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      »Audre Lorde, die Amerikanerin« ist nicht ganz falsch, doch wird dabei meist nur an die USA gedacht. Dass ihre Eltern Migrant*innen aus Barbados und Grenada waren, wird meist verschwiegen. Wir reden über ihre Berlin Years, aber nicht darüber, dass sie in der Karibik mit ihrer Lebenspartnerin bis zu ihrem Tod lebte – ihre Saint Croix Years ent_nannt.

      Mein zweites Schwarz, wie ich meine Afrolatinidades liebevoll nenne, ist durch schmerzhafte Begegnungen zu mir gekommen. Hat sich mir als Offenbarung des Andersseins enttarnt, mich mit all meinen Facetten sichtbar gemacht und aufgenommen.

       NICHT NOCH SO ’NE KOLONIALSPRACHE!

      »Ich werde mein Englisch verbessern, um bell hooks im Original zu lesen!«, verkündet der light skinned Bruder aus reichem deutschen Elternhaus. Die Geschwister nicken zustimmend. Ein richtig wichtiger Schritt, da sind sich alle einig. Sprache – der Schlüssel, um sich mit Verwandten in ihrer Muttersprache unterhalten zu können.

      »Mein Ziel«, sage ich, als ich an der Reihe bin, »Spanisch flüssig sprechen zu können, Versuch Nummer 45645322.« Gerade möchte ich ausholen, was dies für mich bedeuten würde, will von meiner Tía erzählen, die mich seit meiner Geburt begleitet und mit der ich noch nie ein tiefgreifendes Gespräch führen konnte.

      Doch der Bruder ist schneller: »Noch so eine Kolonialsprache!«

      »Sorry?«, fragt die Schwester aus den Staaten und versteht nicht. »They said they want to learn Spanish as if learning another colonial language would help!«

      Das Gespräch wird auf Englisch weitergeführt, während ich versuche herauszufinden, worin der Fehler meiner Herkunft liegt.

      Die anderen wechseln das Thema, die Schwester berichtet von verschiedenen Begriffen aus dem AAE, African American English. Alle lernbegeistert, Englisch ist für sie irgendwie doch die Schwärzeste Sprache. Ich trotte mit, finde weder in meiner Geburtssprache noch im Deutschen die richtigen Worte, Silben, Ausdrücke, um zu unterbrechen – zu hinterfragen und mir Gehör zu verschaffen.

       DIE KOLONIALE LÜGE

      Diese Sprachlosigkeit prägte meine Jahre innerhalb der Berliner Schwarzen Community. Es ist, wie es meistens ist: Helle, klassenprivilegierte Männer mit leicht verdaulicher Migrationsgeschichte übernehmen das Ruder, führen an, gelten als bessere Posterchilds des Afrodeutschseins. Formulieren ihre Bedürfnisse betont unmigriert, wechseln flüssig ins Englische, fühlen die US-amerikanische Befreiungsgeschichte, als wäre es ihre eigene. Sie entkomplexisieren – solange sie eben cis, hetero, anglophon, unmigriert und möglichst nicht behindert sind. Die Falschannahme: »Jene sind doch fast schon ein weißer westlicher Mann! Sobald er deutsch genannt wird, ist es vollbracht, der Rassismus beendet!«

      Um das gleich klarzustellen, mir ist bewusst, dass dem nicht wirklich so ist, diese Annahme beschreibt nicht wirklich die Lebensrealität Schwarzer Männer. Das Gesundheitssystem, tägliche Rassismen, der Schul-, Ausbildungsund Arbeitsmarkt sehen das anders. Ich glaube nicht, dass die interne, unbeabsichtigte Hierarchisierung in den Schwarzen Bewegungen auf tatsächlichem Erfolg der Strategie des Aufgebens des kulturellen Selbst beruht. Sondern darauf, dass uns etwas vorgegaukelt wird. Wie Julian Rendell, eine afrodominikanische queere Stimme, unverblümt aussprach: »Du kannst nicht so hart arbeiten, dass du dein Trauma dadurch ausstichst.«14 Sollten also vermeintliche Erfolgschancen im westlichen System der Maßstab sein für die Auswahl jener, die für uns als Stellvertreter*innen sprechen dürfen? Schließlich existieren Kolonialismus und Rassismus nicht etwa aufgrund eines Mangels an Kreativität oder Zielstrebigkeit seitens unserer Vorfahr*innen. Auch das ist die koloniale Lüge: Du bist einfach noch nicht entwickelt genug, um auf derselben Stufe wie der weiße Mann zu leben, hopp, streng dich an, lass jene Communityleader werden, die Weiße am ehesten hinnehmen können.

      Ich befreie mein zweites Schwarzsein nach und nach aus der starren europäischen Hülle. Vibriere, lass meine Hände fliegen beim Sprechen, das R rollen, so gut es Dominikaner*innen eben können. Beginne daran zu arbeiten, mich für spanische Leihwörter ebenso wenig zu entschuldigen wie für englische. Es ist ein un_heimlicher, unwegsamer Weg, doch habe ich Weggenoss*innen, die mir durch Bücher die Hand reichen. Ganz ohne den Zwang, gleich zu klingen.

       DIE WUT, DIE MICH DAS AFRODEUTSCHE HEIMATGEFÜHL KOSTETE

      Vor Wut brodelnd komme ich von oben aus meiner alten Wohnung unten am Umzugs-LKW an, will mir in diesem temporär Schwarzen Space Luft machen, nachdem mir nach meinem Umzug klassistische und rassistische Entmenschlichung an dem Ort passiert sind, der der erste war, den ich je Zuhause genannt habe. Rede, so, wie ich nun mal rede. Augenrollend, Haare zurückwerfend und mit spanischen Schimpfwörtern, die alle nicht besonders nett, aber zugegebenermaßen unterhaltsam sind. Schwarze Wut wird auch kapitalisiert, weil wir es schaffen, in unserer Wut weiterhin kreativ zu bleiben, mit Worten, Ausdrücken und den Details unserer Gefühle. Latinx werden mit spezifischen Stereotypen der Heißblütigkeit degradiert, dabei ist es die Kombination Schwarzer Wut mit spanischer Geschwindigkeit, die es uns ermöglicht, besonders genau wunde Punkte zu treffen, wenn die Unterdrückung es von uns verlangt. Einfacher gesagt: Afrolateinamerikanische Wut ist wie Feuer, gefährlich, wunderschön und nichts für Unbedarfte.

      »Wow – stopp«, sagt der mir fremde Bruder zu mir, ich stocke. »Warum redest du so?«, fragt er.

      »Wie – so?«, frage ich irritiert.

      »So –«, er macht flapsige Gesten mit seinen Händen, die wohl mein Reden mit den Händen nachahmen sollen, erbärmlich.

      »So aggressiv!«, bekräftigt er.

      Ich erkläre ihm ruhig, dass Schwarze Wut viele kulturelle Hintergründe haben könne, dass wir von klein auf lernen, Wut zu zeigen und keine Wut scheint mir in meinem Leben schöner und lebensbejahender als der Zorn meiner dominikanischen Familie aus der Favela, den Wellblechhütten Santo Domingos. Egal, wo wir heute wie leben. Unser Zorn verweigert die Integration, eine dekoloniale Freiheitsbewegung. »Mach das mal nicht«, antwortet er.

      Ich lache nur ungläubig.

      »Schließlich kommen wir nicht alle aus der Favela … dem Ghetto.«

       WIDERSTÄNDIGKEIT AUF EIGENE KOSTEN

      Das Zurückdenken an die Abschätzigkeit des Bruders lässt mich noch heute aus der Welt fallen. Dies war der Haarriss, der sich im Laufe des Jahres zu einer Kluft entwickeln sollte, zwischen mir und der afrodeutschen Berliner Community. Mein Blick veränderte sich, ich sah die Klassendifferenz zwischen meiner Familie und den Familien derer, die den Ton angaben, deutlicher. Fühlte mich schlechter bei der Antwort »Deutsch, ich bin deutsch, Schwarze Deutsche, deutschdeutschdeutsch« auf die Frage Wokommstduher. Sie erschien mir nicht mehr clever und stark, sondern gestreamlined. Ein Anglizismus, wieder, auch ich habe gelernt, mich durch Englisch im Deutschen auszudrücken. Gestreamlined ist die absurde Annahme: »Wenn wir als Schwarze Deutsche™ stets geschlossen und gleich handeln, dann, ja, dann überwinden wir den Rassismus. Wenn wir uns niemals als afrikanisch, karibisch, migrantisch verorten, dann werden sie es lernen.«

      Was mich viel eher beschäftigt: Was macht es mit mir, mich so zu verpacken, zu ent_nennen? Ich werde gesehen, durch Milchglas auf Milchglas, am Telefon die Spanier*in wegen des Nachnamens, äußerlich die Afro-US-Amerikaner*in, da Schwarzsein und Deutschsein nicht passen. Im Schwarzen deutschen Raum privilegiert und ent_nannt zugleich. Hell genug, um herzuhalten für gute Repräsentation, bis ich den Mund aufmache und dann zu laut, zu schnell, zu bildlich rede.

       DIE ANTWORT VERWEIGERN ODER DAS VERWEIGERN VERWEIGERN?

      Ich finde es cool, wenn Schwarze Kids sich im Angesicht rassistischer Herkunftsfragen als deutsch bezeichnen. Aber es ist auch kein Scheitern, sich nicht so zu verorten, das macht weder dich noch mich weniger

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