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Lenin dada. Dominique Noguez
Читать онлайн.Название Lenin dada
Год выпуска 0
isbn 9783038550327
Автор произведения Dominique Noguez
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Unter diesen Umständen verstehen wir, dass Lenin keinerlei Wert darauf legte, die Aufmerksamkeit der einen oder anderen dieser liebenswürdigen Bruderschaften oder Klüngel auf sich zu ziehen, ganz zu schweigen von einigen menschewistischen «Genossen» oder Gegnern der Zimmerwalder Konferenz (1915), deren kleinbürgerliche Ansichten er damals gegeisselt hatte und die nun ihrerseits mit Genuss seine nachtschwärmerisch-artistischen Eskapaden dazu verwenden würden, ihm das Kompliment zu erwidern. Ganz abgesehen von einzelnen aufdringlichen Besuchen aus seinem eigenen politischen Lager, wie etwa dieser «Neffe der Genossin Semljatschka», der – wie Krupskaja zu berichten weiss – «so schmutzig und abgerissen» war, «dass die Schweizer Bibliotheken ihm schliesslich den Eintritt verwehrten». Mit seinen regelmässigen Besuchen fiel er Lenin stark auf die Nerven, insbesondere da er «prinzipielle Fragen» mit ihm erörtern wollte.72 Lenin musste also Vorsichtsmassnahmen ergreifen. So wie der Vizekönig in Offenbachs Périchole genoss er die Vorteile seines Inkognitos. Wer die Biografie Lenins auch nur etwas kennt, weiss im Übrigen, dass er nicht abgeneigt war, sich zu verkleiden. «1905 bis 1907 hat er die russische Grenze nur verkleidet passiert», erzählt Ivan V. Pouzyna, indem er sich zum Beispiel als Typograf namens Erwin Weikow ausgewiesen habe und eines Tages sogar «als kirchlicher Vorsänger verkleidet» in Moskau angekommen sei.73 Eine Fotografie in der von der sowjetischen Kommunistischen Partei herausgegebenen Biografie zeigt ihn uns im August 1917 rasiert, geschminkt und mit Perücke (Abb. 3 und 4); wir wissen, dass er sich allein in diesem Monat nacheinander als Arbeiter der Waffenfabrik von Sestrorezk, als Schnitter am Ufer des Rasliw-Sees und als Lokomotivführer zwischen Udelnaja und Finnland ausgegeben hat.74
Abb. 3: Lenin, geschminkt und mit Perücke, August 1917 (Foto: D. Leschtschenko).
Abb. 4: Die Perücke von Lenin (Foto: Roger–Viollet, Paris).
Eine letzte, an sich unwichtige Frage: War Krupskaja auf dem Laufenden oder nicht? Lenin und sie hatten wohl ein Eheleben und teilten nachts das gleiche kleine Zimmer, tagsüber waren sie selten beisammen: Lenin war meist in der Bibliothek,* Krupskaja als Sekretärin im Büro der russischen Emigrantenkasse tätig. Dieses Büro unter der Leitung von Felix Jakowlewitsch machte es sich in Zürich zur Aufgabe, die kranken «Genossen» und Arbeitslosen zu unterstützen.75 Die Kasse des Büros war damals «ziemlich leer», aber an Projekten mangelte es, wie sie selbst sagt, nicht: Ihre Tage waren derart ausgefüllt, dass sie kaum in der Lage war, genau zu wissen, was Wladimir Iljitsch mit den seinen tat. Ein lesenswerter Abschnitt in Das ist Lenin scheint dennoch darauf hinzuweisen, dass sie mehr darüber wusste, als sie gerade zugeben wollte:
* «Er bemühte sich, die Zeit voll auszunutzen, in der die Bibliothek geöffnet war. Morgens ging er Punkt neun Uhr in die Bibliothek und sass bis zwölf Uhr mittags dort (von zwölf bis ein Uhr war die Bibliothek geschlossen); dann ging er nach Hause, wo er genau zehn Minuten nach zwölf Uhr eintraf; nach dem Mittagessen ging er sofort wieder in die Bibliothek und blieb bis sechs Uhr abends, bis sie geschlossen wurde, dort. Zu Hause war es damals nicht sehr günstig zu arbeiten» (Nadeschda Krupskaja, Erinnerungen an Lenin, a. a. O., S. 375).
Er nahm das Leben in all seiner Kompliziertheit und Vielseitigkeit in sich auf. Bei Asketen aber kommt das ja wohl kaum vor.
Am allerwenigsten war Iljitsch – mit seinem Verständnis für das Leben und die Menschen, mit seiner so leidenschaftlichen Einstellung zu allem – jener tugendhafte Spiessbürger, als der er jetzt zuweilen dargestellt wird: ein mustergültiger Hausvater mit seiner Gattin, mit Kindern; Bilder der Angehörigen stehen auf dem Tisch, da ist ein Buch, ein wattegefütterter Hausrock, ein schnurrender Kater sitzt auf seinen Knien (…). Es wäre besser, weniger solche Sachen zu schreiben.76
Interessanterweise zitieren im Oktober 1930 die jungen Redakteure der zweiten Ausgabe von Surréalisme au service de la Révolution das Wichtigste dieser Passage, so als ob sie – scharfsinniger als die Zürcher Dadaisten – erraten hätten, wie nahe der wirkliche Lenin einigen der ersten Avantgarden Europas stand.77
Fügen wir dem noch eine eingeschobene Bemerkung derselben Krupskaja an:
Zwar war unser Zimmer hell, aber seine Fenster gingen auf den Hof hinaus, in dem es fürchterlich roch, weil sich dort eine Wurstfabrik befand. Nur spät nachts konnten wir die Fenster öffnen.78
Natürlich bedeutet dies nichts, aber es klingt in diesem Nichts doch die Möglichkeit an – was sage ich? –, die Glaubwürdigkeit, ja die Wahrscheinlichkeit von abendlichen Besuchen im benachbarten Cabaret Voltaire, und wäre es nur anlässlich der berühmtesten Soireen (am 3. Juni etwa oder am 23. Juni 1916), als es während der heissen Sommernächte in der ärmlichen Wohnung an der Spiegelgasse 14 schwierig wird, ein Auge zu schliessen, gequält von den Dämpfen der Wursterei.
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