Seite der päpstlichen Maschine sehen können, den Zuschauern auf der Terrasse bleibt der Blick auf die Logistik: Kisten und Gerätschaften werden aus dem Bauch der Maschine entladen, Tausende von Medaillen, Rosenkränze, die päpstliche Garderobe sind darin enthalten, Kelche und was es noch braucht. Ein ganz beträchtliches Frachtgut! Eine grosse Geschäftigkeit! Herr Cahannes ist enttäuscht, er hat den Papst nur kurz im Fadenkreuz gehabt. Dessen Stimme zittert jetzt über die Piste. Die Verstärkeranlage ist weniger gut als jene in Fribourg, welche für 38'000 Franken bei der Scientology-Sekte gemietet worden ist. Fluglärm und Musik.

      Unteressen in Einsiedeln –

      «Dass die vielen teuren, technischen Apparate und Installationen wie auch das ganze Innenleben des Dorfzentrums bewacht werden müssen, ist klar. Die Securitas hat die nicht leichte Aufgabe übernommen und garantiert mit Mann, Funk und Hund für optimale Sicherheit. Sämtliche Notausgänge sind verschlossen, jedoch so, dass sie im Brandfall leicht geöffnet werden könnten. Alp-Jösy als alter Fuchs bei der Securitas hat seine Augen überall und war massgebend beim Überwachungskonzept beteiligt. Nach menschlichem Ermessen ist also für alles vorgesorgt.» (EINSIEDLER ANZEIGER, 15.6.84)

      Pfingst-Dienstag, 22.20, Fribourg. Der Papst ist in dieser bemerkenswerten Stadt angesagt; hat vermutlich von ihrer Schönheit gehört. Anstatt direkt von Zürich nach Fribourg zu reisen, macht er einen zeit- und kräfteraubenden Umweg über Lugano und Genf, wo ihm von den Neugläubigen eine Pendule geschenkt wird, und über Lausanne, wo ihm nochmals eine Pendule geschenkt wird (von der Regierung). Die letzte Uhr wird ihm später in der Klosterkirche Einsiedeln geschenkt werden, es ist eine Gabe der Firma Landis & Gyr; mit der Inschrift: ZEIT IST GNADE. Die buchstäblich Hunderte von Gaben, die dem Papst dargeboten werden, Käse, Edelweiss, Absinth und Bücher, nimmt dieser selbst in Empfang, reicht sie dann fast unbesehen seinem Truchsess weiter, der sie dem Mundschenk weiterreicht, der sie dem Leibarzt überreicht; während die symbolischen Präsente, die der Papst verschenkt, auf einen je nach Geschenk anders modulierten Pfiff des Papstes, einen murmeltierartigen, nur den Eingeweihten vernehmbaren Pfiff, von drei andern Hofschranzen an den Papst weitergereicht werden, der sie dann eigenhändig übergibt. (Vollautomatische Rosenkränze, irisiernde Medaillen etc.) Von seiner Hand reicht er den Schüttelnden, wie man in Fribourg gut beobachten konnte, zwecks Schonung nur den vordersten Teil, etwa einen Drittel, also die beiden ersten vier Fingerglieder der rechten Hand, während er nicht selten mit dem Handballen seiner linken Hand etwas väterlich über den Handrücken seines Händeschlagpartners fährt. Kinder streichelt er sowohl übers Haar wie auch direkt am Gesicht, dieses meist von oben nach unten. Küsse werden auf dem Haar der kleinen Gläubigen angebracht, manchmal auch auf Stirn und Wangen (immer tonlos). Von den Männern haben nur die Kleriker Anrecht auf den Bruderkuss; bei diesen aber nicht nur die Römisch-Katholischen, sondern auch die Griechisch-Orthodoxen, Kopten, Russisch-Orthodoxen, Maroniten, Eremiten, Leviten, Styliten, Anachoreten, Zoenobiten. Die Frauen werden, in kussmässiger Hinsicht, wie Kinder behandelt, ein väterlicher Schmatzer auf die Stirn, ein schnelles Übers-Haar-Streicheln.

      Um 22.25 ist er im Salonwagen angekommen, auf Perron 1. Vom frei zugänglichen Perron 2 aus, wo sich im Moment der Ankunft keine Polizei befand, hätte man ohne Schwierigkeit ein Attentat unternehmen können, um so mehr, als die ganze Bahnhofbeleuchtung gerade rechtzeitig aussetzte. Welche Schande für Fribourg wäre das gewesen: ein toter Papst auf Perron 1. Die Regierung des Kts. Fribourg, die ihn begrüsst hatte, wird begrüsst. Der Papst spricht ein leidliches Franzesisch mit einem hart rollenden r, auch sein Deutsch ist passabel, er pflegt auf polnische Art das ö durch ein e zu ersetzen: Erlese uns von dem Besen. Italienisch soll er auch kennen, dazu etwas Englisch und Lateinisch. Unter den Begrüssenden war Regierungsrat Marius Cottier, der begabte Mirage-Pilot. Er ist Chef der Erziehungsdirektion, und als Cottiers hervorstechendste Eigenschaft wurde von seiner Partei (cvp) während der Wahlkampagne die Tatsache erwähnt, dass er Mirage-Pilot gewesen sei. Ein bekannter Christ und Familienvater. Er hat mit mir in Fribourg studiert, war, wie ich, in einem philosophisch-theologischen Club, den Hans-Urs von Balthasar inspirierte. Was für eine liebe Schlafmütze ist Marius doch immer gewesen! Überall während dieser Reportage die Hände meiner ehemaligen Gschpänli, Regierungsratshände, die von Wiederkehr in Kloten, die von Cottier in Fribourg: die haben Anrecht auf eine Knetung durch den Papst. Nachdem die Regierung begrüsst war, winkte der Heilige Vater oder très Saint Père, wie sie in Fribourg sagten, vom erhöhten Perron 1, eingerahmt durch die Inschriften LA GENEVOISE ASSURANCE und BUFFET PREMIERE CLASSE, dem Volk zu und formte seine Hände zu einem Trichter und rief dem Volk etwas zu, während einige ultramontane Schreihälse immer wieder HALLELUJAH! HALLELUJAH! krähten. Dann preschte die stattliche Wagenkolonne hinauf ins stacheldrahtgeschützte, von Hund und Mann und Funk bewachte, verbunkerte, hochsicherheitstraktmässig geschützte Priesterseminar; wo der Stellvertreter Christi – wieviel Polizei hatte der Religionsgründer bei seinem Einzug in Jerusalem gebraucht? – neuen Händeschüttelungen ausgesetzt und dann nach der Einnahme eines leichten Abendmahls (Fondue Moitié Vacherin, Moitié Gruyère) und dem Aufsagen des kirchlichen Nachtgebets TE LUCIS ANTE TERMINUM/RERUM CREATOR POSCIMUS und der Verabfolgung eines Bruderkusses durch den vampirhaft dreinschauenden Bischof Mamie in den kurz bemessenen Schlaf sank. (Die letzen Worte von Bischof Mamie am Abend des 12. Juni waren: Dormez bien, très Saint Père; die letzten Worte des Papstes: Et vous aussi, cher frère, et soyez prudent avec votre Saugtherapie.)

      *

      Am andern Morgen ging es zeitig aus den Federn (05.30). Nach einer kurzen Waschung (kalt) und einer Anrufung der Vereinigten Müttergottes von Tschenstochau & Einsiedeln wurde, wie jeden Tag, dem Brevier gefrönt. (DOMINE AD ADJUVANDUM ME FESTINA). Dann Gabelfrühstück; reichlich Aufschnitt, Eier, spanische Nierchen, Hafermus, Corn Flakes, kaltes Poulet, Ovomaltine (heiss), Gruyère, Vacherin, Butter, dazu Vollkornbrot und, von den Berner Katholiken dargereicht, Berner Züpfe (aus Kemmeribodenbad). Morgens isst der Papst, so darf man wohl sagen, immer wie ein polnischer Drescher.

      Dann ab in die Kathedrale Saint Nicolas zur Begrüssung des Domkapitels (08.00) und schon um 8.30 hinübergesaust in die benachbarte Kirche der Cordeliers, wo ein Kastratenchor den Papst begrüsst. Kastraten sind eine alte römisch-päpstliche Spezialität. Die Päpste hatten jahrhundertelang etliche von den sangeswilligen, singbegabten Untertanen noch vor dem Stimmbruch kastrieren lassen, damit sie ihre schönen Sopranstimmen das ganze Leben lang behalten konnten; und in Fribourg, dem päpstlich gesinnten, hat sich dieser Brauch insofern erhalten, als jedes Jahr, seit dem Attentat auf den Papst, eine Anzahl von besonders idealistisch gesinnten Vätern ihre Söhne verschneiden lassen, um dem Papst ihre spezielle Wertschätzung auszudrücken. Diese ödipal konstellierte Opfergabe, welche in ihrer gemilderten Form auch als Zölibat, d.h. freiwillige Ehelosigkeit bei weiterbestehender Zeugungsfähigkeit, auftritt, soll dem Vernehmen nach von Johannes Paul II. besonders geschätzt werden.

      09.30 sodann Fahrt im Papamobil zur Universität. Das Papamobil ist ein umgebauter Range Rover, den hintern Teil bildet so etwas wie ein senkrecht stehender, gläserner Sarg oder Reliquienschrein, wohinein der Papst sich nun begibt, damit er, als eine Statue, dem Volk vorgeführt werden kann, hinter schusssicherem Glas. Zwei Seitenfenster stehen offen, damit er winken kann. Neben dem Papst stehen links und rechts zwei Prälaten, die auch ins Volk hinaus winken, obwohl ihnen niemand gewinkt hat. So geht es nun hinauf zur Universität, unter begeisterten Vivats und Acclamationen des Volkes. Das Papamobil ermöglicht eine optimale Zurschaustellung des Nachfolgers Christi. Der Papst besetzt sein Territorium, der ist hier ganz zu Hause, mehr als im heidnischen Rom. Wie kleidsam doch seine weisse Soutane mit dem papstwappenverzierten Zingulum wirkt. So freundlich, ein angenehmer Kopf, und schöne Bewegungen macht er mit seinen Händen, gleich wird er eine Handvoll Bonbons aus den Fenstern werfen (sogenannte Feuersteine).

      Leut-Selig, das ist er. Und wegen der Rede, die er jetzt sofort im Hof der Universität halten wird, mussten für 26'000 Franken neue Schlösser an sämtlichen Türen der Universitätsräumlichkeiten angebracht werden, weil nämlich einige Nachschlüssel im Laufe der Jahre verlorengegangen waren und die Polizei damit rechnete, dass der Attentäter mit traumwandlerischer Sicherheit einen dieser Schlüssel hätte behändigt haben können –. Und dann mit dem Zielfernrohr aus dem germanistischen Seminar –. Im grossen Hof der Universität waren etwa 500 Leute, davon 150 Journalisten, fast keine Studenten,

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