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ihr leben?»

      Schlatter steht auf der Laube und überragt den Wyssler um einen Kopf. Er sieht hager und verbraucht aus, aber auch zäh. Wyssler Jakob, um fast zehn Jahre jünger, wirkt klein und gedrungen neben ihm. Er fühlt sich müde, er hat heute noch nichts gegessen. Jakob starrt den steilen Hang mit den vom Vieh ausgetretenen Pfaden hinab und studiert an einer Antwort herum. Unten am Waldrand stiehlt sich ein Fuchs aus dem Gestrüpp. Die Sonne hat sich durchgesetzt, die Schneefelder und das feuchte Gras glitzern. Schliesslich wiederholt Jakob, er sei Schuhmacher.

      Der Fuchs hat sich vom Gestrüpp auf die Wiese hinausgewagt und läuft vorsichtig geduckt über ein Schneefeld. Weiter hinten drängen sich die Schafe gegen den Stall.

      «Zwei Geissen würde ich mitbringen», fährt Jakob fort, weil Schlatter schweigt, «so haben wir eigene Milch. Kräftige und junge Geissen, der Kauf ist schon so gut wie ausgehandelt. Heute ist die Geissmilch weit herum begehrt. Die Leute verlangen überall danach, sogar die Ärzte loben sie. Was wir im Haus nicht brauchen, wird verkauft.»

      Schlatter starrt ihn aus reglosen Augen an und rührt sich nicht. Je unwohler Jakob sich unter dem strengen Blick fühlt, desto mehr redet er. Noch einmal schwärmt er von den Geissen, die jung und rüstig seien und die er trächtig auf den Schafberg bringen will. Aus den Augenwinkeln heraus beobachtet er den Schlatter. Von den Geissen scheint dieser angetan, auch wenn er es nicht zu erkennen gibt.

      «Man muss schauen, ob das nicht mehr einträgt als die Schafe», wirbt Jakob weiter. «Zwei Geissen zu Beginn, vielleicht auch drei. Wer weiss, vielleicht willst auch du später Geissen. Ein Gitzi von den unseren kann ich dir überlassen im nächsten Frühling.»

      Als er geendet hat und von Schlatter nichts kommt, wendet Jakob sich ab. Die Unterarme auf die Holzbrüstung gestützt, blickt er den Hang hinunter und wartet. Ihm scheint, dass Schlatters Augen vorhin etwas zu glänzen begonnen haben.

      «Futter und einen Platz im Stall für eine oder zwei Geissen, das könnte man in einen Akkord schon hineinnehmen», meint Schlatter nach einer Weile. «Aber von zwei Ziegen hat noch nie eine Familie gelebt. Wie kann ich da wissen, ob du später zinst?»

      Jakob fängt noch einmal an, nun etwas ruhiger. Von seiner Arbeit als Schuhmacher, von der Frau, die gut nähen kann und manchmal Flachs annimmt. Er selber sei bei den Bauern gefragt als Taglöhner, auch hier in der Gegend werde es das eine oder andere Mal an kräftigen Händen mangeln.

      Was er wirklich möchte, denkt Jakob, während er spricht, wäre Arbeit bei der Eisenbahn unten im Tal. Oder sonst in Steinen oder in Signau, überall werden Felder trockengelegt und Bäche reguliert. Denn das Taglöhnern bei arroganten Bauern und zuunterst am Tisch eine schlechte Suppe Essen kennt er nur zu gut. Seine ganze Kindheit hindurch ist er verdingt gewesen. Hingegen wenn Res selber Hilfe benötigte hier im Haus, das wäre etwas anderes. Jakob blickt der Laube entlang zum Stall und findet, dass allein doch kein Wirtschaften sein kann auf diesem Hof. Aber vorläufig sagt er lieber nichts. Er weiss nicht, wie Res über die Sache denkt.

      Schlatters wässrige Augen sind abwartend auf ihn gerichtet geblieben. Deshalb spricht Jakob schliesslich vom Bruder der Frau, den sie als Bürgen stellen können. Endlich nickt Schlatter zustimmend.

      «Wir können schauen, ob wir einig werden.»

      Sie gehen zurück ins Haus und in Schlatters Stube, wo Jakob ein Stuhl am Tisch angeboten wird. Vorsichtig nimmt er auf der Kante Platz und faltet seine Hände sittsam auf den Knien. So einer wie Res, der einem lächerlich scheint mit seinem finsteren Gehabe und hölzernen Getue, will ernst genommen werden. Man denkt, der merkt nicht viel, schwerfällig, wie er tut. Gerade so einer ist aber vielleicht empfindlich.

      Wenn Wyssler einen Anteil Stall und Heu für die Geissen brauche, so wäre das schon zu richten, sagt Schlatter nun. Er könnte einen Platz im Stall freimachen und auf der Heubühne finde sich ein Winkel für einen Einschlag Heu. Von sich aus kommt Schlatter auf Obstbäume zu sprechen. Acht Apfel- und drei Birnbäume stehen in der Hostet. Man könne ein paar Bäume in den Akkord aufnehmen, wenn Wyssler das wünsche. Für 25 Franken wolle er ihm alles überlassen, und zwar Stube, Gaden, Anteil Küche, Pflanzland, Anteil Stall und Bühne.

      Die Sache scheint gewonnen, auch wenn der Mietzins unverschämt ist. Jakob sagt, der Handel sei ihm so recht.

      Es ist ein ganz anderes Gehen den Berg hinab, und dass die Füsse dabei nass werden, kümmert Jakob nicht. Erleichtert und zufrieden zieht er aus und springt geschickt von Stein zu Stein. Er weiss, an den meisten Orten, wo er hinkommt, mag man ihn. Und manchmal kann er recht gut reden wie eben vorhin mit dem Schlatter, der bestimmt nicht einfach zu gewinnen ist. Der Schlatter hat nicht nur einen Akkord versprochen, sondern auch gemeint, er könnte beim Kauf der Geissen helfen. Der Vorschlag von den Geissen hat ihm gefallen. Dreissig Franken, überlegt Jakob, bräuchte er für zwei Geissen, aber auch die Übersiedelung wird kosten. Er wird den Schlatter um fünfundvierzig Franken bitten. Dazu braucht er Res’ Vertrauen, der Bürge im Rücken wird helfen, trotzdem muss er sich bei ihm anstellig machen. Zu lügen braucht er nicht, er ist kein fauler Mensch und auch kein Taugenichts. Gleichwohl, in Ursenbach gäbe ihm keiner das Geld, man weiss dort viel zu gut, er ist ein armer Schlucker.

      Mit Res wird auszukommen sein, man muss nur wissen, wie ihn nehmen. Guter Dinge macht Jakob nochmals bei Schlatters Schwestern halt, nur um zu melden, Resli sei wohlauf. Auch wenn sie Jakob, als er in ihrer Stube steht, etwas skeptisch mustern, die alten Frauen freuen sich gewiss, dass einer sie besucht.

      Hat Jakob also Aussicht auf anständiges Logis im Hause eines Vetters, bei dem vorhanden ist, was es zum Leben braucht? Welch günstiger Beginn, doch sei der Tote nicht vergessen, der auf dem Schafberg lag, nur kurze Zeit danach.

      Von Amtes wegen untersuchte Richter Ingold das Geschehen, bestrebt zu klären, was auf dem Schafberg vorgefallen war. Sorgfältig wurden die Örtlichkeiten nach Spuren abgesucht, Aufklärung zum Toten fand man nicht. Es wurde deshalb, wer zu der Sache Auskunft geben konnte, nach Langnau einbestellt und daselbst einvernommen. Auch zeigte manch einer von sich aus an, was er zum Schafberg wusste – oder zu wissen glaubte, und war es nur vom Hörensagen.

      Des Weiteren vernahm Landjäger Ambühl, oftmals in amtlichen Geschäften unterwegs, auf seinen Gängen etliches Gerede. Was an Gerüchten zu ihm drang und was bekannt war zu den Leuten, hinterbrachte er alsdann dem Richter.

      März 1860

      Die Frühlingssonne wärmt Res den Rücken, während er Pfähle, die er im Herbst zur Seite gelegt hat, spitzt. Er hat die düstere Stube gern verlassen. Wer kann, werkt nun im Freien und gönnt der winterbleichen Haut die Sonnenstrahlen. Aus der Ferne sind Menschenstimmen zu vernehmen, die heute harmlos klingen. Bevor Res das nächste Holz zur Hand nimmt, streckt er für einen Augenblick den Rücken. Mit dem Zaun will er warten, bis Wyssler da ist. Der sollte nächstens kommen und kann ihm zur Hand gehen. Zu zweit, mit einem, der den Pfahl gerade hält, und einem, der zuschlägt, geht die Sache schneller.

      Res denkt jetzt ab und zu an Wyssler. Ausser der Mutter hat er nur wenige Menschen neben sich geduldet, aber auf den Wyssler freut er sich. Seine zutraulich blickenden braunen Augen, so einer wird nicht frech und verspottet einen nicht. Res wischt Schneereste vom Holz, bevor er den nächsten Pfahl in die Hand nimmt. Der Wyssler ist keiner, der aufbegehrt oder seinen Meister nicht kennt. Gut möglich allerdings, dass er im Glauben wenig standhaft ist. Allerorten nimmt der schädliche Einfluss zu, nicht nur in der Stadt, wo die Radikalen längst das Sagen haben. Auch in Signau unten ist die ­Sache bös.

      Dem Wyssler jedenfalls, wenn er dereinst gekommen ist, kann Res im Glauben eine Stütze sein.

      Meist ist es während der Arbeit, dass ihm der neue Gehausmann in den Sinn kommt, es gibt vieles, was vier Hände besser bewerkstelligen als zwei. Man weiss zwar nicht, was der Wyssler taugt, aber einen Taglöhner im Haus zu haben, wird die Sache vereinfachen. Res stellt sich vor, wie sie gemeinsam das Land abschreiten, um die nächste Arbeit zu besprechen. Das hat Res früher mit dem Vater gemacht, doch diesmal ist er der Meister.

      Res lehnt die fertigen Zaunpfähle gegen die Schopfwand. Er muss sich an einem Holz verletzt haben, seine Knöchel sind aufgeschürft, Res wischt sich

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