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und Verwaltungsbezirken getroffen. Es waren schwierige Jahre, damals nach 2015, als die Ankünfte der Flüchtlingsboote stetig zunahmen: Einerseits trat die italienische Regierung über die Präfektur3 von Reggio Calabria ständig an uns heran, um uns trotz beschränkter Plätze um die Aufnahme von Menschen zu bitten, während andererseits dieselbe Regierung in Form des Innenministeriums uns die nötigen Mittel verweigerte, um den Gästen menschenwürdige Standards bieten oder die Gehälter des Fachpersonals zahlen zu können. Trotz aller Schwierigkeiten haben wir alles versucht, um Wege der Integration für unsere Gäste zu entwickeln.

      Kurz nach ihrer Ankunft hatte Becky, so wie viele andere auch, begonnen, sich mit dem Italienischen vertraut zu machen, einen Beruf zu erlernen und sich einer Welt zu öffnen, die völlig anders war als die, die sie bis dahin gekannt hatte. Sie entpuppte sich schnell als fröhliche junge Frau, die ganz von dem Wunsch erfüllt war, sich eine Zukunft aufzubauen. Leider erlitten ihre Träume mit den Auswirkungen des Minniti-Orlando-Dekrets,4 das in erster Linie das Ziel hatte, die Zuwanderung zu beschränken und Rückführungen zu erleichtern, sowie mit der endgültigen Ablehnung ihres Asylantrags einen herben Rückschlag. Wenn sie nicht diesen entsetzlichen Tod gestorben wäre, hätte sie wahrscheinlich nicht in Italien bleiben dürfen, sondern wäre in ihre Heimat abgeschoben worden.

      Am 22. Dezember 2017 kam Becky zu mir ins Rathaus, um ihren Personalausweis zu erneuern, den sie bei einer Busfahrt verloren hatte. Im »Globalen Dorf« – dem Herzen der Altstadt, in dem sich auch die Häuser des Willkommens befinden – hatte sich bereits die Nachricht verbreitet, dass das CAS-Projekt bald geschlossen werden würde, und ohne Ausweis lebte Becky riskant, denn wenige Tage später wäre ihre Aufenthaltserlaubnis abgelaufen. In ihren Augen war dieses Stück Papier auch die Bestätigung, dass sie ein Mensch war, es war ein Beweis ihrer Identität, ein Zeugnis, dass sie keine Kriminelle, kein Phantom und keine Illegale war. Becky kannte ihre Rechte: Ich erinnere mich noch gut daran, wie sie Silvester 2016 in Riace bei einer Protestaktion, weil der Staat wieder einmal mit der Bereitstellung der finanziellen Mittel für Aufnahme und Integration im Verzug war, in der ersten Reihe stand.

      Als ich sie fragte, ob sie die notwendigen Passbilder dabeihatte, lächelte sie und zog sie prompt aus der Tasche. Sie beteuerte mehrmals, dass sie den Ausweis wirklich verloren hatte, dass sie einfach unachtsam gewesen war, dass ich ihr wirklich glauben müsse. In einer kleinen Gemeinde wie Riace kann der Bürgermeister in Ausnahmefällen die Aufgaben des Standesbeamten übernehmen. Tatsächlich war dieser wenige Monate zuvor in Pension gegangen, und ich hatte interimsmäßig sein Amt ohne Besoldung inne, wie vom Gesetz vorgesehen. Ohne viel Federlesens stellte ich Becky Moses den Ausweis aus und setzte meine Unterschrift darunter. Noch heute bin ich stolz auf die Tatsache, dass mein Name auf diesem Ausweis steht.

      Becky lächelte, als sie an diesem 22. Dezember 2017 mein Büro verließ. In diesem Lächeln, in dem auch Verzweiflung lag, fand ich die Kraft, dem damaligen Präfekten von Reggio Calabria, Michele Di Bari, einen Brief zu schreiben. Es war ein harter Brief, und ich teilte ihm darin mit, dass die Gemeinde Riace das Ankunftszentrum mit sofortiger Wirkung nicht mehr weiterführen konnte, weil unabdingbare Voraussetzungen fehlten, um lebensnotwendige Dienstleistungen sicherzustellen. Es war gefährlich, weitere Menschen aufzunehmen, weil wir in den Häusern keinen elektrischen Strom mehr hatten, und keine Mittel, um Medikamente und Nahrung zu kaufen, wie etwa die Milch für die vielen Kinder, die wir beherbergten. Ich beschrieb unsere Situation, in der wir die Achtung der Menschenwürde nicht mehr gewährleisten konnten, auch wenn das bedeutete, dass unsere Gäste anderswohin transferiert wurden, in andere CAS-Projekte, wo es diese Schwierigkeiten vielleicht nicht gab. Diesen Brief schrieb ich auch, um Probleme mit der öffentlichen Ordnung zu vermeiden.

      Wenige Tage später, am 3. Januar 2018, war Beckys gesetzlich geregelte Aufnahmezeit in Riace abgelaufen. Bei ihrem Besuch in der Gemeinde hatte sie mir erzählt, dass sie wahrscheinlich nach Neapel gehen würde, wo sie Freunde hatte, oder auch nach San Ferdinando,5 in die Slumsiedlung zwischen Gioia Tauro und Rosarno – ein Tummelplatz für Mafia und »Caporali«,6 und eine Schande für den italienischen Staat. In dieser illegal errichteten Barackenstadt wohnten Landsleute von ihr, die bereit waren, sie ein paar Tage zu beherbergen. Wer weiß, ob diese Freunde ihr am 11. Januar, dem Tag ihres 26. Geburtstags, alles Gute gewünscht haben.

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      Es ist kalt im Januar, in der Ebene von Gioia Tauro. Man ist mit vielen anderen zusammen in einer Baracke untergebracht, wo es nicht mehr als ein paar alte Decken oder ein Feuer gibt, um sich zu wärmen. Vielleicht hatten Beckys Freunde ein Lagerfeuer neben ihrem Zelt entzündet, vielleicht schafften sie nicht, es unter Kontrolle zu bringen: Die Plastikplanen und Holzbalken, mit denen die Baracken gebaut sind, brauchen nicht viel, um Feuer zu fangen.

      Becky starb bei einem Brand unklaren Ursprungs, am 26. Januar 2018, kurz vor zwei Uhr nachts. Zwei Freundinnen, die sich mit ihr im Zelt befanden, wurden schwer verletzt ins Krankenhaus von Polistena eingeliefert, eine von ihnen später ins Zentrum für schwere Verbrennungen im Krankenhaus von Catania. In den Überresten des Feuers, das sich schnell ausbreitete und auch auf andere Zelte in der Nähe übergriff, fand man Beckys Personalausweis. Mit ihrem Foto, den großen Augen, den hohen Wangenknochen, den welligen, langen Haaren, die ihr Gesicht umrahmten. Und mit meiner Unterschrift. Erst einen Monat zuvor hatte ich ihr dieses Dokument ausgehändigt, hatte gesehen, wie sie lächelte vor Freude über ihre zurückeroberte Identität.

      Die Erinnerung an sie bleibt für immer. Sie wurde auf dem Friedhof von Riace beigesetzt, in einer Grabnische in einer der oberen Reihen. Man muss den Blick zum Himmel heben, um ihr trauriges Gesicht zu sehen.

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      Heute ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen mich, wegen der Verfahren und bürokratischen Praktiken, die wir in Riace angewandt haben. Wenn mich eine Schuld trifft, werde ich die Verantwortung übernehmen. Wer aber übernimmt die Verantwortung für den Tod von Becky Moses? Wer sind die Schuldigen? Wie kann es sein, dass ein Mensch ohne Hoffnung in der Hölle von San Ferdinando landen muss? Wie kann es sein, dass die Ablehnung eines Asylantrags den Tod bedeutet? Welchen Wert hat das Leben von Becky Moses? Diese Gedanken quälen meine Seele, sie sind mein Albtraum.

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      Wenige Monate nach Beckys Tod, in der Nacht vom 2. auf den 3. Juni 2018, forderte das Elend ein weiteres Opfer. Sein Name war Soumaila Sacko, er wurde erschossen.

      Sein Tod ist in vielerlei Hinsicht mit dem von Becky verbunden: Nach dem Brand im Januar, der nur einer von vielen war, wollten viele Bewohner der Barackenstadt die Plastikplanen abreißen und feuerfeste Materialien für ihre Hütten benutzen. Der Junge aus Mali, der als Aktivist der Basisgewerkschaft USB (Unione sindacale di base) für die Rechte der afrikanischen Erntehelfer kämpfte, wusste von einer verlassenen Ziegelfabrik bei San Calogero, nicht weit von der Barackenstadt entfernt, in der unbenutzte Wellbleche lagerten. Mit zwei Freunden, Madiheri Drame und Madoufoune Fofana, war er in die Fabrik eingedrungen, um die Bleche zu holen.

      Einer der beiden Überlebenden hat bezeugt, dass ganz plötzlich ein Stück entfernt ein weißer Panda hielt, dem ein »weißer Mann« entstieg. Er hatte ein Gewehr, schoss zunächst auf Soumaila und traf ihn in den Kopf, und anschließend auf Madiheri, den er am Bein verletzte. Mein Freund Peppe Marra, der mit Soumaila in der Gewerkschaft aktiv war, präzisierte später, dass der Schütze viermal gezielt hat, aus einer Entfernung von 150 Metern. Dann machte er sich aus dem Staub, und Madoufoune schlug Alarm. Die Fahrt ins Krankenhaus war vergeblich: Soumaila starb, ermordet vom weißen Mann.

      Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Buchs7 ist der Prozess vor dem Schwurgericht in Catanzaro im Gang, und der 43-jährige Antonio Pontoriero aus San Calogero ist der vorsätzlichen Tötung sowie des illegalen Besitzes und Tragens von Waffen und Munition angeklagt. Als Neffe eines der ehemaligen Fabrikbesitzer habe er auf die drei Jungen geschossen, weil er überzeugt war, der »Besitzer« des verlassenen Gebäudes zu sein. Zusammen mit weiteren Mitgliedern seiner Familie, die von der lokalen Presse auch mit dem ’Ndrangheta-Clan der Mancuso in Verbindung gebracht wird, kontrollierte er

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