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Rassismus auf struktureller Ebene nicht in derselben Härte wie Schwarze Menschen mit zwei Schwarzen Elternteilen. Ich hatte das Glück, dass Familienmitglieder und Freund*innen, die Schwarze Eltern haben, ihre Lebensrealitäten mit mir teilten. Sie sind der Grund, warum ich glaube, meine Privilegien zu kennen. Sie sind der Grund, warum ich jeden Tag dazulerne. Ich danke ihnen für ihr Vertrauen.

       SCHWARZ UND/ODER AFRIKANISCH?

      Privilegien sind ein flexibles Konstrukt. Sie folgen nicht immer einer klaren Logik und können sich je nach Verortung ändern. Deshalb möchte ich über mehr schreiben als nur mein biracial privilege. Dieses Thema eröffnet viele Fragen zu sozialen Klassen, Ethnizität und Nationalität, zum Geschlecht, aber auch zu Rassismus, Colorism und den Folgen des Kolonialismus. In Deutschland und weltweit. White Supremacy greift in Afrika genauso wie hier. Togoles*innen müssen sich heute rumschlagen mit Neo-Kolonialismus, einem korrupten Wirtschaftssystem und einer Familie, die seit über 50 Jahren an ihrer Macht festhält. Eine Zukunftsplanung ist vielen unmöglich, weil die Jobs fehlen. Dafür gibt es einen Grund: koloniale Kontinuitäten. Mein Privileg hier wie dort bildet sich aus den Überbleibseln des Kolonialismus und der von ihm geschaffenen Weltordnung. Oft bleiben wir in antirassistischen Diskursen an den Grenzen Deutschlands hängen. Sollte unser übergeordnetes Ziel nicht sein, die Ausbeutung unserer Geschwister weltweit zu stoppen? Als Afrikaner*innen der Diaspora bewegen wir uns in einem dritten Raum, sind nicht ganz hier und nicht ganz dort. Uns stehen oftmals andere Ressourcen zur Verfügung als unseren Landsleuten vor Ort. Das ist eine Chance. Das bedeutet, dass wir uns hier auseinandersetzen müssen mit Handelsgesetzen, wirtschaftlichen Verträgen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Es bedeutet, dass wir im Kollektiv politischer werden und uns organisieren müssen.

      Es braucht auch mehr Mut, um unangenehme Gespräche innerhalb unserer afrikanischen Communities zu führen, mit unseren Verwandten, egal wie alt sie sind. Wenn du beispielsweise cis und hetero bist, hast du in dieser Welt ein Privileg. Dieses Privileg solltest du nutzen, um dich gegen Diskriminierung zu engagieren, auch wenn sie von der eigenen Familie kommt. Niemand sollte sich in deiner Gegenwart wohlfühlen, wenn er*sie queerfeindliche Kommentare von sich gibt. Irgendwo müssen wir anfangen, die toxischen Traditionen aufzubrechen, die sich in unseren Kulturen festgesetzt haben.

       WHERE DO WE GO FROM HERE?

      Es gibt heute mehr Schwarze Menschen in Deutschland denn je. Wir gehören zu der am schnellsten wachsenden Bevölkerungsgruppe. Teilweise stehen wir vor denselben, teilweise jedoch vor ganz anderen Herausforderungen als die Generationen vor uns. Wie wir damit umgehen, entscheiden wir. Wollen wir wirkliche Solidarität oder kämpfen wir, jede*r für sich allein? Ich möchte an eine gemeinsame Zukunft glauben. Dazu gehört es aber, unsere Unterschiede zu akzeptieren. Sie nicht zu verschweigen und ihnen Platz einzuräumen. Die großartige Sharon Dodua Otoo sagte in einer Rede einst: »Ich bin überzeugt, dass unsere Gesellschaft für uns alle humaner wird, wenn wir uns darauf konzentrieren, die Situation für diejenigen unter uns zu verbessern, die am meisten leiden.«8

      Meine Privilegien anzuerkennen, ist ein erster Schritt. Im Anschluss gilt es, mich zu fragen, wie ich meine persönlichen Ressourcen nutzen kann, um andere Schwarze Menschen zu unterstützen. Umverteilung ist hier das Stichwort, sei es finanziell oder durch ideelle Förderungen. Ich möchte, dass wir weiter eigene Strukturen aufbauen. Privat halte ich mich an die Bitte meiner Cousine Didiane: Nebulöse Erzählungen angeblicher Präferenzen vonseiten Schwarzer Männer würge ich beispielsweise im Keim ab. Weder sehe ich meine Fetischisierung durch sie als Kompliment noch möchte ich Komplizin sein in der Herabwürdigung meiner Schwarzen Schwestern. Sprüche wie »Ein Glück bist du nicht ganz so dunkel geraten« dürfen nicht im Raum stehen bleiben, selbst dann nicht, wenn sie von der eigenen Familie kommen.

      Ich wünsche mir, dass wir größer träumen. Ich möchte, dass wir uns kollektiv wegbewegen vom Reagieren auf weiße Menschen hin zum Agieren für Schwarze Menschen. Was sind unsere Ziele in diesem Land? Wir sollten weiter denken als nur: Ich möchte keinen Rassismus mehr erleben.

      Was wünschst du dir für deine Schwarzen Geschwister? Was wünschst du dir für dich selbst? In welcher Zukunft sollen deine Kinder aufwachsen? Where do we go from here?

      MERET WEBER

       EIN GESPRÄCH MIT KATHARINA OGUNTOYE

      Katharina Oguntoye (geboren 1959 in Zwickau) ist eine Schwarze deutsche Schriftstellerin, Aktivistin und Historikerin. Sie hat zusammen mit May Ayim und Dagmar Schultz das Buch Farbe bekennen herausgegeben und ist als zentrale Figur der afrodeutschen Bewegung und Mitbegründerin der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) sowie von ADEFRA – Schwarze Frauen in Deutschland bekannt. Außerdem gründete sie in Berlin das interkulturelle Netzwerk Joliba.

      Das Buch Farbe bekennen (1986) ist die erste Sammlung afrodeutscher Perspektiven im deutschsprachigen Raum. Es fängt Gespräche und Geschichten von Frauen generationenübergreifend ein, von der Weimarer Republik bis in die 1980er-Jahre. Das Buch gilt seitdem für viele als erstes Signal, dass Schwarze Menschen in Deutschland existieren, und dass Schwarzes Leben schon lange Teil deutscher Geschichte ist, auch wenn es weitgehend unsichtbar gemacht wird.

      Ich habe mit ihr über Geschichten und Perspektiven der feministischen und afrodeutschen Bewegung gesprochen.

      Ein Generationenaustausch.

       Wir diskutieren ja heutzutage sehr viel über Sprache und Begriffe. Du hast zu Beginn deiner politischen Arbeit den Begriff »afrodeutsch« mitgeprägt. Wie hat sich das entwickelt und siehst du seitdem eine Veränderung?

      Im Nachbarschaftshaus waren wir damals eine große Runde und es entspann sich eine sehr spannende Diskussion. Es gab Leute, die sagten, der Begriff »afrodeutsch« sei ihnen ein bisschen zu weit weg, weil sie afroamerikanische oder afrokaribische Wurzeln hätten, deshalb empfanden sie »Schwarze Deutsche« als den besseren Begriff. Schließlich trafen wir die Entscheidung, dass wir Schwarze Deutsche und Afrodeutsche synonym benutzen, und vor allem, dass wir uns nicht mit dem N-Wort betiteln lassen wollen. Bald herrschte dazu ein Konsens. Es fasziniert mich, dass unsere damalige Entscheidung bis heute trägt, denn wir sind ja kein Abgeordnetenparlament und machen auch keine Gesetze. Das war und ist einfach ein Einverständnis, das der Realität der Community entspricht. Und weil die Bezeichnung eben gut diskutiert und durchdacht ist, trifft sie auch auf Zuspruch. Es war sehr wichtig, dass wir einen guten Begriff fanden, der unserer Vorstellung entsprach, wie wir Identität entwickeln oder ausdrücken wollten. Es gab damals ja nur fremdbestimmte Begriffe, und jetzt wählten wir zum ersten Mal einen eigenen Begriff. Das war mir wichtig.

       Du meintest, dass ihr zu Treffen alle zusammengekommen seid. Das, womit wir uns auch im Buch beschäftigen, ist die Erfahrung von Isolation, die ja viele Schwarze Menschen weiterhin machen: vor allem in der Jugend total isoliert zu sein und dann auf Schwarze Strukturen (zum Beispiel in Hochschulgruppen) zu treffen. Wie schätzt du das ein, gab es eine Veränderung?

      Es ist tatsächlich noch so, nach so vielen Jahren ist das schon erschreckend. Aber verändert hat sich, dass es tatsächlich Menschen gibt, die mit dem ISD-Bundestreffen aufgewachsen sind. Das gibt es ja schon seit drei Jahrzehnten, einmal im Jahr. Da versammeln sich meistens 200 bis 300 Menschen, davon wahrscheinlich 80 Kinder und Jugendliche. Manche sind mit den Bundestreffen groß geworden und, indem sie im nächsten Jahr wieder ihre Freund*innen getroffen haben, konnten sie eine Art Selbstverständlichkeit erleben. Bei Joliba, meinem Verein in Berlin, machen wir diese Erfahrung auch – denn damals, vor 30 Jahren, gab es ja wirklich überhaupt keine Gruppen. Damals kamen die Leute wirklich aus allen Ecken Berlins zu unseren Kinderfesten – die wir drei- oder viermal im Jahr ausgerichtet haben – und sahen sich dort wieder. Der Fachbegriff dafür wäre wohl peer to peer learning, also das Lernen in der gleichaltrigen Gruppe. Einfach Menschen, mit denen man sich vergleichen kann, einen Ort, an dem man nicht das Gefühl hat, ein Sonderwesen zu sein. Das ist sehr wertvoll für die Kids.

      

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